FDP und SVP wollen den Kindesschutz nicht ausweiten

Aktualisiert

FDP und SVP wollen den Kindesschutz nicht ausweiten

Kita-Mitarbeiterinnen oder Tagesmütter sollen verpflichtet werden, der Kesb Verdachtsfälle von Kindsmisshandlungen zu melden. FDP und SVP sperrten sich im Nationalrat dagegen – mit Erfolg.

Raphaela Birrer
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Raphaela Birrer
SVP und FDP blockierten erfolgreich die Ausweitung des Kindesschutzes: Ein Kind bei einer Tagesmutter. (Symbolbild)

SVP und FDP blockierten erfolgreich die Ausweitung des Kindesschutzes: Ein Kind bei einer Tagesmutter. (Symbolbild)

Keystone

1405 Fälle von Misshandlungen haben die Kinderkliniken in der Schweiz im Jahr 2014 registriert. 40 Prozent der betroffenen Kinder waren unter sechs Jahre alt. Dabei dürfte es sich jedoch nur um die Spitze des Eisbergs handeln – die Dunkelziffer ist in diesem Bereich hoch. Wegen der alarmierenden Zahlen will der Bundesrat den Kindesschutz ausbauen. Er möchte Fachpersonen, die beruflich regelmässig mit Kindern Kontakt haben, verpflichten, bei Verdacht auf Kindswohlgefährdung der Kindesschutzbehörde (Kesb) Meldung zu erstatten.

Bisher besteht eine solche Pflicht nur für Personen in amtlicher Tätigkeit, etwa Lehrer oder Sozialarbeiter. Neu würde sie auch für Angestellte von Kinderkrippen, Tagesmütter, Musiklehrer oder professionelle Sporttrainer gelten. Zudem will der Bundesrat die Melderechte von Berufsgeheimnisträgern vereinheitlichen. Ärzte, Psychologen oder Anwälte sollen nicht verpflichtet, aber berechtigt sein, eine Meldung zu erstatten – ohne sich vorher vom Berufsgeheimnis entbinden zu lassen.

FDP und SVP sperren sich

Von all dem wollen FDP und SVP aber nichts wissen. Sie wollten heute nicht einmal auf die Bundesratsvorlage eintreten. Mit 96 zu 88 Stimmen bei 2 Enthaltungen bodigten sie das von allen anderen Parteien getragene Anliegen. Die bestehenden kantonalen Regelungen reichten aus, lautete der Tenor. Zudem warnte die rechte Ratsseite vor unbegründeten Gefährdungsmeldungen. Weil der Begriff Kindeswohl im Zivilgesetzbuch nicht definiert sei, könne er jederzeit anders interpretiert werden, sagte Pirmin Schwander (SVP).

Sogar seine Parteikollegin Natalie Rickli, die sich vehement für härtere Strafen bei Kindsmissbrauch einsetzt, kann dem Anliegen nichts abgewinnen: «Bereits heute hat jeder die Möglichkeit, einen Verdacht zu melden. Und wer täglich mit Kindern zu tun hat, ist umso sensibilisierter.» Die Ausweitung der Meldepflicht hätte eine kontraproduktive Wirkung, ist Rickli überzeugt: «Sie würde die Fachpersonen unter Druck setzen und voreilige Meldungen begünstigen.»

Entscheidungsspielräume für Fachpersonen

Das ist denn auch der Grund, weshalb der Verband Kinderbetreuung Schweiz dagegen ist. «Gefährdung ist ein weiter Begriff und deshalb sollen Fachpersonen Entscheidungsspielräume haben, welche Vorgehensweise für das Wohl des Kindes zielführender ist», schrieb Kibésuisse in der Vernehmlassungsantwort. SVP-Nationalrätin Nadja Pieren, die selbst eine Kinderkrippe betreibt, sagt: «Die Meldepflicht würde zu einer grossen Verunsicherung führen. Den Behörden würden auch Kleinigkeiten gemeldet, weil sich die Kita-Mitarbeiterinnen nicht strafbar machen wollten.»

Für Catherine Moser von der Stiftung Kinderschutz Schweiz sind diese Ängste unbegründet: «Wer professionell mit Kindern arbeitet und gezielt für die Erkennung von Gefährdungen geschult und sensibilisiert ist, hat die Fachkompetenz, um in Risikosituationen adäquat zu reagieren.» Moser ist enttäuscht, dass sich der Nationalrat nicht einmal auf die Diskussion eingelassen hat, wie die Schwachstellen im Kindesschutz behoben werden könnten. Und davon gebe es genügend: «Vorrangig hätte durch die Vereinheitlichung der kantonale Flickenteppich behoben werden können.» Heute gelten in den Kantonen unterschiedliche Melderegelungen. Damit seien die Kinder je nach Wohnort besser oder schlechter geschützt.

Keine Abstriche beim Kinderschutz

Auch SP-Nationalrätin Yvonne Feri bedauert den Entscheid – damit würden letztlich die Täter geschützt. Sie führt ihn unter anderem auf die «Schweizer Mentalität» zurück: «Wenn etwas hinter verschlossener Tür geschieht, will man nicht hinschauen. Deshalb ging es auch so lange, bis häusliche Gewalt als Offizialdelikt gewertet wurde.» Doch beim Kindesschutz dürften keine Abstriche gemacht werden: Werde mit einer Meldung gewartet, bis eine Straftat vorliege, hätten die betroffenen Kinder häufig schon irreparable Schäden.

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