Bakel Walden«Der ESC ist nicht die Bühne, um alle Probleme der Welt zu lösen»
Der diesjährige Eurovision Song Contest in Malmö sorgte nicht nur wegen der Musik für Schlagzeilen. Der Chef des ESC-Aufsichtsgremiums zieht ein Fazit.
Darum gehts
Der diesjährige Eurovision Song Contest sorgte für Schlagzeilen.
Aber nicht etwa nur der Musik wegen – der Wettbewerb war so politisch wie nie.
Bakel Walden, Vorsitzender des ESC-Aufsichtsgremiums, spricht mit 20 Minuten über die aufsehenerregende Austragung.
Der Eurovision Song Contest soll eigentlich «durch Musik verbinden», wie es der Slogan des Musikwettbewerbs sagt. Der fröhliche ESC sorgte dieses Jahr aber für Aufsehen. Eine Disqualifikation, Proteste und Kontroversen um eine Teilnehmerin – der ESC war so politisch wie nie. Bakel Walden (48) ist Vorsitzender des ESC-Aufsichtsgremiums und war hautnah dabei. Mit 20 Minuten zieht er ein Fazit und blickt auf den nächsten Eurovision Song Contest in unserem Land.
Herr Walden, in den Medien wird vom schwierigsten ESC gesprochen – sehen Sie das ebenfalls so?
Das war ja mein erstes Jahr als Vorsitzender, daher habe ich nur einen eingeschränkten Vergleichszeitraum. Aber viele andere um mich herum, die schon lange dabei sind, haben von einem historisch schwierigen ESC gesprochen. Und das glaube ich ihnen nach den letzten Wochen und Tagen gerne.
Wie haben Sie den Protest gegen Israel wahrgenommen? In den Shows, vor allem im Finale, waren immer wieder Buhrufe zu hören.
Die Polarisierung war seit Wochen vor Ort und auch bei den Delegationen zu spüren. Grundsätzlich ist es wichtig, dass alle ihre Meinung frei äussern können. Das ist ein wichtiger Teil, wenn so viele Nationalitäten zusammenkommen. Aber beim ESC ist es ebenso wichtig, dass Musik und Kreativität im Vordergrund stehen. Wenn es am Ende nur noch um das Durchsetzen eigener Haltungen geht, dann bleibt nur noch Konflikt statt Kreativität. In einem solchen Umfeld ist dann auch kein Platz mehr vom Ursprungsgedanken des ESC: zusammenzubringen, statt zu spalten.
Auch die Disqualifikation des niederländischen Künstlers Joost Klein sorgt immer noch für Aufsehen. War es rückblickend der richtige Entscheid?
Ja. Und Sie können mir glauben, dass wir noch so gern auf eine zusätzliche Krise verzichtet hätten. Den Vorgang haben die Gremien, in denen gewählte Teilnehmer des ESC zusammensitzen, intensiv diskutiert. Der Entscheid war richtig: Es gab ein inakzeptables Verhalten gegenüber einer Produktionsmitarbeiterin. Wenn über 1000 Menschen bei einer Produktion sind, die in Sicherheit arbeiten wollen, dann müssen nicht nur klare Verhaltensregeln gelten, sondern diese vor allem auch konsequent umgesetzt werden. Und das haben die verantwortlichen Mitglieder der EBU getan.

Beim grossen ESC-Finale lief Nemo mit der Schweizer Flagge auf dem Rücken und der non-binären Flagge auf der Brust auf die Bühne.
IMAGO/TTNemo schmuggelte die non-binäre Flagge in die Show, wie das Gesangstalent selbst sagte. Wurde da gegen eine Regel verstossen?
Die non-binäre Flagge ist, neben den Flaggen der Teilnehmerländer und der Regenbogenfahne, beim ESC zugelassen. Das wurde teilweise vor Ort falsch umgesetzt, was wir bedauern. Nemo hat alles richtig gemacht.
An der Sieges-Pressekonferenz sagte Nemo, dass der ESC «a little bit of fixing» braucht. Was wird die EBU künftig unternehmen?
Grundsätzlich wollen wir bei der Analyse nicht nur auf die schönen Erfahrungen aus Malmö schauen. Auch ich glaube, wir brauchen «a little bit of fixing». Verbalen Hass und Hetze können wir nicht tatenlos hinnehmen. Und ebenso wichtig: Der ESC ist nicht die Bühne, um alle Probleme dieser Welt zu lösen. Hier müssen wir auch klare Grenzen setzen. Wir werden in einen konstruktiven Dialog mit den teilnehmenden Ländern, aber auch mit Künstlerinnen und Künstlern eintreten. Wir haben also einige Hausaufgaben aus Malmö mitgenommen.
Hast du den ESC verfolgt?
Wie blicken Sie persönlich auf die letzten Wochen zurück?
Das war eine unglaublich intensive Zeit, mit vielen Highlights in der Vorbereitung, aber auch mit sehr viel Druck für alle an der Produktion beteiligten Personen. Vor allem überwiegt jetzt die Freude und Dankbarkeit, dass die drei Shows des diesjährigen ESC Millionen von Menschen begeistert haben.
Was ist Ihr Fazit zum Eurovision Song Contest 2024?
Die beiden Halbfinals und der Final waren ganz grosse Unterhaltung. Künstlerinnen und Künstler, Bühne, Licht und die gesamte Organisation vor Ort waren Weltklasse. Aber wir haben auch die Herausforderungen einer solchen Veranstaltung in Zeiten der sich immer weiter zuspitzenden Polarisierung gesehen. Das ist Teil des Fazits und auch des Blicks nach vorn.
Die Stadt wird voraussichtlich im Sommer bekannt gegeben.
Nächstes Jahr findet der ESC in der Schweiz statt – eine riesige Ehre, aber auch Herausforderung für unser Land. Wann wird entschieden, wo der Musikwettbewerb ausgetragen wird?
Die Vorbereitungen für den sogenannten «City Bid» laufen. Die Stadt wird dann voraussichtlich im Sommer bekannt gegeben. Der ESC ist eine Riesenchance für den Austragungsort, daher braucht es ein faires und gut vorbereitetes Vorgehen.
Inwiefern werden Sie als SRG-Geschäftsleitungsmitglied beim nächsten ESC involviert sein?
Operativ ist der ESC woanders angesiedelt. Ich fokussiere als Teil der strategischen Steuerung durch die Geschäftsleitung unter anderem auf den Input der knapp 40 Teilnehmerländer. So können wir uns von Anfang gut abstimmen.
Als Vorsitzender des ESC-Aufsichtsgremiums sind Sie wahrscheinlich jetzt schon mit der Planung des nächsten beschäftigt?
Genau. Es gibt viele Themen, die jetzt schon diskutiert werden. In wenigen Wochen trifft sich unser Aufsichtsgremium schon wieder. Der ESC 2025 hat also hinter den Kulissen schon begonnen.

Bakel Walden arbeitet bei der SRG und dem ESC-Aufsichtsgremium.
zVgNachfolger von Gilles Marchand?
Bakel Walden ist Vorsitzender des Aufsichtsgremiums des Eurovision Song Contest sowie Geschäftsleitungsmitglied der SRG. Aktuell wird spekuliert, ob der 48-Jährige als Nachfolger von Gilles Marchand (62) infrage kommt und SRG-Generaldirektor wird. Auf Anfrage von 20 Minuten meint die SRG: «Zum laufenden Nachfolgeprozess machen wir keine Aussagen.»
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