Mental HealthExperten besorgt über Zunahme an Panikattacken wegen Corona
Depressive Verstimmungen, Angst und Panikattacken: Fachleute berichten von beunruhigenden Folgen der Pandemie, die insbesondere Junge treffen. Sie warnen vor Folgeschäden.
Darum gehts
«Plötzlich habe ich keine Luft mehr gekriegt, es fühlte sich an, als sitze mir jemand auf der Lunge.» Das sagte Influencerin Mimoza kürzlich in einer Instagram-Story. Auf einen Aufruf meldeten sich viele vorwiegend junge Menschen und erzählten von ihren eigenen Panikattacke seit Corona.
Roger Staub, Geschäftsleiter der Stiftung Pro Mente Sana, zieht Zahlen aus der Swiss Corona Stress Study heran, um das Ausmass des Problems zu verdeutlichen: «Vor der Pandemie litten vielleicht gegen sieben Prozent der 14- bis 24-Jährigen an schweren depressiven Symptomen. Heute sind es um 30 Prozent, also viermal mehr.» Laut Staub müsse man leider damit rechnen, dass in der Folge auch Gedanken an Suizid und versuchte Suizide bei den unter 24-Jährigen zunehmen werden.
«Dauerstress belastet die Psyche»
Corona stelle für junge Menschen auf mehreren Ebenen eine Belastung dar: «Sie sorgen sich um ihre schulische und berufliche Zukunft. Und sie haben Angst, das Leben zu verpassen. Vieles, was für junge Menschen in dieser Phase wichtig ist – Ausgang, Erfahrungen sammeln, Reisen, der Austausch mit Gleichaltrigen – ist in dieser Pandemie nicht möglich», sagt Staub. Durch die Isolation seien die Jugendlichen häufiger auf Social Media. «Auch übermässiger Social Media-Konsum ist auf Dauer nicht gesund.» All diese Faktoren führten zu einem Dauerstress bei Jugendlichen, der viele psychisch belaste und zu Depressionen oder Angststörungen führen könne.
Dass in der Pandemie Panikattacken, allgemeine Ängstlichkeit, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen zugenommen haben, sagt auch Josef Hättenschwiler, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Medizinischer Leiter des Zentrums für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ). «Auch Menschen ohne psychische Vorerkrankungen litten aufgrund der veränderten Umstände und der sozialen Isolation vermehrt unter Ängsten.»
«Man kann Angststörungen entgegenwirken»
Angst per se ist laut Hättenschwiler nichts Schlechtes. «Sie bekommt erst Krankheitswert, wenn sie ohne reale Gefahr auftritt, also aus der Situation heraus nicht nachvollziehbar ist.» Angst werde zum Problem, wenn man ihretwegen Situationen vermeide und sie letztlich den Alltag behindere. Stress, emotionale Belastungen und negative Denkmuster spielen als Auslöser von Panikattacken und damit auch bei der Entwicklung einer Panikstörung eine wichtige Rolle.»
Die Panikattacke zeichnet sich gemäss Hättenschwiler durch ihre Plötzlichkeit aus: «Betroffene leiden oft an Schweissausbrüchen und haben enorme Angst, etwa einen Herzinfarkt zu erleiden oder gar zu sterben. Die Heftigkeit der Attacke ist derart prägend, dass selbst informierte Betroffene es für wahrscheinlich halten, dass gerade ein bedrohliches, körperliches Problem vorliegt.» Man könne der Angststörung jedoch entgegenwirken (siehe Box, unten).
«Wartezeiten für Therapien haben sich verdreifacht»
Die Experten sind sich einig, dass Beratungsangebote und professionelle Hilfe ausgebaut werden müssten. «Die dargebotene Hand oder psychotherapeutische Interventionen für Kinder und Jugendliche kamen in den letzten Monaten an ihre Grenzen», sagt Hans Kurt vom Aktionsbündnis Psychische Gesundheit Schweiz. Er rät Betroffenen in erster Linie dazu, über ihre Probleme zu reden. «Das muss nicht immer ein professionelles Angebot sein. Auch ein Gespräch mit den Eltern, der Schulsozialarbeiterin oder Gleichaltrigen kann helfen.»
Roger Staub warnt: «Durch die Pandemie haben sich die Wartezeiten bei therapeutischen Angeboten für Kinder und Jugendliche teils verdreifacht. Während die Wirtschaft mit Milliarden gerettet wurde, ist bei der Behandlung psychischer Folgeschäden der Pandemie nichts passiert.» Es drohe eine ganze Generation geschädigt zu werden. «Die heutigen Jungen sind die Arbeits- und Fachkräfte von morgen. Auch aus wirtschaftlicher Sicht wäre es zentral, sie vor psychischer Belastung zu schützen. Wir können es uns nicht leisten, dass in Zeiten des Fachkräftemangels eine ganze Generation nicht richtig performt.»