170’000 ImpfungenEx-BAG-Vize ist besorgt über tiefe Impfquote
Die Kantone wehren sich gegen den Vorwurf, zu langsam zu impfen und schieben die Schuld auf das BAG ab. Damit haben sie nicht unrecht, sagt der ehemalige Vizedirektor des BAG.
Darum gehts
Die Veröffentlichung der Impf-Zahlen aus den Kantonen hat für Kontroversen gesorgt.
Bund und Kantone schieben sich teils gegenseitig die Schuld zu.
Der ehemalige Vize-Direktor des BAG sieht vor allem den Bund in der Schuld.
Die Veröffentlichung der Impfzahlen, aufgeschlüsselt nach Kantonen, hat am Freitag für viel Aufregung gesorgt. Die Politik kritisiert die Trödel-Kantone und fordert sie auf, endlich Gas zu geben. Die Kantone wehren sich und geben dem BAG die Schuld. Alles bloss Ausreden? «Nein», sagt Andreas Faller, Ex-Vizedirektor des BAG. Er findet, die meisten Kantone seien gut vorbereitet gewesen. «Die unterschiedlichen Impfzahlen haben vermutlich vor allem damit zu tun, ab wann die Kantonen zu impfen begonnen haben.»
Faller rät deshalb, im Februar ein erstes Fazit zu ziehen. Die verschiedenen Kantone hätten unterschiedliche Impfstrategien verfolgt. «Im Kanton Basel-Stadt gibt es ein Impfzentrum, während beispielsweise im Kanton Waadt vor allem in den Arztpraxen geimpft wird. Je nach Art dauert es also unterschiedlich lange, bis auf Hochtouren geimpft werden kann.» Im Februar seien die Zahlen aussagekräftiger, weil dann auch alle Kantone im Regulärbetrieb arbeiteten.
«Auch im internationalen Vergleich sehr wenig»
Das Hauptproblem ortet Faller beim Bund. «Was mich besorgt ist, dass bisher nur 170’000 Impfdosen verimpft wurden. Das ist sehr wenig, hat der Bund doch im Dezember 2020 angekündigt, 70’000 Impfungen pro Tag durchzuführen.» Es könne nicht sein, dass gewisse Kantone jetzt in einen Impfstoffengpass kämen. Der Bund hätte deshalb viel früher reagieren müssen. «Wenn man bei jedem der drei Hersteller die volle benötigte Menge von rund 15 Millionen Dosen eingekauft hätte, hätte uns das total 900 Millionen Franken gekostet. Das klingt nach viel, doch eine Woche Lockdown kostet uns mehr als eine Milliarde Franken, diese Ausgabe wäre also mehr als sinnvoll gewesen. Ausserdem hat das Parlament für Beschaffungen im medizinischen Bedarf 2 Milliarden Franken gesprochen.»
Hoffnung setzt Faller deshalb auf den Impfstoff von AstraZeneca, von dem die Schweiz rund 5 Millionen Impfdosen bestellt habe. «Wenn der Impfstoff bald zugelassen wird, kommen wir hoffentlich nur mit einem blauen Auge davon, sonst haben wir dann ernsthafte Probleme.»
Einen Knackpunkt gibt es aber auch beim Vakzin von AstraZeneca. Dessen Wirksamkeit liegt bei 75 Prozent. Die Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer liegen bei 95 Prozent. «Möglicherweise entsteht dann ein Run auf die Impfungen von Moderna und Pfizer, weil diese besseren Schutz bieten.» Rückblickend hätte die Schweiz sich laut Faller bei Moderna und Pfizer viel grosszügiger eindecken müssen.
Auch die «Impf-Turbos» könnten Probleme bekommen
Der Comparis-Gesundheitsexperte Felix Schneuwly sieht auch auf die Kantone Probleme zukommen, die schon sehr viel geimpft haben. «Es könnte nun weniger Impfstoff nachgeliefert werden als erwartet. Gewisse Kantone müssten dann die, drei Wochen nach der ersten, geplante zweite Impfung, verschieben, wenn andere Kantone nicht aushelfen.» In England werde die Frist zwischen erster und zweiter Impfung verlängert, um rasch mehr Menschen zu impfen. Das könne aber die Wirkung des Impfstoffes mindern. «Wie wirksam die Impfung dann aber ist, ist schwer zu sagen», sagt Schneuwly.
Gesundheitsminister Alain Berset räumte an der Medienkonferenz vom Donnerstag ein, dass es für die Kantone nicht einfach sei, die Impfkapazitäten zu steigern. «Es gibt Impfzentren, aber auch Menschen, die man vor Ort impfen muss. Das ist schwierig zu organisieren.» Er gab erstmals konkrete Ziele vor: Ab Februar müssen die Kantone 525 von 100'000 pro Tag impfen, ab Juni dreimal so viel.
Lukas Engelberger, Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, verteidigte indes das Vorgehen der Kantone: «Wir müssen anerkennen, dass die Zulassung etwas früher kam, als wir erwartet hatten», sagt Engelberger. «Im Oktober hätten nicht viele Menschen Geld darauf gewettet, dass bis Ende Jahr noch ein Impfstoff in der Schweiz zugelassen wird. Wir waren sogar noch vor der Kommission der EU.»
Darum ist Appenzell Innerrhoden ganz vorne mit dabei
Im Kanton Appenzell Innerrhoden sind bereits 5,1 Prozent der Bevölkerung geimpft. Laut Sprecherin Michaela Inauen konnte der Kanton rasch eine passende Impfstrategie festlegen und schon am 23. Dezember als Pilotkanton mit dem Impfen loslegen. Konkret habe eine effiziente Planung geholfen, das pragmatische Umsetzen der Vorgaben, kurze Wege, der Einbezug der Hausärztinnen und -ärzte und eine gute Koordination der verantwortlichen Stellen. «Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Planung in einem kleinen Kanton einfacher ist, als in einem grösseren», sagt Inauen. Sie weist auch darauf hin, dass bei einem kleinen Kanton statistische Werte immer mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen seien.