«Soweit ich weiss, wurden viele Bradley-Schützenpanzer zerstört»

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Gegenoffensive Ukraine«Noch ist man nicht zur 1. wirklichen Verteidigungslinie vorgedrungen – aber vielleicht will man das nicht»

Was sagen die laufenden Gefechte über die Armeen der beiden Seiten? Und wer ist in den nächsten Wochen bei den Gefechten im Vorteil? Klare Antworten von Roland Popp von der Militärakademie an der ETH Zürich zur ukrainischen Gegenoffensive.

Ein ukrainischer Soldat in einem getarnten Unterschupf an der Front in der Region Donezk, Ukraine, 18. Juni 2023. 
In die ukrainische Gegenoffensive ist Bewegung gekommen: Ein ukrainischer Soldat nahe der Frontlinie in der Nähe des gerade befreiten Dorfes Neskuchne in der Region Donezk am 13. Juni 2023. 
Ukrainische Soldaten in Storoschtschewe, Region Donezk, am 12. Juni 2023. Im Süden des Landes gab es am  Freitag Berichten der russischen Armee zufolge intensive Gefechte nahe einer Gruppe von Dörfern, die Kiew in den vergangenen Tagen nach eigenen Angaben zurückerobert hatte.
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Ein ukrainischer Soldat in einem getarnten Unterschupf an der Front in der Region Donezk, Ukraine, 18. Juni 2023. 

REUTERS

Darum gehts

  • Die Ukraine ist im russischen Angriffskrieg in die Gegenoffensive gegangen. 

  • Zu den laufenden Operationen wenden wir uns an Roland Popp von der Militärakademie an der ETH.

  • Er ordnet ein, sagt, was er für wahrscheinlich hält und wo er weswegen seine Zweifel hat.

Herr Popp, was sagen die laufenden Gefechte über die Armeen der beiden Seiten?

Sehr vorsichtig interpretiert kann man sagen: Die Russen haben sich offenbar einige taktische Innovationen einfallen lassen. So ist es den Ukrainern bislang nicht gelungen, bis zur ersten wirklichen Verteidigungslinie der Russen vorzudringen – aber vielleicht wollen sie das ja auch gar nicht. Zudem sieht es so aus, als würde gerade das ukrainische Material in hoher Geschwindigkeit abgenutzt. Das würde die Frage aufwerfen, ob der Ansatz der Offensive der richtige war. Möglicherweise ist das aber auch nur ein Ablenkungsmanöver. Wir wissen es nicht. 

Haben die Russen von den Ukrainern gelernt?

Ja. An den russischen Befestigungsanlagen und auch daran, wie sich die Russen taktisch verhalten, kann man sehen, wie viel man inzwischen voneinander gelernt und wie sich das Lernen unter den Einheiten verbreitet hat. 

«Die russischen Kampfhelikopter kommen jetzt mehr zur Geltung.» 

Roland Popp

Und die Ukrainer?

Man sieht auf beiden Seiten so etwas wie ein institutionelles Lernen. Gerade auch bei den Waffensystemen, die sich als wirklich wichtig herausgestellt haben, wie etwa die sogenannten Selbstmord- oder Kamikaze-Drohnen, die im Grunde intelligente Granaten sind. Andere Drohnen-Systeme wie die türkische Bayraktar haben sich in einem solchen Krieg dagegen als weitgehend nutzlos erwiesen. Grundsätzlich ist die dauernde Anpassung der eigenen Herangehensweise an die Situation etwas sehr Typisches für längere Kriege, oft das kriegsentscheidende Element überhaupt.

Gibt es ein einheitliches Vorgehen bei den ukrainischen Angriffswellen? Welche Truppenverbände arbeiten wie zusammen beim Versuch, Gelände zurückzuerobern?

Darüber wissen wir viel zu wenig. Aber ein Element, das mehr zur Geltung kommt, sind die russischen Kampfhelikopter. Das spricht eher für eine stärkere Abnutzung der ukrainischen Flugabwehr. Aber wie gesagt, wir haben viel zu wenig Informationen, um das seriös beurteilen zu können. 

«Soweit ich weiss, wurden ein halbes Dutzend Leoparden und sehr viele Bradleys zerstört.»

Roland Popp

Welche Rolle spielt das westliche Kriegsmaterial bei der Gegenoffensive, etwa die modernen Panzer? 

Panzer sind ein hundert Jahre altes Waffensystem, und die Vorstellung, dass westliche Systeme anderen um ein Vielfaches überlegen sind, ist bei so einem alten Waffensystem reichlich absurd. Die Vorstellung, dass westliche Waffentechnologie haushoch überlegen ist, scheint mir ein Irrglaube zu sein, dem offenbar auch viele sogenannte Militärexperten aufsitzen. 

Es kursieren Berichte, dass erste Leoparden-Panzer zerstört wurden. Ist das verifiziert? 

Die Aufnahmen von russischen Soldaten neben zerstörten Leoparden sind wohl authentisch. Soweit ich weiss, wurden ein halbes Dutzend Leoparden und einige andere Kampfpanzer zerstört, vor allem aber eine sehr hohe Zahl von Bradley-Schützenpanzern. Doch eben: Das alles zählt zu einer grösseren Zahl von Systemen, die wir noch gar nicht gesehen haben. 

«So richtig schlau werde ich aus der angeblichen Dammsprengung nicht.»

Roland Popp

Was ist mit den britischen Challenger-Panzern, die an der Front bislang nicht aufgetaucht sind?

Sie werden operativ kaum ins Gewicht fallen. Wie auch, es sind ja nur etwas über ein Dutzend. 2000 Challenger wären etwas anderes, die gibt es nicht, es wurden nur einige Hundert überhaupt produziert. 

Welche Seite profitiert militärisch von den Fluten in Cherson nach dem Dammbruch? 

Wahrscheinlich eher die Ukrainer, weil mehr Gebiete unter russischer Besetzung geflutet wurden, das behindert die Logistik der anderen Seite. Aber so richtig schlau werde ich aus der angeblichen Dammsprengung nicht, es macht alles wenig Sinn, und bisher hat auch keine Seite überzeugende Beweise vorgelegt. Wir wissen es einfach nicht und Spekulation hilft da nicht weiter.

Welche Seite ist in den kommenden Wochen wieso im Vorteil?

Schwer zu sagen. Die wenigen Informationen, die wir haben, legen nahe, dass die Russen nun tatsächlich ihre Luftstreitkräfte vermehrt einsetzen. Vor einigen Wochen gab es in den geleakten Dokumenten ja auch Berichte, die zeigten, wie stark die Luftverteidigung der ukrainischen Seite abgenutzt ist. Das würde Russland ermöglichen, stärker auf seine Luftstreitkräfte zu setzen. Wäre das wirklich so, dann wäre es ein erheblicher Vorteil für die russische Seite. Aber es ist noch viel zu früh, um das zu sehen.

Und wenn die Offensive scheitert?

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