Kurz Vor der PandemieForschende sollen Freisetzung von Corona-Partikeln in Fledermäusen geplant haben
Laborunfall oder natürliche Entstehung? Noch immer ist offen, wie das Coronavirus Sars-CoV-2 entstanden und zu den Menschen gekommen ist. Geleakte Dokumente enthalten eine alternative Erklärung.
Darum gehts
Forschende aus Wuhan und den USA sollen im Jahr 2018 Gelder für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Coronavirus-Partikel in chinesische Fledermauspopulationen beantragt haben.
Geleakte Dokumente, die der britischen Tageszeitung «The Telegraph» vorliegen, sollen das zeigen.
Der Antrag wurde damals aufgrund von Sicherheitsbedenken abgelehnt, doch es ist unklar, ob die Pläne nicht trotzdem umgesetzt wurden.
Brisant: Einer der Antragsteller war später Teil des von der Weltgesundheitsorganisation geleiteten Teams zur Untersuchung des Ursprungs von Sars-CoV-2.
Wenn die Informationen stimmen, wäre das ein Skandal: Geleakten Dokumenten zufolge sollen Forschende aus Wuhan und den USA 18 Monate vor dem Auftreten der ersten Covid-19-Fälle riskante Experimente mit Coronaviren und Fledermäusen geplant haben. Man habe vorgehabt «Spike-Glykoproteine zu synthetisieren, die an menschliche Zellrezeptoren binden, und sie in Sars-CoV-Rückgrate einzufügen, um zu prüfen, ob sie eine Sars-ähnliche Krankheit verursachen können», wie Telegraph.co.uk schreibt. Für ihr Vorhaben sollen die chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 14 Millionen Dollar bei der Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) beantragt haben.
Veröffentlicht wurden die Dokumente, auf die sich die britische Tageszeitung «Telegraph» bezieht, vom Decentralised Radical Autonomous Search Team Investigating Covid-19 (Drastic), einem webbasierten Team von Aktivisten und Aktivistinnen, das die Ursprünge des Virus untersucht. Ihnen seien die Dokumente anonym von einem Informanten zugespielt worden, teilt die Gruppe mit. Ein ehemaliges Mitglied der Trump-Administration soll bestätigt haben, dass der Antrag echt ist.
Genetisch veränderte Coronaviren, die Menschen leichter infizieren
Laut den geleakten Dokumenten wollten die Antragsteller luftübertragene Coronaviren genetisch verbessern und Aerosole mit «neuartigen chimären Spike-Proteinen» unter Höhlenfledermäusen in der chinesischen Provinz Yunnan freisetzen sowie Coronaviren so verändern, dass sie Menschen leichter infizieren. Dies indem sie «humanspezifische Spaltstellen» in Fledermaus-Coronaviren einführen. Ziel soll gewesen sein, die von Coronaviren ausgehenden Risiken zu erforschen und Wege zu finden, Ausbrüche zu verhindern und Fledermäuse gegen Krankheiten zu impfen.
Wie der «Telegraph» weiter schreibt, wurde der Antrag von dem Zoologen Peter Daszak von der US-Organisation EcoHealth Aliance, die eng mit dem Wuhan Institute of Virology (WIV) bei der Erforschung von Fledermaus-Coronaviren zusammengearbeitet hat, eingereicht. Daszak war später Teil des von der Weltgesundheitsorganisation WHO geleiteten Teams, das nach Wuhan reiste, um die Ursprünge des Virus zu untersuchen. Zudem habe er hinter einem Brief gestanden, der letztes Jahr im Fachjournal «The Lancet» veröffentlicht wurde und die wissenschaftliche Debatte über die Herkunft von Covid-19 zum Erliegen brachte.
Hinter dem Antrag standen weiter die WIV-Forscherin Shi Zhengli, die im Juni 2021 die Möglichkeit eines Laborunfalls dementierte, sowie Forschende der Universität von North Carolina und des United States Geological Survey National Wildlife Health Centre.
«Es ist klar, dass das Projekt die lokale Bevölkerung gefährden könnte.»
Dem Antrag von Daszak und seinen Kolleginnen und Kollegen wurde nicht stattgegeben – «aufgrund ernsthafter Sicherheitsbedenken», wie den geleakten Unterlagen laut «Telegraph» zu entnehmen ist. Das Darpa-Büro für biologische Technologien empfahl damals, das Vorhaben nicht zu finanzieren, da es erhebliche Schwächen aufwies. Zudem spreche der Vorschlag ethische, rechtliche und soziale Fragen kaum an oder diskutiert sie, soll es in der Ablehnung weiter heissen. Und ganz konkret: «Es ist klar, dass das vorgeschlagene Projekt unter der Leitung von Peter Daszak die lokale Bevölkerung gefährden könnte.»
Ich bin wütend. Das sollte die Welt auch sein.
Doch wohlmöglich haben die Forschenden ihre Pläne trotzdem in die Tat umgesetzt. Die britische Tageszeitung zitiert Angus Dalgleish, Professor für Onkologie an der St. Georges University of London, laut der die von den Antragstellenden beabsichtigte Forschung auch ohne die Finanzierung hätte fortgesetzt werden können. Schliesslich habe das Wuhan Institute of Virology schon früher sogenannte Gain-of-Function-Forschung, kurz GoF, betrieben (siehe Box). Zudem gilt es als gesichert, dass in Forschungslaboren in der Nähe von Wuhan GoF-Arbeiten stattgefunden haben.
Gain-of-Function-Forschung?
Gain of Function-Forschung ist eine umstrittene Technik, mit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Funktion eines Virus verändern, um seine Evolution besser zu verstehen und neu auftretende Infektionskrankheiten besser vorhersagen und Impfstoffe entwickeln zu können. Dazu zählt unter anderem, bereits gefährliche Viren virulenter oder übertragbarer zu machen. Entsprechend umstritten ist die Praxis, denn faktisch besteht immer die Möglichkeit, dass ein noch nie dagewesenes Virus aus dem Labor entkommt und einen Ausbruch verursacht.
Vorgehen verärgert
Die Enthüllungen sorgen für Unmut – etwa bei Viscount Ridley, Zoologe und Mitautor eines noch unveröffentlichten Buches über den Ursprung von Covid-19, der laut Telegraph.co.uk immer wieder weitere Untersuchungen der Anfänge der Pandemie gefordert hat: «Mehr als ein Jahr lang habe ich immer wieder versucht, Peter Daszak Fragen zu stellen, ohne eine Antwort zu erhalten.» Jetzt stelle sich heraus, dass er diese wichtigen Informationen über die Arbeit mit dem Virus in Wuhan verfasst hatte, sich aber weigerte, sie mit der Welt zu teilen. «Ich bin wütend. Das sollte die Welt auch sein.»
Ein Corona-Experte der WHO der anonym bleiben möchte, bezeichnete es als alarmierend, dass der Förderantrag Pläne zur Verbesserung der tödlicheren Krankheit des Middle-East Respiratory Syndrome (Mers) enthielt. «Beängstigend daran ist, dass sie infektiöse chimäre Mers-Viren herstellen wollten», zitiert «The Telegraph». «Diese Viren haben eine Sterblichkeitsrate von über 30 Prozent, was mindestens eine Grössenordnung tödlicher ist als Sars-CoV-2.»
Eine Stellungnahme der Antragserstellerinnen und -ersteller sowie der beteiligten Institute steht noch aus.
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BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92
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Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige
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Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
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