Tierische TherapieEsel sollen Schweizer Gefangenen helfen
In der Strafanstalt Saxerriet SG arbeiten ausgewählte Insassen seit 2008 mit Eseln. Sie sollen dadurch lernen, Vertrauen aufzubauen. Andere Gefängnisse im In- und Ausland sind nun auf das Projekt aufmerksam geworden.
Hufe auskratzen, Fell striegeln, Traben lernen: Seit 2008 arbeiten Insassen der Strafanstalt Saxerriet in Salez SG mit Eseln. Dabei machen sich die Therapeuten die Eigenschaften der Langohren zunutze. Denn Esel gelten als eigenwillig und störrisch – will man etwas von ihnen, muss man sie überzeugen. Und zwar ohne Druck und Gewalt.
Ziel der Therapie ist es, mithilfe der Esel die Beziehungsfähigkeit der Insassen zu verbessern. Sie sollen lernen, Vertrauen aufzubauen und Eigenverantwortung zu übernehmen.
«Anfangs wurde die Therapie etwas belächelt, mittlerweile geniesst sie unter den Insassen aber einen guten Ruf», sagt Martin Vinzens, Direktor der Strafanstalt Saxerriet.
Gaudi, «mein Esel»
Seit neun Wochen nimmt auch Insasse F. an der Eseltherapie teil. «Ich habe grosse Mühe damit, Menschen zu vertrauen», sagt er. Jeden Mittwoch verbringt F. deshalb eine Stunde mit Gaudi «meinem Esel», wie er betont. «Zu Beginn war ich sehr skeptisch», sagt er, «nicht wegen dem Esel, aber das Wort Therapie schreckte mich ab, das ist so negativ behaftet.» Inzwischen geniesst er jedoch die Stunde, die er jede Woche mit Gaudi verbringt: «In dieser Zeit kann ich komplett abschalten. Bin ich bei Gaudi, gibt es nur ihn, mich und die Therapeutin.»
Zu Beginn der Arbeit muss Gaudi fit gemacht werden. Die Hufe müssen gereinigt, das Fell gestriegelt werden. Manchmal brauche es auch Überwindung, hinaus zu gehen und den Esel zu pflegen, sagt F. «Man merkt beim Putzen aber auch, was die Tiere mögen. Kraule ich Gaudi beispielsweise hinter dem Ohr, senkt er den Kopf und lässt die Unterlippe hängen. Ein Zeichen dafür, dass er sich wohl fühlt.»
Traben als Lernziel
Seit 2008 bietet das Saxerriet die tiergestützte Therapie an. «Ausgangspunkt war die Beobachtung, zunehmend mit Insassen konfrontiert zu sein, die für verschiedene gängige Interventionen schwer zugänglich sind», sagt Gefängnisdirektor Vinzens. Insassen, die an der Therapie teilnehmen, werden vom forensisch-therapeutischen Dienst des Saxerriet ausgewählt.
Mit jedem Teilnehmer wird ein ganz konkretes Ziel vereinbart. Bei F. lautet es, dass sein Esel traben lernen soll. Bis Gaudi macht, was F. will, müssen sie zu einem Team zusammenwachsen, sie müssen einander gegenseitig vertrauen.
Nur ohne Druck und Gewalt
Bei F. und Gaudi scheint dies zu klappen. Leichten Hufes bringt Gaudi einen Reifenparcours hinter sich und läuft Slalom. Der Esel trottet F. hinterher wie ein treuer Hund. Nach der achten Therapiestunde ist es soweit: Gaudi trabt eine Länge ohne Strick. F. ist stolz, das Ziel ist erreicht, und ein weiteres ebenfalls: eine vertrauensvolle Beziehung und Wertschätzung zwischen Tier und Mensch.
Bei beiden mündet diese Wertschätzung auch schon mal in Eifersucht. Beispielsweise dann, wenn F. den Esel Miro krault, den Bruder von Gaudi. «Er kann dann sehr bockig tun», sagt F. Das Therapieziel ist beinahe erreicht und F's Zeit im Saxerriet neigt sich dem Ende zu. Er werde diese Therapie nie vergessen, sagt F: «Natürlich werde ich Gaudi vermissen.»
Andere Strafanstalten sind interessiert
Nach fünf Jahren wird das Projekt zurzeit evaluiert. «Wir wollen nun genau untersuchen, was die Arbeit mit den Tieren bei den Gefangenen längerfristig bewirkt hat», sagt Vinzens.
Ein Ausbau, etwa im Bereich Ergotherapie, werde in Erwägung gezogen. Auch andere Strafanstalten im In- und Ausland sind auf die Arbeit im Saxerriet aufmerksam geworden und haben das Projekt verfolgt. In Lenzburg gibt es seit drei Jahren ein ähnliches Projekt mit Berner Sennenhunden. (ame/sda)