Suva-ZahlenFitness-Opfer pumpen sich kaputt
Bandscheibenvorfall oder Sprunggelenkverletzung: Die Zahl der Fitness-Opfer steigt. Auch, weil Billiganbieter beim Personal sparen.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Fitnessunfälle mehr als verdoppelt.
Bettina Bühler (37) aus Bern wollte abnehmen und Kraft aufbauen. Vor zwei Jahren besuchte sie deshalb ein Groupfitness, drei- bis fünfmal pro Woche, jeweils mehrere Lektionen Bodypump oder High-Intensity-Training. Den Ablauf der Übungen schaute sie sich von den anderen Teilnehmern ab. Sie sei übermotiviert gewesen und habe im Hanteltraining immer mehr Gewicht draufgepackt, erzählt sie. Bis sie eines Tages nicht mehr aus dem Bett steigen konnte: «Ich erlitt ein doppelten Bandscheibenvorfall. Ich konnte mir nicht mal mehr die Socken selber anziehen.»
Zwei Bandscheiben sprangen heraus
Der Arzt diagnostizierte zwei herausgesprungene Bandscheiben und verschrieb eine halbjährige Physiotherapie. «Zum Glück schlug sie an, und ich musste nicht operiert werden», so Bühler.
Während dieser Zeit habe sie nur arbeiten können, weil ihr Arbeitgeber Home-Office tolerierte und im Büro Stehpulte zur Verfügung stellte. Und trotz der Physiotherapie: «Die kleinste falsche Bewegung kann auch heute noch einen Akutfall auslösen.» Sie hat nun das Fitnessstudio gewechselt und macht nur noch Übungen unter Anleitung, die weitere Bandscheibenvorfälle vermeiden.
Bettina Bühler ist eine von vielen, die jährlich im Fitness verunfallen. Ein 26-Jähriger erzählte 20 Minuten, er habe nach dem Training den Kopf kaum mehr drehen können. Die Diagnose: ein blockierter Wirbel.

Die Folgen des Fitness-Booms – in den letzten drei Jahren wuchs die Zahl der Center um 30 Prozent – schlagen sich auch in der Statistik der Suva nieder. Laut einer Auswertung der Suva hat sich die Zahl der Unfälle innert zehn Jahren mehr als verdoppelt. Im Jahr 2017 endete für 4800 Personen das Training in der Kategorie «Gymnastik, Fitness, Aerobic» mit einer Verletzung.
Durchschnittlich zwei IV-Fälle pro Jahr
Am häufigsten kommt es zu Sprunggelenkverletzungen, danach folgen das Schultergelenk und Verletzungen an Knie und Rumpf, etwa durch Überbelastungen beim Krafttraining. «Ganz schwere Verletzungen, die zu Arbeitsunfähigkeit führen, gibt es wenige», sagt Hansjürg Thüler von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU). Im Durchschnitt gibt es jährlich zwei Invaliditätsfälle durch Fitnessverletzungen.
«Einige Fitnessstudios verbreiten gerne das Bild, dass Trainingserfolg innert kürzester Zeit möglich sei», sagt Thüler. Dies kann die Kunden zu übertriebenem Ehrgeiz beim Training verleiten: Sie muten sich zu viel Gewicht zu, ignorieren die Instruktionen oder quetschen zu viele Übungen in ihre Lektion.
Daneben sieht Walter O. Frey, Arzt für Sportmedizin an der Uniklinik Balgrist in Zürich, einen weiteren Grund: «Der Trend geht hin zu freien Übungen, etwa mit Hanteln. Dort bestehe im Gegensatz zu den fixen Geräten eine höhere Gefahr, sich durch falsche Haltung und Bewegung zu verletzten.» Thüler empfiehlt deshalb eine Einführung durch eine Fachperson sowie regelmässige Pausen (siehe Box).
Welche Rolle spielen Billigcenter?
Claude Ammann vom Schweizerischen Fitnesscenter-Verband vermutet, dass die steigende Zahl der Unfälle auch mit dem Boom von unbetreuten Billigfitnessstudios zusammenhängt. Dazu zählt er Angebote mit einer Jahresgebühr von unter 600 Franken. Dieses Segment verzeichne derzeit das grösste Wachstum, sagt Ammann.
Das Problem: Diese Studios verfügten über durchgehende Öffnungszeiten und keine Betreuung, weshalb die Unfallgefahr an den Geräten steige. «Überschätzt sich jemand beispielsweise grob beim Hantelgewicht, könnte ein Betreuer eingreifen – in den Billigstudios bekommt das aber niemand mit», sagt Ammann. Um die Unfallzahlen zu senken, brauche es deshalb zwingend Aufsichtspersonen in den Fitnesscentern.
20 Minuten wollte von mehreren Discount-Fitnesscentern wissen, wie sie auch ohne Aufsicht für unfallfreies Training sorgen. Eine Stellungnahme war nicht zu erhalten. Auskunft gibt hingegen Kathi Fleig von Davidgym, einem der grössten Fitnesscenter in Zürich. Sie sagt: «Werden Mitglieder im Fitnessbereich richtig eingeführt und auch betreut, gibt es praktisch keine Unfälle.» In ihrem Center gebe es im Fitness-Bereich maximal ein bis zwei Unfälle pro Jahr.
Das rät der Sportarzt
Sportarzt Walter O. Frey plädiert trotz der Verletzungsgefahr für Gelassenheit: «Es wäre falsch, jetzt aus Angst das Training zu streichen.» Ein reduziertes Training nütze der Gesundheit immer noch viel mehr als gar keines. Er rät, bei einer Übung die ersten zwölf Wiederholungen nur die halbe Belastung zu wählen. «Der Trainingsreiz ist dann vielleicht nicht optimal gesetzt – aber dafür kommt man heil wieder nach Hause.»
Unfallfrei trainieren
• ein zertifiziertes Center wählen
• Einführung einer Fachperson beanspruchen
• Geräte so benützen, wie es vom Hersteller vorgegeben und im Programm vorgesehen ist
• sich fürs Training bereit machen – sowohl psychisch (Konzentration) als auch körperlich (Warm-up) – und sich während des Trainings nicht ablenken lassen
• Gewichte so wählen, dass man die Bewegungen technisch richtig, nicht zu schnell und in der geplanten Anzahl sauber ausführen kann
Das sagt die Suva
«Im Vergleich zu anderen Sportarten wie etwa Schneesport oder Fussball geschehen nach wie vor wenig Unfälle in dieser Kategorie», heisst es bei der Suva auf Anfrage. Aus diesem Grund sei «Gymnastik, Fitnesstraining, Aerobic» kein Schwerpunktthema der Prävention. «Die Suva hat aber verschiedene Fit-Programme entwickelt, um das Risiko von Unfällen zu reduzieren. Denn eine gute körperliche Verfassung reduziert das Risiko von Verletzungen beim Sport, in der Freizeit oder bei der Arbeit.»