Feiertag 9. MaiPutin feierte in Moskau - Kiew nahm Krim-Brücke ins Visier
Moskau feiert den Sieg über Nazi-Deutschland und die Ukraine muss sich wappnen, sagt Oberst Markus Reisner im Interview. Doch da ist auch noch die Kertsch-Brücke.
Darum gehts
Am 9. Mai feiert Russland den Tag des Sieges über Nazi-Deutschland.
Moskau intensiviert rund um dieses Datum seine Angriffe auf die Ukraine.
Offenbar will auch Kiew in diesen Tagen «Grüsse» nach Moskau schicken.
Es gab offenbar Versuche, die Kertsch-Brücke anzugreifen, die das russische Festland mit der annektierten Halbinsel Krim verbindet.
Das berichtet Oberst Markus Reisner im Gespräch mit 20 Minuten.
Mehr über Oberst Reisner könnt ihr hier nachlesen.
Zum Tag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg hüllt sich Russland am 9. Mai in patriotischen Prunk. Präsident Wladimir Putin hat den Feiertag zu einer Säule seiner fast ein Vierteljahrhundert andauernden Herrschaft gemacht. Er nutzt den Tag in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine auch als Rechtfertigung für sein verheerendes Vorgehen.
Oberst Reisner, greift Moskau an dem symbolträchtigen Datum die Ukraine noch stärker an?
Die russischen Streitkräfte sind schon Tage vor dem 9. Mai massiv in die Offensive gegangen. Damit einher ging auch ein Informationsfeldzug: Soldaten hissten in den letzten Tagen immer wieder russische Flaggen in neu eroberten ukrainischen Dörfern, und schon am 1. Mai wurde in Moskau eine Ausstellung mit erbeutetem westlichen Militärgerät eröffnet, vor einem Fahnenmeer mit dem Wort «Popeda», also «Sieg». Der 7. Mai war geprägt von der Inauguration Putins – einer von vorne bis hinten durchchoreografierte Inszenierung, die dem russischen Volk und der Welt zeigen sollte, dass Putin fest im Sattel sitzt. Gestern, am 8. Mai, wurde dann in der Frühe ein massiver Marschflugkörperangriff auf ukrainische Ziele eingeleitet. Nicht zufällig unmittelbar vor dem 9. Mai.
«Ein einzelner russischer T34-Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg fuhr über den Roten Platz.»
Die Militärparade auf dem Roten Platz fiel letztes Jahr vergleichsweise kümmerlich aus. Und heute?
Die Parade fällt auch dieses Jahr bei weitem nicht so aus wie früher. Es sind viel weniger Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und anderes Militärgerät zu sehen, da man dies alles an der Front hat. Ein einzelner russischer T34-Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg fuhr über den Roten Platz. Aber wie gesagt: In diesen Tagen ist die Inszenierung des Präsidenten das Wichtigste, denn hier geht es darum, die russische Bevölkerung hinter dem Präsidenten zu scharen.
Schickt auch Kiew zum 9. Mai «Grüsse» nach Moskau?
Das ist bereits in den letzten Tagen versucht worden. Unbemannte ukrainische Marinedrohnen haben versucht, südlich der Krim bis zur Kertsch-Brücke vorzudringen. Das Besondere bei diesem Angriff war, dass man gesehen hat, dass einige der Boote mit Boden-Luft-Flugabwehrsystemen bewaffnet waren.
«Die Marinedrohnen waren mit Boden-Luft-Flugabwehrsystemen bestückt.»
Was ist daran besonders?
Es ist ganz interessant: Wäre es nur ein Vorfühlen von unbemannten Schiffen in diese Richtung gewesen, könnte man von einem Test der Ukrainer ausgehen, inwieweit sie in der Lage sind, die russischen Verteidigungsanstrengungen um die Kertsch-Brücke zu durchbrechen. Aber die Marinedrohnen waren mit Boden-Luft-Flugabwehrsystemen bestückt. Man kann also davon ausgehen, dass das tatsächlich ein Versuch war, zur Brücke vorzudringen und dabei russische Marinehelikopter abzuschiessen. Denn wäre es nur ein Testen gewesen, hätte man diese Hochwertwaffensysteme nicht mitgeschickt, weil davon gibt es nicht viele. Es wäre ja völlig widersinnig, solche Hochwertwaffensysteme nur beim Testen des Gegners mitzunehmen. Aber letztlich muss es den Russen gelungen sein, die Angriffe abzuwehren. Doch man kann durchaus davon ausgehen, dass die Ukrainer möglicherweise auch heute am 9. Mai versuchen werden, massive Angriffe mit Drohnenschwärmen und Scalp-Marschflugkörpern respektive Stormshadows z.B. auf Raffinerien durchzuführen. Ob sie erfolgreich sind oder nicht, wird dann spätestens die Berichterstattung zeigen.
«Das dürfte die Ukraine weiter versuchen – mit den Versuchen, die Kertsch-Brücke zu zerstören.»
Es heisst: Strategisch bringe es nichts mehr, die Kertsch-Brücke anzugreifen, da Russland die Brücke nicht mehr für militärische Transporte nutzt. Was sagen Sie dazu?
Heute hätte die Zerstörung der Brücke tatsächlich keinen unmittelbaren Impact auf den Kriegsverlauf mehr. Die Russen haben die ausgebauten Eisenbahnlinien mittlerweile so tragfähig gemacht, dass sie den Transport mit diesen Landverbindungen kompensieren können. Wäre aber die ukrainische Sommer-Offensive letztes Jahr durchgeschlagen und dabei die Kertsch-Brücke zerstört worden, wären die russischen Kräfte auf der Krim, aber auch in Cherson und in Saporischschja tatsächlich isoliert worden. Dann hätte Kiew eine Art Faust- oder Verhandlungspfand gehabt. So hat die Ukraine 2023 ein günstiges Zeitfenster verloren.
Was wären denn mittelbare Auswirkungen, sollte die Brücke doch noch fallen?
Das würde vor allem im Informationsraum hohe Wellen schlagen, weil man ein absolutes Prestige- und Symbolprojekt Putins zerstört hätte. Sollte die Brücke zerstört werden, könnte sich aber doch noch ein Vorteil für die Ukraine ergeben. Etwa, wenn sie im gleichen mit den jetzt eintreffenden US-Kurzstreckenraketen ATACMs gezielt die russischen Eisenbahnlinien zwischen Melitopol und Mariupol angreift. Also Weichen und Umspannwerk, Frachtenbahnhöfe, Be- und Entladebahnhöfe, Überführungen – was natürlich Unterbrechungen nach sich ziehen würde. Das dürfte auch die Ukraine in Russland weiter versuchen, in Kombination mit den Versuchen, die Kertsch-Brücke zu zerstören.
Der 9. Mai in Russland
In ganz Russland finden am 9. Mai Kranzniederlegungen an Denkmälern und Gedenkstätten statt, besonders an Orten, die den Gefallenen gewidmet sind. Die Sowjetunion verzeichnete im Zweiten Weltkrieg etwa 27 Millionen Opfer. Viele Historiker halten dies für eine konservative Schätzung.
Seit seinem Machtantritt Ende 1999 hat der russische Präsident Wladimir Putin den Gedenktag zu einem bedeutenden Ausweis seiner politischen Agenda gemacht.
Der 71-Jährige spricht regelmässig über seine Familiengeschichte, darunter die schwere Kriegsverletzung seines Vaters, dessen Foto er bei Märschen zum Tag des Sieges über Jahre mit sich trägt.
Als Putin am 24. Februar 2022 Truppen in die Ukraine schickte, nutzte er auch den Zweiten Weltkrieg, um dies zu rechtfertigen. Er rief unter anderem das Kriegsziel einer «Denazifizierung» der Ukraine aus und charakterisierte die Regierung von Präsident Wolodimir Selenski, der jüdisch ist und Angehörige im Holocaust verlor, als Neo-Nazis.
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