Energieknappheit: ETH-Professorin fordert Bau neuer Schweizer Atomkraftwerke

Publiziert

EnergieknappheitETH-Professorin fordert Bau neuer Schweizer Atomkraftwerke

Um einen Blackout zu verhindern, muss die Schweiz laut Professorin und Nuklearingenieurin Annalisa Manera neue Atomkraftwerke bauen. Die Schweizerische Energiestiftung widerspricht.

In der Schweiz sind zurzeit vier Kernkraftwerke in Betrieb: Bez­nau eins und zwei,  Gös­gen und Leib­stadt. Geht es nach der ETH-Nuklearingenieurin Annalisa Manera, sollte die Schweiz weitere Kernkraftwerke bauen.  Bild: Kernkraftwerk Leibstadt.
Für ETH-Nuklearingenieurin Annalisa Manera können erneuerbare Energien alleine nicht die Lösung sein. «Wir brauchen 24 Stunden, 365 Tage im Jahr Strom. Nur mit erneuerbaren Energiequellen ist dies nicht möglich.»
Darum ist für die Nuklearingenieurin klar: «Die Schweiz soll neue Atomkraftwerke bauen. Politiker sprechen schon jetzt von einem Blackout. Wie soll dieser in 15 oder 20 Jahren verhindert werden, wenn Schweizer Atomkraftwerke nicht mehr am Netz sind?»
1 / 4

In der Schweiz sind zurzeit vier Kernkraftwerke in Betrieb: Bez­nau eins und zwei,  Gös­gen und Leib­stadt. Geht es nach der ETH-Nuklearingenieurin Annalisa Manera, sollte die Schweiz weitere Kernkraftwerke bauen.  Bild: Kernkraftwerk Leibstadt.

20min/Marco Zangger

Darum gehts

Wenn Wladimir Putin Europa den Gashahn ganz zudreht, hätte das auch für die Schweiz Konsequenzen. Energieministerin Simonetta Sommaruga rief in einem Interview mit der «SonntagsZeitung» (Bezahlartikel) die Kantone auf, noch mehr in den Ausbau von erneuerbaren Energien zu investieren.

Für ETH-Nuklearingenieurin Annalisa Manera kann Solarenergie alleine jedoch nicht die Lösung sein. «Wir brauchen 24 Stunden, 365 Tage im Jahr Strom. Nur mit erneuerbaren Energiequellen ist dies nicht möglich. Die Schweiz sollte neue Atomkraftwerke bauen. Politiker sprechen schon jetzt von einem Blackout. Wie soll dieser in 15 oder 20 Jahren verhindert werden, wenn Schweizer Atomkraftwerke nicht mehr am Netz sind?»

Nicht nur auf ein Zugpferd setzen

Weltweit werde die Nachfrage nach Strom durch immer mehr Elektroautos und die Elektrifizierung von Heizungen und der Industrie steigen. «Die Schweiz ist in Zukunft noch stärker auf den Import aus anderen Ländern angewiesen. Ob die EU bei der Lieferung von Gas die Schweiz prioritär berücksichtigt, bleibt fraglich», sagt Manera.

Um diese Abhängigkeit zu verhindern, sei es wichtig, nicht alles auf erneuerbare Energien zu setzen. «Die Atomkraft ist absolut zeitgemäss. Sie gewährleistet die Energie- und Wirtschaftssicherheit der Schweiz, produziert CO2-frei Strom und leistet zusammen mit Erneuerbaren einen sehr wichtigen Beitrag für sauberen Strom.»

Sollen Nachhaltigkeit und Umweltschutz der Versorgungssicherheit weichen?

Menge der Abfälle entscheidend

Damit spricht Manera auf die Abfälle an, die etwa bei der Produktion von Solarpanelen entstehen. Dabei handle es sich um toxische chemische Abfälle, die nie mehr abgebaut werden könnten. «Ich will die Solar- und Windkraft nicht schlecht reden. Alle Energieproduktionen erzeugen Abfälle. Doch wir wissen, wie diese entsorgt werden können, ohne dass Rückstände ins Wasser geraten. In der Schweiz gibt es Opalinosteine, die geologisch äusserst stabil sind und Wassereinbrüche verhindern», sagt Manera. Dort könnten die Abfälle gelagert werden. Entscheidend sei, dass es sich beim Abfall aus AKW im Gegensatz zu Chemiabfällen aus der Produktion von Solarpanelen um sehr kleine Mengen handle.

Auch die Natur muss laut Manera berücksichtigt werden. «Das Projekt Gondosolar bringt knapp 25 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. Wenn wir das AKW Leibstadt ersetzen wollen, brauchen wir 450 solcher Anlagen. Eine einzige dieser Anlagen ist aber 100’000 Quadratmeter gross. Die Menge benötigter Solarmodule und die Kosten sind das Problem. 450 Gondosolar-Projekte würden 20 Milliarden Franken kosten», sagt Manera.

Energiestiftung widerspricht

Fabian Lüscher, Leiter Fachbereich Atomenergie bei der Schweizerischen Energie-Stiftung SES, widerspricht: «Atomkraftwerke sind eben genau kein Synonym für Versorgungssicherheit. Sie sind anfällig für Ausfälle. Das zeigt sich aktuell in Frankreich, wo eine grosse Stromkrise ausgebrochen ist, weil zahlreiche AKW aufgrund von Störungen ungeplant vom Netz genommen werden mussten.»

Für Lüscher stellen gerade ältere Anlagen wie diejenigen der Schweiz ein Klumpenrisiko dar. «Aber selbst wenn wir neue, weniger störungsanfällige Anlagen bauen würden, bleibt das Risiko, dass ein Backup fehlt, wenn es Probleme mit den Anlagen gibt», sagt Lüscher. Für ihn ist klar: «Es braucht einen riesigen Effort. Doch es ist möglich und sinnvoll, die Energieversorgung in der Schweiz zu 100 Prozent durch erneuerbare Energien zu gewährleisten.»

Das Argument mit den Abfällen zieht laut Lüscher ebenfalls nicht: «Das kommt immer wieder. Doch bei Kernkraftwerken sprechen wir von radioaktivem Material, das mehrere Hunderttausend Jahre gefährlich bleibt für Mensch und Umwelt. Bestandteile unserer AKW-Abfälle könnten zudem für militärische Zwecke missbraucht werden. Das ist für mich nicht die bessere Alternative.» Auch die Abhängigkeit von China kann laut Lüscher beendet werden: «Es wäre möglich und wünschenswert, in Europa eine eigene Produktion aufzubauen.»

«Heutige AKW bräuchten massive Subventionen»


Bleibe über Politikthemen informiert

Deine Meinung zählt

509 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen