Der grosse Rechtsrutsch – wieso AfD und Co. feiern

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EuropawahlDer grosse Rechtsrutsch – wieso AfD und Co. feiern

In den Europawahlen behalten etablierte, pro-europäische Parteien ihre Mehrheit, während rechte Parteien kräftige Zugewinne feiern. War das absehbar?

Die Co-Vorsitzenden der  «Alternative für Deutschland», Tino Chrupalla (l.) und Alice Weidel, sowie der Kandidat für die Europawahl, Rene Aust, können jubeln.
Die Kanzlerpartei SPD erzielte laut ersten Prognosen dagegen ihr bislang schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen.
Überwältigender Sieg von Marine Le Pens «Rassemblement National»: Das europaskeptische RN kam auf 31 bis 32 Prozent der Stimmen, mehr als doppelt so viel wie das proeuropäische Wahlbündnis Besoin d’Europe von Präsident Macron.
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Die Co-Vorsitzenden der  «Alternative für Deutschland», Tino Chrupalla (l.) und Alice Weidel, sowie der Kandidat für die Europawahl, Rene Aust, können jubeln.

AFP

Darum gehts

  • Bei den Europawahlen behalten etablierte und pro-europäische Parteien ihre Mehrheit.

  • Rechte Parteien erzielten gleichzeitig starke Zugewinne.

  • In Deutschland jubelt die AfD, die Ampel wurde abgestraft. Politologin Jana Lipps findet zudem das starke Abschneiden der Union bemerkenswert.

  • In Frankreich kündigte Präsident Macron nach der Schlappe seines Bündnisses vorgezogene Parlamentswahlen an.

  • Insgesamt bleibt die Erkenntnis: «Die etablierte politische Mitte leidet klar unter Vertrauensverlust der Wähler in die Politik.»

Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien haben laut einer ersten offiziellen Prognose des EU-Parlaments bei der Europawahl grosse Zugewinne erzielt.

Rechtsrutsch – wo am klarsten?

In Deutschland, Österreich und Frankreich: «Es ist bemerkenswert: Marine Le Pens Rassemblement National hat 30 Sitze gewonnen und liegt bei 31,5 Prozent, Emmanuel Macrons Liberales Bündnis ist auf gerade einmal die Hälfte gekommen», sagt ETH-Politologin Jana Lipps. In Italien sehen die Prognosen ebenfalls einen klaren Sieg der «Fratelli d’Italia» um Georgia Meloni voraus.

«Es wird noch spannend zu sehen, wer sich mit wem zusammentut.»

Sereina Capatt

Wichtig werde auch das Abschneiden der Rechtsparteien aus Osteuropa, so Sereina Capatt* vom Schweizer Thinktank foraus: «Polen mit seiner PiS, Ungarn mit der Fidesz und Rumänien mit der anti-europäischen und ultra-nationalistischen AUR – es wird noch spannend zu sehen, wer sich mit wem zusammentun wird.»

Was lief in Deutschland?

Die Ampel erhielt einen Denkzettel. Die AfD erzielte mit 16 bis 16,2 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis bei Europawahlen. Die stärkste Kraft wurde die Union. Die Grünen erlitten die stärksten Einbussen im Vergleich zur EU-Wahl 2019. «Die Regierungskoalition hat als Ganzes eine Schlappe eingefahren», so Politologin Lipps. «Es gab unpopuläre Gesetzesvorhaben, und unter den zahlreichen Streitigkeiten hat das Gesamtbild der Ampel gelitten.» Für die Ampel sei das ein ernüchternder Stimmungstest für die nationalen Wahlen.

«Union scheint Profil geschärft zu haben.»

Jana Lipps

Das Bündnis von Sarah Wagenknecht erzielte einen Achtungserfolg. «Die Partei füllt als linke Alternative mit migrationskritischen Positionen eine Lücke in Deutschlands linkem Parteienspektrum», so Lipps. Interessant sei das starke Abschneiden der Union. «Sie scheint in der Opposition offenbar solide Arbeit geleistet und ihr Profil geschärft zu haben.»

Neuwahlen: Kommt jetzt Präsidentin Le Pen?

Die rechtsnationale Partei Rassemblement National um Marine Le Pen kam den Hochrechnungen zufolge auf 31,5 bis 32,3 Prozent der Stimmen. Präsident Macrons proeuropäisches Lager auf nur etwa 15,2 bis 15,4 Prozent. Nach der deutlichen Niederlage hat Macron vorgezogene Parlamentswahlen angekündigt. «Sein Amt aber stellt Macron nicht zur Verfügung», sagt Dozentin Lipps. «Unter diesen Vorzeichen wird es nach einer Parlamentswahl für ihn aber nicht einfacher, bis 2027 weiter zu regieren.»

«Sein Amt stellt Macron nicht zur Verfügung.»

Jana Lipps

Auch in Deutschland melden sich bereits Stimmen aus der Opposition, wonach Kanzler Scholz im Parlament die Vertrauensfragen stellen solle, was Neuwahlen nach sich ziehen könnte.

Wieso der Rechtsrutsch?

«Die etablierte politische Mitte leidet klar unter Vertrauensverlust der Wähler in die Politik», so Jana Lipps. «Die nationalen Wahlen der letzten Jahre haben das bereits bestätigt, insofern wurde der Rechtsrutsch in diesem Masse erwartet.»

«Politische Mitte leidet unter Vertrauensverlust der Wähler in die Politik.»

Jana Lipps

Der Urnengang fällt in eine Zeit, in der das Vertrauen der Wähler in die Politik durch zahlreiche Krisen auf die Probe gestellt wird: Die EU wurde von der Corona-Pandemie, einem Konjunkturrückgang und einer Energiekrise geplagt, befeuert vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Folgen für die Schweiz

«Ich gehe davon aus, dass die Europawahlen relativ geringen Einfluss auf die Verhandlungsposition gegenüber der Schweiz haben werden», sagt Politologin Lipps. «Die bisherigen Eckpfeiler bleiben, der Ausgang der Verhandlungen wird weiterhin hauptsächlich von innenpolitischen Dynamiken in der Schweiz abhängen.» Die Verhandlungen pausieren, bis die EU-Kommission mitsamt ihrer Präsidentin gewählt ist.

* Dr. Jana Lipps ist Dozentin für europäische Politik an der ETH Zürich und Sereina Capatt ist Co-Geschäftsführerin des Schweizer Thinktanks foraus.

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