«Es ist gefährlich, jetzt das Thema Lohn anzusprechen»

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Verhandlungen in der Krise«Es ist gefährlich, jetzt das Thema Lohn anzusprechen»

Normalerweise stehen um diese Zeit die alljährlichen Lohnverhandlungen an. Wegen der Krise ist es jetzt aber besonders riskant, mehr Gehalt zu verlangen.

Eine Lohnerhöhung sollte drinliegen – zumindest in bestimmten Branchen, findet der Schweizerische Gewerkschaftsbund.
In der Bankenbranche gebe es viele Firmen mit guter Geschäftslage.
Dasselbe gilt für die Lebens- und Genussmittelindustrie.
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Eine Lohnerhöhung sollte drinliegen – zumindest in bestimmten Branchen, findet der Schweizerische Gewerkschaftsbund.

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Darum gehts

  • Diesen Herbst mehr Lohn zu verlangen, kann gefährlich sein.
  • Firmen könnten sich überlegen, teure Mitarbeiter zu ersetzen.
  • Trotzdem fordern die Gewerkschaften in einigen Branchen mehr Lohn.
  • Die Arbeitgeber machen jedoch wenig Hoffnung.

Der Lohnherbst hat begonnen: Die Gewerkschaften fordern mehr Geld für die Schweizer Arbeitskräfte – manch ein Angestellter wird sich jetzt überlegen, mit den eigenen Vorgesetzten eine Lohnverhandlung zu starten. Wegen der Krise ist das allerdings ein heikles Thema – wie riskant ist es, jetzt mehr Gehalt zu verlangen? Und in welchen Branchen hat man am ehesten Chancen? Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Kann ich trotz der Krise mehr Lohn verlangen?

Sofern man bei einem Unternehmen arbeitet, das wegen der Krise nicht extrem unter Druck ist, und man ein sehr gutes Verhältnis mit dem Arbeitgeber hat, kann man sich eine Lohnverhandlung überlegen, das sagt der Vergütungsexperte Urs Klingler von der Beratungsfirma Klingler Consultants zu 20 Minuten: «In 90 Prozent der Fälle ist es hingegen sehr gefährlich, jetzt das Thema Lohn anzusprechen.» Denn viele Firmen würden unter Druck stehen und sich überlegen, teure Schweizer Arbeitskräfte mit günstigeren aus dem Ausland zu ersetzen. Lohnforderungen könnten dafür ein Auslöser sein, so Klingler.

Wird der Lohnherbst 2020 zur Nullrunde?

Es sieht danach aus. Klingler rechnet für 2021 mit einem nominalen Anstieg von 0,1 Prozent – die Credit Suisse machte am Mittwoch die gleiche Prognose. «0,1 Prozent merkt ja niemand», meint Klingler dazu. Beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) heisst es hingegen, dass in bestimmten Branchen trotz der Pandemie durchaus Lohnerhöhungen drinliegen sollten.

In welchen Branchen hat man am ehesten Chancen?

Laut SGB-Chefökonom Daniel Lampard ist die Geschäftslage vor allem bei Banken, in der Lebens- und Genussmittelindustrie sowie im Baugewerbe gut. Er stützt sich dabei auf die aktuelle Umfrage der ETH-Konjunkturforschungsstelle. Auch im Detailhandel und in der Chemie ist die Stimmung verhältnismässig optimistisch. Wo es wirtschaftlich möglich ist, fordert der SGB darum Lohnerhöhungen von bis zu 100 Franken im Monat (s. Bildstrecke oben).

Mehr Geld

5 Tipps für die Lohnverhandlung

Die Gewerkschaften fordern in der Regel generelle Lohnerhöhungen. Viele Branchen, darunter etwa die Banken, setzen hingegen konsequent auf individuelle Anpassungen. Das heisst auch: Wer mehr Gehalt will, muss dafür kämpfen. Falls du trotz der Krise in Lohnverhandlungen gehst, solltest du diese Tipps berücksichtigen:

  • Vorbereitung: Ohne Zusatzleistung gibts keine Gehaltserhöhung, sagt Andrea Letsch, HR-Expertin beim Personaldienstleister Hays: «Reflektiere kritisch über das vergangene Jahr und schreib dir konkret auf, welche Aufgaben du aussergewöhnlich gut erledigt hast.» Die wichtigste Frage, die ein Mitarbeiter beantworten müsse, sei: Welche Projektergebnisse konnten erzielt werden und inwiefern haben sie die Firma weitergebracht?
  • Argumente: Denk daran, dass nur berufliche Leistungen bei Lohngesprächen zählen. Private Gründe, wie etwa eine Weiterbildung, die nicht direkt mit dem Job zu tun hat, sind nicht relevant. Und auch Unzufriedenheit im Job sei kein Argument für mehr Lohn, so Letsch – denn das Gehalt sei da praktisch nie die Lösung.
  • Einstellung: «Ein Lohngespräch ist kein Streitgespräch», so Letsch. Darum sollst du positiv in die Verhandlung gehen, dich auch über kleine Erfolge freuen und daran denken, dass die Vorgesetzten für deine Lohnerhöhung kämpfen.»
  • Alternativen: Nicht nur der Lohn, sondern auch andere Vorteile sind laut Letsch entscheidend. Wenn der Arbeitgeber nicht mehr Geld anbieten kann, liegen vielleicht mehr Homeoffice-Tage, ein Parkplatz oder andere Goodies drin. «Überlege dir, wie viel dir so etwas wert ist, und verlange statt mehr Geld solche Vorteile.»
  • Misserfolg: Kriegst du die Lohnerhöhung nicht, kannst du das Gespräch als Anker für das nächste nutzen, wie Letsch sagt: «Erwähne beim nächsten Mal, dass es zuletzt nicht mit der Lohnerhöhung geklappt hat und welche neuen Ziele du seither erreicht hast.» Das steigere die Chancen jedes erneuten Gesprächs.

Gehen die Arbeitgeber auf Lohnforderungen ein?

Das müssen letztlich die Verhandlungen selbst zeigen. Viele Arbeitgeber machen aber wenig Hoffnung. So schreibt etwa der Schweizer Baumeisterverband: «Eine Lohnerhöhung ist illusorisch und würde Unternehmen und Arbeitsplätze gefährden.» Es sei unklar, ob die aktuellen Lohnniveaus überhaupt gehalten werden könnten. Beim Arbeitgeberverband der Schweizer Banken heisst es, man rate den Firmen, sich wegen des wachsenden Kostendrucks und des Strukturwandels bei Gehaltserhöhungen zurückzuhalten. Immerhin: «Lohnerhöhungen sollen in moderatem Umfang dort erfolgen, wo sie möglich sind.»

Was kann ich sonst tun, um mehr Lohn zu bekommen?

Typischerweise ist ein Jobwechsel mit einem Lohnsprung verbunden. Allerdings sei auch dafür jetzt kein guter Zeitpunkt, so Vergütungsexperte Klingler: «Wer jetzt kündigt, muss damit rechnen, arbeitslos zu werden.» Aber selbst wenn man eine neue Stelle findet, dürfte dort die Jobsicherheit leiden. Denn sollte der Arbeitgeber wegen der Krise plötzlich Stellen abbauen, könnte es zuerst die Neuen treffen.

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