Frauen und Karriere: Ist die Gleichstellung gescheitert?

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SoziologinFrauen wollen kaum Karriere machen – ist die Gleichstellung gescheitert?

Viele Studentinnen streben keine Karriere an. Sie bevorzugen einen erfolgreichen Mann, der Hauptverdiener ist, wie eine neue Studie zeigt. Co-Studienautorin Katja Rost erklärt, weshalb das so ist.

Als Olga ein Kind kriegte, hörte sie auf zu arbeiten – jetzt verdient ihr Mann den Lebensunterhalt. 

Video: 20min/Michelle Ineichen/Taddeo Cerletti

Darum gehts

  • Frauen, die jetzt am Studieren sind, haben oft nur geringe Karriereambitionen – das zeigt eine neue Studie.  

  • Das hat nicht etwa mit Diskriminierung oder hohen Hürden für Mütter zu tun – die Frauen wollen das aus eigenem Antrieb nicht. 

  • Heisst das, dass die vielen Gleichstellungsmassnahmen über den Haufen geworfen werden müssen? Wollen Frauen schlicht weniger Karriere machen als Männer? Oder braucht es andere Massnahmen? 

  • 20 Minuten hat bei Katja Rost, Co-Autorin der Studie, nachgefragt. 

Wieso sind Frauen in akademischen Spitzenpositionen so stark untervertreten, obwohl sehr viele Frauen ein Studium anfangen? Dieser Frage sind Soziologin Katja Rost und Wirtschaftsprofessorin Margit Osterloh in einer grossangelegten Studie nachgegangen. Das Resultat habe sie «schlichtweg umgehauen», sagt Osterloh.

Denn der wichtigste Grund ist nicht etwa Diskriminierung oder, dass Mütter schwierige Bedingungen haben. Viele Studentinnen haben laut den Autorinnen schlicht keine oder nur geringe Karriereambitionen. Ihr Familienbild ist nach wie vor eher konservativ geprägt: Tendenziell bevorzugen die Frauen einen Partner, der älter und erfolgreicher ist als sie. Sobald sie Kinder haben, wollen sie Teilzeit arbeiten. Der Mann soll Vollzeit arbeiten und für das Haupteinkommen sorgen.

Doch was heisst das jetzt für die vielen Gleichstellungsmassnahmen? Bleibt es eine unveränderliche Tatsache, dass selbst studierte Frauen lieber einen erfolgreichen Mann haben und dafür höchstens Teilzeit arbeiten? 20 Minuten hat bei Co-Autorin Katja Rost nachgefragt.

Die Studie zeigt: Viele Frauen verzichten auf eine Karriere. Was sind mögliche Gründe?

Katja Rost*: Nach wie vor traditionelle Geschlechternormen, die früh ab der Kindheit verinnerlicht wurden, so durch Werbung, Spielsachen, die Arbeitsteilung der Eltern, das soziale Umfeld und so weiter. Hierzu gehören gerade für die Schweiz starke Elternschaftsnormen, welche besagen, dass man ein kleines Kind ungern zu 100 Prozent fremdbetreuen lässt. Diese Normen sind von den Frauen oft stärker internalisiert als von den Männern. Daraus ergibt sich dann eine klare Rollenverteilung zwischen Mann und Frau spätestens ab der Geburt des ersten Kindes.

Und das zeigt sich auch in der Wahl des Studienfachs?

Aus den Antworten ergibt sich eine klare Tendenz: Je traditioneller diese Normen sind, desto traditioneller ist auch die Studienfachwahl von Mann und Frau. Frauen in «Frauenfächern» und Männer in «Männerfächern», in denen zu Beginn des Studiums mehr als 70 Prozent des eignen Geschlechts vertreten sind, sind eher dem traditionellen Familienbild zugeneigt. In Folge des hohen prozentualen Anteils findet zwischen diesen beiden Gruppen auch ein beträchtlicher Anteil des «Heiratsmarktes» statt. Insofern ergänzen sich die Präferenzen untereinander. Aber: Das ist der statistische Durchschnitt. Es gibt stets auch Ausnahmen, also karriereorientierte Frauen in «Frauenfächern», traditionelle Frauen in «Männerfächern» oder «egalitäre» Männer in «Männerfächern».

Und Frauen in «Frauenfächern» wollen eher keine Karriere machen?

Überdurchschnittlich oft ja. Und zwar aus eigener Überzeugung, unter anderem, weil sie dies für die Familie als richtig erachten und damit auch zufrieden sind. Und natürlich: Wer sagt, dass jede und jeder Karriere machen muss? Es gibt sehr unterschiedliche Lebenswege und keiner dieser Wege ist von vorherein richtig oder falsch. Wichtig ist, dass man damit zufrieden ist. Und hier zeigen verschiedentlichste Längsschnittauswertungen, dass diese Frauen genauso glücklich im Leben sind. Insofern gibt es daran zunächst auch nichts zu reklamieren.

Sollen Studierte mindestens 50 Prozent arbeiten? 

Müssen wir also die Gleichstellungspolitik über den Haufen werfen?

Soweit würde ich nicht gehen. Aber dass die bisherigen Massnahmen wenig bringen, zeigen verschiedene Studien und die Realität. Dies verwundert auch wenig, da die meisten Massnahmen implizit davon ausgehen, dass Frauen genauso oft Karriere machen wollen wie Männer. Dass Frauen bislang nicht so oft Karriere machen, liegt hiernach ausschliesslich an der Diskriminierung der Frau. Dies war früher in der Tat der Fall.

Und heute?

In heutigen Gesellschaften hat sich diesbezüglich viel geändert; insbesondere in den letzten fünf Jahren. Dies zeigen auch die wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema. Aber: Es will eben nicht jede Frau beruflich aufsteigen. Das muss eine Gesellschaft auch akzeptieren. Trotzdem sollten Frauen, insbesondere solche mit Kindern, die Karriere machen möchten, von der Gleichstellungspolitik unterstützt werden, etwa durch längere Zeit für einen beruflichen Aufstieg. Diese Frauen schultern nämlich nach wie vor einen Grossteil der Familienarbeit. Und das muss Gleichstellungspolitik berücksichtigen.

Die «Leaky-Pipeline», also das Phänomen, dass mit jeder Hierarchiestufe der Frauenanteil insbesondere in den «Frauenfächern» abnimmt, wird man unseren Resultaten zufolge damit aber nicht vollkommen verschwinden lassen können, solange es die traditionellen Geschlechternormen in Gesellschaften gibt und Frauen bewusst auf Karrieren verzichten.

Wie steht es um «Zwangsmassnahmen» wie Quoten?

Quoten haben dann eine Berechtigung, wenn diskriminiert wird. Wenn Quoten aber zu einer sogenannten adversen Selektion führen, also dafür sorgen, dass nicht die Besten ausgewählt werden, weil eben eine Quote erfüllt werden muss, und damit selbst diskriminieren, ist davon abzuraten. Meiner Ansicht nach kommen implizite und explizite Genderquoten heute sehr oft auf Arbeitsmärkten vor. Das Frauenproblem werden diese nicht lösen, wenn es an einem ausreichenden Pool an karriereambitionierten Frauen fehlt.

Menschen, die studieren, danach aber kaum arbeiten, kosten den Staat Geld. Braucht es Massnahmen, damit Studierte mehr arbeiten?

Das ist derzeit ein Lieblingsthema in den Medien. Aber im Ernst: Hier fehlt eine genaue Bezifferung der volkswirtschaftlichen Effekte. Wenn diese berechnet sind und das Phänomen der Teilzeit in disruptiven Zeiten gänzlich verstanden ist, kann man über Massnahmen diskutieren. Vorher nicht. Insofern: Wieso braucht es Massnahmen, wenn doch alle zufrieden sind?

*Katja Rost ist Soziologin an der Uni Zürich und Co-Autorin der Studie.

*Katja Rost ist Soziologin an der Uni Zürich und Co-Autorin der Studie. 

UZH/John Flury

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