Es war keine fahrlässige Tötung

Aktualisiert

Unfall am BürkliplatzEs war keine fahrlässige Tötung

Nach einem Epilepsie-Anfall am Lenkrad hat ein Unternehmer beim Bürkliplatz die Herrschaft über das Fahrzeug verloren und zwei Fischer beim Zürichsee zu Tode gefahren. Er wurde jetzt freigesprochen.

Attila Szenogrady
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Attila Szenogrady

In einem Punkt waren sich vor Gericht alle Parteien einig. Was am 11. Juli 2010 am Bürkliplatz passiert war, entsprach einer unfassbaren menschlichen Tragödie. Es war am Morgen um 7 Uhr, als ein damals in Gockhausen wohnafter Unternehmer mit seinem Luxusfahrzeug der Marke BMW über den Bellevue-Platz in Richtung Bürkliplatz fuhr. Dann geschah das Unglaubliche. Der heute 44-jährige Franzose erlitt einen epileptischen Anfall und verlor das Bewusstsein. Mit fatalen Folgen. So schlingerte das Fahrzeug führerlos über die Quai-Brücke und brach beim Bürkliplatz plötzlich in Richtung Schanzengraben aus. Dort standen zwei Hobbyfischer, die vom Fahrzeug mit rund 35 km/h erfasst und in den See geworfen wurden. Der 60-jährige Schweizer und der 34-jährige Ex-Jugoslawe hatten keine Überlebenschancen. Im Gegensatz zum Lenker, der von den Rettungskräften mit leichten Verletzungen aus seinem Wagen geborgen wurde.

Nie wieder ein Fahrzeug gelenkt

Am Dienstag musste sich der Franzose wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten. Der Beschuldigte gab an, dass er heute in London lebe und eine Stelle als Geschichtslehrer suche. Allerdings wirke sich die Strafuntersuchung sehr schlecht auf seine berufliche Karriere aus. Darben muss er aber nicht. Nach dem Verkauf seines Schweizer Firmenanteils verfügt er gemäss seinen Angaben über ein Vermögen von rund 800'000 englischen Pfund.

Er habe seit dem Horrorunfall nie wieder ein Fahrzeug gelenkt, versicherte er.

Danach erzählte er von seiner Epilepsie-Erkrankung. Von Anfällen in den Jahren 1998, 2004 und 2006. Meistens nach exzessivem Alkoholkonsum. Danach sei es vier Jahre lang ruhig geblieben. Vom Anfall vor dem Unfall sei er völlig überrascht worden. Er habe auch überhaupt keine Vorzeichen bemerkt.

Staatsanwalt für Freispruch

Dann wartete Staatsanwalt Lukas Wehrli mit einem völlig unerwarteten Antrag auf. Er forderte im Widerspruch zu seiner eigenen Anklage überraschend einen umfassenden Freispruch. Wehrli machte klar, dass er den Fall bereits im Januar 2012 mangels Beweisen eingestellt habe. Er sei im Herbst 2012 vom Obergericht dazu angehalten worden, die Angelegenheit gerichtlich entscheiden zu lassen. Nun verneinte Wehrli jegliche Verletzung der Sorgfaltspflicht. Zwar habe der Beschuldigte am Vorabend des Unglücks noch ein wenig Wein getrunken. Am Unfalltag hatte der Lenker aber keinen Alkohol mehr im Blut. Zudem verwies der Staatsanwalt darauf, dass beim Beschuldigten eine Fahreignung vorlag.

Die beiden Geschädigten-Vertreter waren über die Kehrtwende des Anklägers alles andere als erfreut. Dass der Staatsanwalt zwecks Feststellung der Trinkgewohnheiten des Lenkers eine Haarprobe verweigert habe, bezeichnete ein Opferanwalt als schlicht skandalös. Der zweite Geschädigtenvertreter sprach wegen des Frontenwechsels von zwei Verteidigern. Zudem habe der Staatsanwalt den Angeschuldigten schon in der Untersuchung mit Samthandschuhen angefasst.

Alkoholkonsum, Stress und Schlafmangel verneint

Verteidiger Beat Hauri ergriff als letzter Sprecher das Wort und forderte einen vollen Freispruch. Er konzentrierte sich auf die Vorwürfe, wonach Alkoholkonsum am Vorabend, Schlafmangel und Stress zum epileptischen Anfall geführt hätten. Hauri führte aus, dass sein Mandant weder zu viel Alkohol getrunken noch zu wenig geschlafen habe. Auch Stress sei ausgeschlossen, da sein Klient gerade erst aus den Ferien in Frankreich zurückgekehrt sei.

Der Beschuldigte hielt ein bewegtes Schlusswort und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Er führte aus, dass seine blauen Flecken vom Unfall inzwischen verschwunden seien. Nicht aber seine seelischen Wunden. «Ich bin aber nie ein Risiko eingegangen», versicherte er.

Auch das Gericht für Freispruch

Zum Schluss kam auch das Gericht zu einem Freispruch und sah eine Sorgfaltspflichtverletzung als nicht erwiesen an. Der Lenker habe kein erhöhtes Risiko in Kauf genommen. «Ein Erfolg ist dem Täter nicht zuzusprechen», erklärte die Gerichtsvorsitzende, die auch auf ein medizinisches Gutachten verwies. Dieses hatte festgehalten, dass es nicht möglich sei, den Auslöser des Unfalls den genannten Faktoren wie Alkohol, Müdigkeit oder Stress zuzuordnen. Für die Angehörigen der Opfer sei es schwer nachvollziehbar, dass es zu einem Freispruch komme, sagte die Richterin. Für eine Verurteilung fehle aber die rechtliche Basis. Mit dem Urteil erhielt der Lenker eine Prozessentschädigung von 22'000 Franken. Zudem eine Umtriebsentschädigung von 5000 Franken. Die Forderungen einer Witwe eines Opfers wurden auf den Weg eines Zivilprozesses verwiesen.

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