Unterschiedliche PrioritätenFeminismus sorgt für Generationen-Streit
Gendergerechte Sprache, sich als Feministin bezeichnen und neue Erwartungen an den Partner: Junge Frauen definieren den Feminismus anders als ihre Vorgängerinnen.
Darum gehts
Jüngere Frauen sehen bei der Gleichstellung noch mehr Aufholbedarf als ältere.
Sie sprechen sich auch öfter für die Verwendung gendergerechter Sprache aus.
Das zeigt eine Umfrage im Auftrag der «Annabelle».
Das sagen Frauen zum «Generationen-Graben».
Und das sind die Auswirkungen.
In der Gesellschaft findet ein Wertewandel statt: Jüngere Frauen zwischen 16 und 34 Jahren bezeichnen sich im Gegensatz zu älteren Generationen öfter als Feministinnen: 61 Prozent haben keine Hemmung, sich als Feministinnen zu bezeichnen. Mit steigendem Alter nimmt der Anteil ab. Junge Frauen fühlen sich auch stärker diskriminiert als ihre Mütter. Sie legen beispielsweise Wert auf eine gendergerechte Sprache. Von ihrem Partner erwarten sie, dass er sie im Job unterstützt und gut zuhören kann – Qualitäten, die bei älteren Frauen weniger weit oben auf der Prioritätenliste stehen. Das zeigt eine Sotomo-Umfrage der Zeitschrift «Annabelle» bei über 6000 Frauen (siehe Box).
Gendergerechte Sprache: Ein deutlicher Unterschied zwischen den Frauen-Generationen tut sich bei der Frage auf, wie wichtig geschlechtergerechte Sprache ist. 40 Prozent der jungen Frauen (16 - 34) findet das “Gendern” wichtig und fordern, es konsequent umzusetzen. Besonders hoch ist die Zustimmung bei Akademikerinnen. Bei den älteren Frauen liegt der Anteil jener, die sich das ebenfalls wünschen, bei 21 Prozent.
Bezeichnung als Feministin: 61 Prozent der 16- bis 24-Jährigen haben keine Hemmungen, sich als Feministin zu bezeichnen. Mit steigendem Alter nimmt der Anteil ab.
Rollenbilder: 48 Prozent der befragten Frauen über 65 geben an, ihr Partner überlasse ihnen viele Aufgaben im Haushalt ganz selbstverständlich. Das gibt es bei den Jüngeren nicht mehr: In der Altersgruppe der 16- bis 34-Jährigen sind es noch 35 Prozent.
Gleichstellung: «Es sind eher die jüngeren Frauen, die nicht zufrieden sind mit dem Stand der Gleichstellung in der Schweiz», heisst es in der Studie.
«Feminismus ist kein negativer Kampfbegriff mehr»
Warum spaltet der Feminismus die Frauen entlang der Altersgrenze? Für Studienautorin Sarah Bütikofer hat dies zuerst mit dem Umfeld zu tun, in dem heute 20-Jährige aufgewachsen sind. «Für sie ist Feminismus kein negativer Kampfbegriff mehr.»
Zudem habe die #MeToo-Bewegung oder die frauenfeindlichen Ausfälle von Donald Trump gerade junge Frauen weltweit mobilisiert. Gleichzeitig zeige sich der gesellschaftliche Wandel auch im Alltag: «Junge Frauen sind mit genderneutralen Formulierungen aufgewachsen und jüngere Männer übernehmen auch im Haushalt mehr Verantwortung.»
«Sichtbarkeit der Frauen ist wichtig»
Sophie Achermann (28) von der Frauenorganisation Alliance F erklärt: «Nachdem unsere Vorgängerinnen in den 90er-Jahren gegen das Patriarchat, für den Mutterschaftsurlaub oder den Gleichstellungsartikel gekämpft haben, ist uns auch die Sichtbarkeit der Frauen wichtig.» Sie betont, dass gesetzliche und materielle Verbesserungen genauso wichtig seien wie eine Sprache, die alle einschliesse. «Feminismus heisst: Das Stück der Torte ist für alle gleich gross.»
Juso-Präsidentin Ronja Jansen (26) ergänzt: «Heute geht es nicht mehr nur um gesetzlich festgeschriebene Ungerechtigkeiten wie das Stimmrecht, sondern auch um subtilere Diskriminierungen.» Sie hofft, dass die älteren Generationen dies berücksichtigen. Denn: «Mit ihrer hohen Stimmbeteiligung sind die älteren Generationen bei Abstimmungen zentral – sie können uns helfen, Ungerechtigkeiten rascher zu beseitigen.»
SVP-Frau stört der «junge, linke Feminismus»
Ältere, konservative Frauen haben Mühe mit der Entwicklung. Für SVP-Nationalrätin Monika Rüegger (52), die erste Obwaldnerin in Bundesbern, ist klar, dass gerade ältere Frauen mit dem radikalen Feminismus immer weniger anfangen können. Sie stört sich daran, dass sich junge, gut ausgebildete Frauen in die «Opferrolle flüchten». Dabei hätten die Frauen noch nie so viele Chancen – in der Familie und auf dem Arbeitsmarkt – gehabt wie heute. Sie stellt weiter fest, dass der «junge, linke Feminismus» von Intoleranz geprägt sei: «Er richtet sich gegen alle Frauen, die nicht auf diesem einseitig ideologischen Kurs sind. Will eine Frau Gleichstellung anders, zum Beispiel mit der Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie leben, wird sie gecancelt.»
Babette Sigg Frank (58), Präsidentin der CVP-Frauen Schweiz, sieht sich zwar ebenfalls als «moderate Feministin. Sie stellt etwa Unterschiede zwischen den Generationen bei der Frage nach der geschlechtergerechten Sprache fest. «Binnen-I und Gendersternchen finde ich furchtbar», sagt sie. Dass gerade viele junge Feministinnen das als dringendes Thema betrachten, versteht sie nicht.
Sie erklärt sich das damit, dass Frauen in ihren Zwanzigern bis Dreissigern noch weniger Gedanken um Gleichstellung in sachpolitischen Fragen machten. Sie seien deshalb für feministische Trend-Themen wie Gender-Sprache empfänglich. «Frauen ab 40 sehen dann aber, dass für sie die dringendsten Probleme nicht die Binnen-I, sondern die Altersvorsorge, die Lohnungleichheit und die gläserne Decke sind», sagt Sigg.
Wirst du oder wird jemand, den du kennst, aufgrund des Geschlechts diskriminiert?
Hier findest du Hilfe:
Gleichstellungsbüros nach Region
Logib, Lohngleichheits-Analyse des Bundes
Gleichstellungsgesetz.ch, Datenbank der Fälle aus Deutschschweizer Kantonen
Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann
Was bewirken die Frauen?
Was bedeutet der Generationen-Graben für die Politik? Politologin Sarah Bütikofer sagt: «Der Weg von politischen Forderungen bis zu einem neuen Gesetz ist lang. Im Parlament sitzen aber seit 2019 viel mehr junge Frauen als früher, die geschlechterpolitische Anliegen haben und diese lautstark einbringen», sagt Politologin Bütikofer. «Zum Teil sind ihre Forderung ziemlich radikal und kaum mehrheitsfähig.» Trotzdem können die jungen Feministinnen hoffen. «Helvatia ruft, Frauenstreik und das neu erwachte feministische Bewusstsein hat bereits viele junge Frauen ins Parlament gebracht. Die Emma-Watson-Generation unterstützt frauenpolitische Forderungen», sagt Bütikofer.
«Viele Frauen in der Schweiz stellen erst fest, wenn sie Mutter werden, wie schwierig die Vereinbarkeit ist und wo überall Verbesserungen nötig sind», sagt Bütikofer. Zum Beispiel hätten gerade kürzlich die FDP Frauen eine Volksinitiative zur Individualbesteuerung mit dem Argument der Gleichberechtigung lanciert.

Politologin Sarah Bütikofer.
© Genia Ivaschenko