Zürcher ObergerichtHilfsarbeiter vom Mordvorwurf freigesprochen
Ein 34-jähriger Rumäne, der einen Arbeitskollegen in Samstagern getötet haben soll, ist vom Obergericht mangels Beweisen freigesprochen worden. Der Staatsanwalt wird ans Bundesgericht gelangen.
Darum gehts
Im September 2018 eskalierte in Samstagern (Gemeinde Richterswil) ein Streit zwischen zwei Männern.
Laut der Anklageschrift soll der Beschuldigte seinen Gegner im Schlaf erstochen haben.
Der heute 34-jährige Rumäne bestreitet die Tat und will einen Freispruch.
Das Obergericht hat ihn mangels Beweisen freigesprochen.
Schweigen in der Untersuchung, Schweigen an der Verhandlung vor dem Bezirksgericht Horgen und Schweigen auch am Prozess vor dem Obergericht am Freitag. Der rumänische Bauarbeiter wollte nichts zur Person und zur Sache sagen, ausser: «Ich will einen Freispruch, weil ich unschuldig bin.» Der heute 34-Jährige soll in der Nacht vom 2. auf den 3. September 2018 im Wohnbereich einer Werkstatt in Samstagern (Gemeinde Richterswil) einen 33-jährigen Landsmann umgebracht haben.
Laut Anklage hat er den schlafenden Arbeitskollegen in dessen Zimmer mit 15 Stichen in Gesicht und Oberkörper tödlich verletzt. Die Tatwaffe war ein schwertähnlicher Gegenstand aus Stahl. Das Bezirksgericht Horgen hat den Mann wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt und für 13 Jahre des Landes verwiesen. Aussergewöhnlich war damals, dass ein Mitglied des dreiköpfigen Richterkollegiums sich für einen Freispruch mangels Beweisen ausgesprochen hat.
Überraschendes Urteil vom Obergericht
Dieser Argumentation ist auch das Obergericht gefolgt. Es hat den Beschuldigten am Freitagabend überraschend freigesprochen und ihm für die vierjährige Haft eine Genugtuung von 200’000 Franken zugesprochen. Der Mann kommt auf freien Fuss. «Wir sind weit von einem Schuldnachweis entfernt. Er könnte es gewesen sein, aber es besteht kein dringender Tatverdacht, deshalb ist ein Freispruch unumgänglich», begründete der vorsitzende Richter das Urteil. Der Staatsanwalt wird das Urteil ans Bundesgericht ziehen, wie er nach dem Prozess auf Nachfrage sagte.
Für das Gericht hat der von der Staatsanwaltschaft als «Kronzeuge» erwähnte Landsmann die Neigung, den Beschuldigten zu belasten. Auch der Zeuge hätte der Täter sein können. Es gebe keine Hinweise, dass das Opfer und der Beschuldigte tiefgreifende Differenzen hatten, wie der Zeuge gesagt hat. Die DNA-Spuren des Beschuldigten auf dem Bettlaken, wo der Tote aufgefunden wurde, hätten schon früher zufällig dorthin gelangen können, sagte der Richter weiter. «Das Fixleintuch war schon lange ungewaschen auf dem Bett gelegen.» Sowohl die Tatwaffe als auch der Schlüssel zum Schlafzimmer, wo der Tote gefunden wurde, seien verschwunden.
«Brutal und skrupellos»
Der Staatsanwalt hat am Prozess vor dem Obergericht am Freitag wegen Mordes eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren und eine 15-jährige Landesverweisung verlangt. «Es gibt keinerlei Zweifel, dass der Beschuldigte die Tat verübt hat, der Fall ist kristallklar.» Es gebe keine Hinweise auf eine Dritttäterschaft. Die Tat sei punkto Brutalität und Skrupellosigkeit aussergewöhnlich: «Es war eine regelrechte Gewaltorgie.»
Triebfeder sei einzig und allein Rache für einen Streit unter den beiden stark betrunkenen Männern gewesen. «Es war eine Lappalie», sagte der Staatsanwalt. Das spätere Opfer habe unter anderem die Mutter des Beschuldigten beleidigt. Dieser habe sich einige Stunden nach dem Streit ins Schlafzimmer seines Kollegen begeben und den Schlafenden mit der Stichwaffe massakriert.
Für den Anwalt der Schwester des Opfers war die Aussageverweigerung des Beschuldigten unbegreiflich. «Es ist unverständlich, dass er als angeblicher Unschuldiger sich nicht äussern will und keine Hilfe zur Klärung des Sachverhaltes leistet.» Eine Aussageverweigerung sei die Strategie eines schuldigen Täters.
«Habe den besten Freund verloren»
Der Anwalt des Beschuldigten hatte wie schon bei der Vorinstanz einen Freispruch verlangt. Er bezog sich dabei auf die Minderheitsmeinung beim Urteil des Bezirksgerichts Horgen. Der Zeuge der Schlägerei zwischen den beiden Rumänen hätte auch der Täter sein können, sagte der Verteidiger. «Das Opfer und mein Mandant waren seit der Jugend gute Freunde. Beschimpfungen, Beleidigungen und Tätlichkeiten waren kein Grund für einen Mord.» Die Tatwaffe sei nicht gefunden worden.
Zum Schluss hat sich der Beschuldigte zu Wort gemeldet: «Wir waren Nachbarn in Rumänien und seit der Jugend zusammen. Unsere Freundschaft war stärker als Meinungsverschiedenheiten. Es gab keinen Grund, mich zu rächen. Ich haben den besten Freund verloren.»
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Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
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Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
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Hier findest du Hilfe:
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen
Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29
Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch
Lifewith.ch, für betroffene Geschwister
Verein Familientrauerbegleitung.ch
Verein Regenbogen Schweiz, Hilfe für trauernde Familien
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Pro Senectute, Beratung älterer Menschen in schwierigen Lebenssituationen
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