Austausch mit BevölkerungExperte rechnet mit grossem Polizeiaufgebot bei Bundesrats-Auftritt
Trotz hitziger Stimmung und Ausschreitungen an Demos mischt sich der Bundesrat am Mittwoch unters Volk. Besucher müssen mit Personen- und Gepäckkontrollen rechnen.
Darum gehts
Am Mittwoch hält der Bundesrat seine Sitzung in Luzern ab. Danach lädt er die Bevölkerung zu einem Austausch ein.
Jüngst kam es an Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen des Bundesrats mehrfach zu Ausschreitungen.
Trotzdem will der Bundesrat die Bevölkerung treffen. Ein Experte rechnet damit, dass dies nur unter hohen Sicherheitsvorkehrungen möglich sein wird.
Der Gesamtbundesrat gibt sich am kommenden Mittwoch bürgernah: Anstatt in Bern hält er seine Sitzung in Luzern ab. Im Anschluss lädt er die Bevölkerung zu einem Austausch im Verkehrshaus ein. Er will so «seine grosse Verbundenheit mit den verschiedenen Regionen unseres Landes zum Ausdruck bringen», wie es in einer Mitteilung heisst.
Die Bevölkerung dieses Landes ist derzeit aber nicht nur glücklich mit den Entscheiden des Bundesrats: Mehrmals pro Woche wird gegen dessen Corona-Politik demonstriert, wobei es zuletzt auch wiederholt zu Auseinandersetzungen gekommen ist.
Corona-Rebellen: «Der demokratische Weg ist vorbei»
Auch für Mittwoch ist eine Aktion geplant: Im Telegram-Chat der «Corona-Rebellen» kursiert ein Flyer, der zu einer Kundgebung vor dem Verkehrshaus aufruft. «Alain Perverset» wird als «VIP-Gast» angekündigt, auf dem Flyer ist eine Fotomontage von Gesundheitsminister Alain Berset (SP) mit Dauerwelle zu sehen (siehe Bildstrecke oben).
Die Kommentare sind gehässig, beleidigend und enthalten teils auch Drohungen. So ist die Rede davon, faule Eier und Tomaten zu werfen. «Ich nehme Steine mit!», schreibt eine Person. Ein anderer User geht noch weiter: «Hoffentlich gibt es niemanden, der den Bundesrat nicht gerne hat und der auch noch bewaffnet ist. Oh das gibt es ja, nämlich das Schweizer Volk», schreibt er. Eine Aufforderung, die Kritik über den demokratischen Weg zu äussern – die Abstimmung über das Referendum zum Covid-Gesetz wird beantwortet mit: «Der demokratische Weg ist vorbei!»
Sicherheitsbehörden schweigen über Massnahmen
Gemäss der Staatskanzlei des Kantons Luzern ist der Anlass öffentlich, eine Voranmeldung ist nicht nötig. Am Eingang seien ein Covid-Zertifikat und ein Ausweis vorzuweisen. Verantwortlich für die Sicherheit der Bundesrätinnen und Bundesräte ist das Fedpol. «Wir sind über das Ereignis informiert und beurteilen laufend, ob und in welchem Ausmass die Bundesrätinnen und Bundesräte gefährdet sind. Aufrufe zu Demonstrationen fliessen in diese Beurteilung ein», sagt Mediensprecherin Mélanie Lourenço. Verantwortlich für die Umsetzung sei die Luzerner Polizei.
Über die konkreten Sicherheitsmassnahmen schweigen sich sowohl das Fedpol als auch die Luzerner Polizei aus. Lourenço vom Fedpol sagt auf Nachfrage lediglich: «Je nach Situation kann es angebracht sein, Personen- und Gepäckkontrollen durchzuführen».
«Mobile Scanner und Sondereinheit könnten zum Einsatz kommen»
Für den ehemaligen Basler Kriminalkommissar Markus Melzl ist indes klar: «Gerade in der derzeit aufgeheizten Stimmung und angesichts der Drohungen ist davon auszugehen, dass Polizei und Fedpol das Sicherheitsdispositiv verschärfen werden.» Möglich sei auch, dass das Fedpol dem Bundesrat aufgrund der brisanten Ausgangslage vom direkten Austausch mit der Bevölkerung abgeraten habe. «Letztlich entscheidet aber jeder Bundesrat und jede Bundesrätin selber, ob er oder sie das Risiko eingehen will», sagt Melzl.
Dass Personen ohne Kontrolle in den Raum gelassen werden, ist für Melzl schwer vorstellbar. «Denkbar wäre etwa der Einsatz mobiler Scanner, ähnlich denen, die an Flughäfen zum Einsatz kommen.» So könne kontrolliert werden, ob jemand eine Waffe, Steine – oder eben auch faule Eier dabei hat.
Auch im Raum, in dem die Begegnung selber stattfindet, sind laut Melzl Sicherheitsvorkehrungen nötig: «Auch wenn kein eigentlicher Anschlag befürchtet wird, braucht es Sicherheitskräfte. Sie müssten etwa eingreifen, wenn jemand einen Bundesrat oder eine Bundesrätin anspucken, anpöbeln oder – wie kürzlich im Fall der Zürcher Gesundheitsdirektorin Nathalie Rickli – mit einem Getränk überschütten will.» Für diesen direkten Schutz der Bundesrätinnen und Bundesräte könnten laut Melzl auch zivil gekleidete Sicherheitsleute oder Spezialeinheiten zum Einsatz kommen. Bei Bersets Auftritt in der «Arena» war etwa die Sondereinheit «Skorpion» für Bersets Sicherheit zuständig.
Auch Rimoldi von «Mass-voll» wird vor Ort sein
Dass zeitgleich eine nicht bewilligte Demonstration direkt vor dem Verkehrshaus stattfinden soll, erschwert die Situation für die Sicherheitsbehörden laut Melzl zusätzlich: «Diese Demo wird sicher mit Zäunen oder einem Polizeikordon auf Abstand gehalten werden müssen. Auch wenn es etwas ironisch anmutet, dass der Bundesrat sich bürgernah zeigen will, zugleich aber eine grössere Menschenmenge polizeilich auf Abstand halten muss – die Sicherheit des Bundesrats hat hier Vorrang.»
«Mass-voll»-Gründer Rimoldi: «Das ist unethisch und spaltend»
Auch Nicolas A. Rimoldi, Gründer der massnahmenkritischen Bewegung «Mass-voll», wird die Gelegenheit zum Austausch mit dem Bundesrat am Mittwoch ebenfalls wahrnehmen. «Gerade in diesen Zeiten der Spaltung finde ich es wichtig, dass insbesondere Alain Berset sich seinen härtesten Kritikern stellt», sagt er. Dass der Bundesrat sich nur mit zertifizierten Menschen trifft, findet er «unethisch und spaltend»: «Ungeimpfte und Ungetestete gehören genau gleich zur Bevölkerung wie Geimpfte», sagt Rimoldi. Aufgrund der beschränkten Zeit will er Berset zu einer Debatte zu einem späteren Zeitpunkt einladen: «Ich würde gerne eine Stunde lang live mit Herr Berset über die Corona-Politik diskutieren und bin gespannt, ob er auf den Vorschlag eingehen wird.»
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