Femizid Emmenbrücke20 Jahre Haft – «er gab dem Opfer keine Chance»
Ein Schweizer steht vor dem Luzerner Kriminalgericht, weil er seine Freundin mit insgesamt 60 Messerstichen getötet haben soll. Die Staatsanwältin fordert, dass er lebenslänglich hinter Gitter wandert – der Verteidiger einen Freispruch. Heute soll das Urteil verkündet werden. 20 Minuten ist vor Ort und tickert live.

Beim Opfer handelt es sich um eine 29-jährige Frau, die in Honduras aufgewachsen war und zum Tatzeitpunkt im Tessin wohnte.
Was geschah
Ein damals 33-jähriger Schweizer steht am Montag und Dienstag vor dem Luzerner Kriminalgericht, weil er am 8. Juli 2021 seine Frau getötet haben soll. Der Sportlehrer erstach die 29-Jährige aus dem Tessin mutmasslich mit einem Messer. Das Opfer war Mutter dreier Kinder, war unter anderem als Fitnesstrainerin aktiv und war in Honduras aufgewachsen.
Die Luzerner Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für den Mann und beschuldigt ihn des Mordes. Ausserdem soll sich der mutmassliche Täter einer psychologischen Behandlung unterziehen.

Am 8. Juli soll ein Luzerner seine Freundin getötet haben.
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Prozess ist fertig
Der Prozess ist zu Ende. Sollte das Urteil weitergezogen und am Obergericht verhandelt werden, wird 20 Minuten weiterhin über den Fall berichten.
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Fall kann weitergezogen werden
Sowohl der Täter als auch die Staatsanwaltschaft und die Privatklägerin haben jetzt zehn Tage Zeit, um gegen das Urteil Berufung einzulegen. Die nächste Instanz, die den Fall behandeln würde, wäre das Obergericht.
Täter schreit Richterin an
«Sie drei werden heute zu Straftätern», sagt der Verurteilte nun zu den drei Richterinnen und Richtern. «Sind Sie sich zu 100 Prozent sicher, dass Sie mir das Leben ruinieren möchten?», schreit der 36-Jährige jetzt. Das Gericht will jedoch nicht diskutieren.
Nun beginnt auch der Vater des Verurteilten zu diskutieren. Die Verhandlung wird jedoch beendet und die Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Gerichtssaal hinausbegleitet.
221'000 Franken für die Kinder des Opfers
Auch die Forderung nach Schadenersatz sei gerechtfertigt. Deshalb werde er verpflichtet, den minderjährigen Kindern einen Schadenersatz in der Höhe von 10'857 und eine Genugtuung von insgesamt 210'000 Franken (pro Kind 70'000 Franken) zu bezahlen.
20 Jahre Haft
«Er hat das Opfer mit dem Messer zielgerichtet angegriffen», fährt die Richterin fort. «Lügnerin», sagt der Angeklagte. «Er gab dem Opfer keine Chance», heisst es jetzt. Die Frau «muss Todesangst erlitten haben und qualvoll gestorben sein.»
«Es gibt kein Pardon für so einen brutalen Femizid», sagt sie nun. Deshalb soll er lebenslänglich hinter Gitter, erklärt die Richterin nun. Aufgrund der bereits abgesessenen Untersuchungshaft und einer «leichten Schuldunfähigkeit» müsse er insgesamt 20 Jahre ins Gefängnis.
Zudem solle er sich einer ambulanten psychiatrischen Behandlung unterziehen.
Wegen Mord verurteilt
«Zusammenfassend folgt das Gericht grundsätzlich der Anklage», sagt die Richterin jetzt. «Falsch», flüstert der Beschuldigte. «Fest steht, dass der Beschuldigte zum Messer griff mit der Absicht, das Opfer zu töten.»
Vorsätzliche Tötung ist erfüllt, heisst es jetzt. Er habe «immense Gewalt» angewandt. Er habe danach getrachtet, das Leben des Opfers auszulöschen. «Er muss in einen regelrechten Blutrausch verfallen sein.»
Er ist somit wegen Mord schuldig zu sprechen. Eine Notwehr habe es nicht gegeben.
«Es ist schlicht absurd»
Nun wird die geplante Reise und der vom Beschuldigten versäumte Covid-Test angesprochen. Auch hier schmettert die Richterin die Aussagen des Angeklagten nieder. «Er ist unentschlossen und inkonsequent aufgetreten», sagt sie jetzt, bevor sie zum Tatmorgen kommt.
Niemand kenne das Motiv für die Taten des Beschuldigten – ausser er selbst. Aufgrund der vorhandenen Indizien sei auszuschliessen, dass das Opfer den Mann angegriffen habe. Der Angeklagte schnaubt und klatscht mit seiner offenen Hand auf seine Stirn.
«Es ist schlicht absurd», sagt die Richterin, dass das Opfer den Mann angegriffen und jemals die Oberhand gehabt habe. Die Indizien würden darauf hindeuten, dass sich die 29-Jährige lediglich verteidigt habe.
«Frechheit» – Beschuldigter wird immer unruhiger
Als Nächstes werden der Brainfog und die Erinnerungslücken des Angekagten angesprochen. «Eine Erinnerungslücke und eine Amnesie hat er bei seinen ersten Aussagen nicht angesprochen», sagt die Richterin nun und spricht die erste Einvernahme des mutmasslichen Täters an. Es sei zwar von einem «sehr schnellen Ablauf» die Rede gewesen, jedoch habe er sich an alles erinnert. «Frechheit», kommentiert der Beschuldigte die Worte der Richterin.
Auch die Long-Covid-Symptomatik sei vom Angeklagten im Laufe der Zeit «immer dramatischer» geschildert worden. Es sei zwar davon auszugehen, dass der Beschuldigte die Krankheit gehabt habe. Aber das Ausmass «kann dem Beschuldigten nicht geglaubt werden», so die Richterin. Wieder unterbricht der 36-Jährige die Richterin und sagt: «Ich bin fast gestorben an dieser Krankheit. Merken Sie, dass das ein riesiger Affront ist?»
Nun sagt die Richterin erneut: «Wenn Sie nicht still sind, werden Sie von der Polizei aus dem Saal geführt.»
«Was soll das, hey?»
«Sie hatte ihre Familie vermisst. Aus den Chatnachrichten ist zu entnehmen, dass sie sich sehr auf diese Reise gefreut hat», so die Richterin. Sie spricht dabei den Tag der Tat an.
Erneut unterbricht der Angeklagte: «Aber sie wäre ja sowieso gegangen», sagt er genervt. Die Richterin weist ihn zurecht und bittet den 36-Jährigen, sie aussprechen zu lassen. Dann bezeichnet er ihre Aussagen als «rechtwidrig». Weiter sagt er: «Was soll das, hey?»
Nun ist die Richterin weniger geduldig. «Wenn Sie nicht ruhig sind, muss ich Sie aus dem Gerichtssaal verweisen.» Dann sagt er nichts mehr.
Beschuldigter unterbricht Richterin
«Die Verteidigung stellt das Opfer als Aggressorin dar», sagt die Richterin weiter. Da flüstert der Angeklagte: «Ist sie ja.» Die Richterin übersieht den Einwurf und spricht weiter: «Es gibt keine Hinweise darauf, dass das Opfer gewalttätig war.»
Der mutmassliche Mörder schüttelt bei den Aussagen der Richterin immer wieder den Kopf und murmelt leise vor sich hin. Das konkrete Verhalten sei zu analysieren, fährt die Richterin fort. So seien keine weiteren Untersuchungen notwendig.
Das Urteil wird vollumfänglich auf die vorhandenen Beweismittel abgestützt.
Urbanioks Gutachten zulässig
Die Richterin spricht das Gutachten des Psychiaters Professor Urbaniok an. Sie erklärt, es sei sowohl glaubwürdig als auch breit und tief recherchiert. Seine Schilderungen seien nachvollziehbar. Offene Fragen zum Gutachten habe er an der Hauptverhandlungen beantwortet und sei zu diesem Zeitpunkt auf weitere Details eingegangen.
Weiter wirft sie die Vorwürfe der Verteidigung, die Methode des Gutachters sei unzulässig, zurück. «Das Gutachten erwies sich inhaltlich als verwertbar.» Bei diesen Worten wirkt der Angeklagt zunehmend unruhig. Er greift mit beiden Händen an seine Stuhllehne und blickt zu Boden.
Aussagen waren verwertbar
«Die Verteidigung meinte, dass die Aussagen des Angeklagten aus dem Jahr 2021 aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht verwertbar sind. Das Gericht sieht das anders», beginnt die Richterin. «Er hat damals ohne Schwierigkeiten ausgesagt und wurde psychiatrisch betreut. Er hat nicht verwirrt gewirkt.» Der Angeklagte schnaubt laut und sieht die Richterin ungläubig an.
«Das Gericht hat keine Zweifel an der Verwertbarkeit der Aussagen», sagt die Richterin weiter.
Es geht los
Der Angeklagte und die Anwälte betreten den Raum. Der 36-Jährige nimmt auf dem Stuhl vor dem Richtergremium Platz. Er wirkt weniger entspannt als an den vergangenen Verhandlungstagen.
Die Urteilseröffnung
Um 15 Uhr geht es im Prozess um den 36-jährigen Luzerner weiter. Er wird beschuldigt, im Juli 2021 seine Partnerin mit insgesamt 60 Messerstichen ermordet zu haben. Während die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft verlangt, fordert der Verteidiger einen Freispruch.
Ob das Dreiergremium sein Urteil bereits heute verkündet, ist noch unklar. Möglich ist auch, dass weitere Gutachten angeordnet werden.
20 Minuten ist vor Ort und tickert live.
Verhandlung ist zu Ende
Damit ist die Verhandlung beendet. Am 9. November wird entweder eine Fortsetzung der Untersuchung angeordnet oder das gefällte Urteil verkündet.
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Nun zeigt er doch noch Reue
Der Angeklagte hat als Beschuldigter das Recht, ein letztes Wort zu sprechen. Er schildert noch einmal, wie er seine lange Krankheit erlebte. Er verweist auf Studien, die die Schwere der Krankheit belegen.
Weiter findet er Urbaniok als Experten untauglich und sagt: «Es ist, wie wenn ich mit Zahnschmerzen zum Augenarzt gehen würde». Schliesslich entschuldigt er sich doch noch: «Die Konsequenzen tun mir unglaublich leid. In meinem Leben hat mir noch nie etwas so leid getan. Ich habe meine Freundin über alles geliebt.»
Er verstehe bis heute nicht, wie man einen schwer kranken Patienten mit einem Messer angreifen könne. «Es ist sehr traurig, dass man einen Schuldigen zu finden versucht», sagt der Luzerner weiter. Im Zuge der Gerichtsverhandlung habe sich gezeigt, dass es juristisch nicht korrekt sei, ihn zu verurteilen. «Das wäre eine willkürliche Verurteilung und würde den bereits bestehenden Justizskandal vergrössern.» Es führe kein Weg am Freispruch vorbei.
«Ich weiss, dass ich unschuldig bin», sagt er schliesslich. Er werde nicht aufhören zu kämpfen, bis er freigesprochen werde.
Staatsanwältin schiesst zurück
Die Staatsanwältin kritisiert an der Verteidigung, dass die Verletzungen im Plädoyer kaum zur Sprache kommen. «Festhalten möchte ich Folgendes: Die Vorwürfe der Verfahrensfehler werden vehement zurückgewiesen. Sie treffen nicht zu», sagt sie. Das einzige einseitige Element der Untersuchung sei das Ergebnis.
«Es fand keinerlei Bagatellisierung statt», sagt sie weiter. Zur behaupteten Notwehr sagt sie, es habe nie eine für den Beschuldigten kritische Situation gegeben. Sie erinnert an das schwer verletzte Opfer und an den kaum verletzten Täter.
«Das Wichtige lässt er aus den Augen, nämlich die bestialische Tötung.» Sie kritisiert weiter, dass der Angeklagte sich selbst als «der Gute» sehe. Nur weil jemand an Long Covid leide, sei man noch lange nicht schuldunfähig und nur weil man aus Südamerika stamme, sei man noch lange nicht gewalttätig.
Das fordert die Verteidigung
Für seinen Mandanten fordert der Anwalt Folgendes:
Dieser sei vom Vorwurf des Mordes, vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Waffengesetz und vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz freizusprechen,
weiter sei der Beschuldigte des Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig zu sprechen,
der Luzerner soll einen einzigen Tagessatz à 30 Franken bei einer Probezeit von zwei Jahren bezahlen,
auf eine bedingte Geldstrafe sei zu verzichten,
die Zivilforderungen der Privatklägerschaft – sprich das Geld für die Kinder der Verstorbenen – sei abzuweisen,
der Staat müsse den Beschuldigten für die 851 Tage, die er in Untersuchungshaft verbringen musste, mit einer Summe von 170'000 Franken plus Zinsen entschädigen,
alle beschlagnahmten Gegenstände sollen dem Angeklagten zurückgegeben werden,
die Konten des Luzerners sollen wieder freigegeben werden,
der Staat müsse sämtliche Verfahrenskosten übernehmen.
Täter soll nur Geldstrafe zahlen
Der Verteidiger des Angeklagten fordert schliesslich, dass sein Mandant lediglich eine Geldstrafe zahlen müsse. Die ambulante Therapie sei «vom Tisch», weil er ja keinerlei psychische Probleme aufweise.
Werde der Angeklagte freigesprochen, sollten jegliche Verfahrenskosten von der Staatskasse getragen werden.
Aus dem Affekt gehandelt
Selbst wenn man die Schuldunfähigkeit des Angreifers nicht bedenken würde, sei man «von Skrupellosigkeit sehr weit entfernt». Wer ohne Recht angegriffen wird, darf diesen Angriff in angemessenem Masse abwehren, bezieht sich der Verteidiger auf das Strafgesetzbuch.
«Selbst wenn man von einer Restschuldfähigkeit ausgehen will», habe sein Mandant unter denn schlimmen Folgen von Long Covid gelitten. Gerade in diesem Fall müsse Verständnis für eine Panikreaktion erbracht werden. So sei die Reaktion des Täters «entschuldigt».
Sein Fazit: «Mit seinem Handeln hat er eigentlich den privilegierten Tatbestand des Todschlags erfüllt», sagt der Verteidiger. Jedoch sei die Tat viel mehr als vorsätzliche Tötung einzuordnen, weil der Luzerner aus dem Affekt heraus gehandelt habe. «Dieser Affekt entschuldigt den intensiven Notwehrexzess.» Vom Antrag auf Mord sei er jedoch vollumfänglich freizusprechen.
Mord für Verteidung ausgeschlossen
Nun kommt er zur rechtlichen Würdigung. «Es stimmt, dass er die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für vorsätzliche Tötung erfüllt.» Fraglich sei aber, ob sein Mandant skrupellos gehandelt habe. Dafür müsse man die äusseren und inneren Umstände beachten. Wenn die Tat beispielsweise durch einen schweren Konflikt ausgelöst wurde, kann dies die Schuld des Täters mindern.
Die besonders verwerfliche Art der Tatausführung müsste natürlich berücksichtigt werden. Die Staatsanwaltschaft habe aber während der eineinhalb Jahre dauernden Untersuchung nur auf vorsätzliche Tötung und erst nach der letzten Einvernahme auf Mord gepocht. So sei nicht verständlich, warum die Staatsanwaltschaft plötzlich von einem Mord ausgehe.
«Volle Schuldunfähigkeit»
«Mein Mandant leidet erwiesenermassen nicht an einer psychischen Störung», widerspricht der Anwalt Urbaniok weiter. So sei der Beschuldigte zwar schwierig im Umgang. Deshalb dürfe aber von einer psychischen Störung noch nicht die Rede sein. Weiter plädiert er auf eine «volle Schuldunfähigkeit». Dies begründet er erneut mit der Long-Covid-Krankheit.
Jetzt kritisiert er Gutachter
Nun macht sich der Verteidiger an die verschiedenen Gutachter. So soll der Psychologe Marbach mehrere bedeutende Schritte ausgelassen haben, die für ein Gutachten zwingend notwendig wären.
Es bedürfe «qualifizierter Personen» für das Erstellen eines solchen Gutachtens. Ausserdem: Frank Urbaniok soll an wichtigen Untersuchungen, bei welchen ein Fachexperte wie der Forensiker vonnöten sei, nicht dabei gewesen sein.
«Nicht die Aufgabe des Gutachters war es, in die Rolle des Beschuldigten zu schlüpfen», sagt er weiter. So habe Professor Urbaniok Befragungen mit dem Angeklagten durchgeführt, die nicht nötig gewesen wären.
«Professor Urbaniok und Psychologe Marbach spielen sich zu Richtern auf», sagt der Verteidiger. Am Montag sei Urbaniok «erneut durch einseitige und tendenziöse Aussagen», die seinem Mandanten schaden würden, aufgefallen. Ausserdem sei Urbanioks Diagnoseinstrument «Fotres» frag- und unglaubwürdig.
Kritik an verwerteten Einvernahmen
In seinem Plädoyer zweifelt der Verteidiger zahlreiche Beweise an und führt aus, bedeutende Beweise seien ignoriert worden. Er betont nochmals, dass der Angeklagte aus reiner Notwehr gehandelt habe.
Weiter seien Einvernahmen seines Mandanten berücksichtigt worden, die aber eigentlich nicht verwertbar seien. Der schwer kranke Beschuldigte sei dazu gezwungen worden, bei seiner Einvernahme bereits Aussagen zu machen, obwohl er sich «an beinahe nichts erinnern» konnte. Dies sei auch der Grund dafür, dass der Luzerner seine Aussagen revidiert habe.
«Wieso sollte ein Mensch wie mein Mandant ohne jeglichen Gewalthintergrund so etwas tun?», fragt er dann.