Karin Keller-Sutter: «Flüchtlinge werden ausgenutzt, um Europa zu destabilisieren»

Publiziert

Karin Keller-Sutter«Flüchtlinge werden ausgenutzt, um Europa zu destabilisieren»

Seit Beginn der russischen Invasion haben mehr als zwölf Millionen Einwohnende die Ukraine verlassen. Auch die Zahlen der Asylsuchenden aus anderen Ländern steigen – laut der Bundesrätin dürfte Russland mitverantwortlich sein. 

Laut der Justizministerin Karin Keller-Sutter nutzt Russland nebst der Energie auch die Migration als Druckmittel gegen Europa.
So beobachte man vermehrt, wie Flüchtende aus Indien, Kuba oder Tunesien einreisen und von dort von Schleppern in den Schengenraum gebracht würden.
Die Taktik erinnert an jene des belarussischen Präsidenten Lukaschenko.
1 / 6

Laut der Justizministerin Karin Keller-Sutter nutzt Russland nebst der Energie auch die Migration als Druckmittel gegen Europa.

20 Minuten/Lukas Hausendorf

Darum gehts

Trotz der erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive, bei der es den Streitkräften gelang, mehrere Tausend Quadratkilometer Territorium zu befreien, rechnet Karin Keller-Sutter nicht mit einem raschen Ende des Krieges. «Ich schliesse nicht aus, dass Russland versucht, den drohenden Gesichtsverlust mit einer Eskalation abzuwenden», sagt die Justizministerin im Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Entscheidend werde auch sein, was in Russland selbst geschehe – die Bundesrätin vermutet, dass sich die Stimmung im Land im Falle einer Generalmobilmachung ändern könnte.

Schutzstatus S läuft im März aus

Die Kämpfe in der Ukraine haben derweil Millionen zur Flucht gezwungen. Laut den Vereinten Nationen seien es bis Mitte September über 7,2 Millionen gewesen, die die Ukraine in Richtung Europa verlassen haben – mehr als 65’000 davon kamen in die Schweiz. Sie erhielten den Schutzstatus S für besonders Schutzbedürftige, dieser gilt bis März 2023. Karin Keller-Sutter hält es aber für wahrscheinlich, dass dann eine Verlängerung erfolgt, wenn der Krieg in der Ukraine zu diesem Zeitpunkt weiterhin andauert.

Eine Rückkehr in bestimmte Gebiete sei derzeit unwahrscheinlich, da davon ausgegangen werde, dass Russland weiterhin Ziele im ganzen Land bombardieren wird. «Eine Ukrainerin erzählte mir letzte Woche, dass die Kinder im Land ein Armband mit ihren Personalien tragen, falls sie Opfer eines Angriffs werden. Das geht unter die Haut», so die Bundesrätin.

Migranten gelangen über Serbien in die EU

Auch der Umstand, dass nebst der Ukraine auch aus anderen Ländern wieder mehr Leute flüchten, bereitet Keller-Sutter Sorgen. Derzeit seien ähnlich viele Migranten unterwegs wie während der Flüchtlingskrise 2015 bis 2016. Im Balkan beobachte man währenddessen eine neue Strategie: Migranten aus Indien, Kuba, Burundi oder Tunesien reisen demnach ohne Visum nach Serbien. Von dort aus werden sie von Schleppern in den Schengenraum gebracht.

Gemäss der Justizministerin sind einige EU-Staaten der Meinung, dass diese Flüchtlingsströme absichtlich nach Europa gelenkt werden, um dort Instabilität und Verunsicherung zu schüren. Als Paradebeispiel für diese Taktik gilt das Land von Alexander Lukaschenko, seines Zeichens alleiniger Machthaber von Belarus und Busenfreund von Putin. Sein Land holte aktiv Flüchtlinge ins Land, um sie dann über die polnische Grenze nach Europa abzuschieben. Dahinter steckt höchstwahrscheinlich perfides Kalkül – mit den Flüchtlingsströmen soll zwischen einzelnen EU-Ländern sowie zwischen deren Einwohnern und den Migranten Misstrauen und Zwietracht gesät werden.

«Energie und Migration als Druckmittel»

Im Zuge des Krieges haben sich die Fronten zwischen den westlichen Ländern und Nationen wie Russland, Belarus und China wieder stark verhärtet. Nun setzt offenbar auch Russland auf ähnliche Taktiken wie Lukaschenko. «Klar ist: Russland nutzt die Energie und die Migration als Druckmittel, um in Europa Zwietracht zu säen», sagt Karin Keller-Sutter. Eine mutmassliche Kooperation zwischen Russland und Serbien lasse sich derzeit nicht beweisen, doch würden mit der visumsfreien Einreise klare Anreize für Migranten geschaffen. Gegen diese Entwicklung müsse auf europäischer Ebene etwas unternommen werden – Bemühungen, die laut der Bundesrätin auch von der Schweiz mitgetragen werden.  

Deine Meinung zählt