ProstitutionFrauen zeigen, was ihnen Freier schreiben
Wie läuft es ab, wenn Schweizer Männer Sex kaufen wollen? Prostituierte zeigen, wie Freier sie anschreiben.
«Hast du heute Zeit?» – «Was möchtest du?» – «Sex. Fisting. Hast du auch Kaviar?» So sehen Whatsapp-Konversationen von Freiern mit Frauen aus, die Sex gegen Geld auf Online-Plattformen anbieten. 20 Minuten hat mit drei Sexarbeiterinnen gesprochen. Diese haben der Redaktion Einblick in ihre Chats gewährt – sie laufen sehr unterschiedlich ab.
Einige reale Beispiele finden sich in der Bildstrecke oben. Besonders verstörende Nachrichten, die etwa frauenverachtend oder gewaltverherrlichend sind, werden nicht wiedergegeben.
Kein Interesse an Treffen
Laut den drei Frauen gibt es viele Männer, die die Frauen mit Fragen und Nachrichten überhäufen oder Bilder verlangen. Miriam* sagt: «Sobald das der Fall ist, weiss ich, dass kein reales Interesse besteht und der Mann höchstwahrscheinlich sowieso nicht auftauchen wird.» Gewisse Anfragen beantworte sie gar nicht.
Wenn Miriam in einem Inserat schreibe, dass sie keine SMS wünsche, der Mann aber auf SMS bestehe, wisse sie, dass er ihre Regeln bei einem Treffen wahrscheinlich auch nicht einhalten werde, es an Respekt fehle. Und wenn sich jemand nicht vorstelle, aber nach der Adresse frage, sei der Fall ebenfalls klar: «Es gibt Adresssammler, die dann nur zum Glotzen kommen.»
Penisse, Katzen und Traktoren
Ein No-go sind für Miriam Anfragen, die sehr frech sind oder systematisch nach Tabus fragen. «Und ich erhalte leider immer wieder auch rassistische Anfragen per Telefon oder Whatsapp.» So werde sie oft nach ihrer Herkunft gefragt und aufgrund ihrer Antwort dann beschimpft oder beleidigt.
Ebenfalls unerfreulich sei es, wenn man ungefragt mit Fotos von Hintern oder Penissen überhäuft werde. Die Chats, in die 20 Minuten Einblick hatte, belegen dieses Phänomen. Eine Flut entblösster Genitalbereiche findet sich darin. «Es gibt auch solche, die Bilder von Traktoren oder ihren Hunden und Katzen senden. Teilweise kenne ich die Männer, die das schicken, nicht einmal», sagt Miriam.
Unangebrachte oder primitive Anfragen
Immer wieder müsse sie potenzielle Kunden zudem aufgrund ihrer spezifischen Wünsche abweisen. «Auch wenn es oft nett geschriebene Nachrichten sind, lehne ich Anfragen wie Spermaschlucken von benutzten Kondomen oder Kot von Kloschüsseln essen dankend ab.»
Schliesslich komme es auch darauf an, über welche Plattform die Männer auf die Frauen gestossen seien. «Da gibt es grosse Unterschiede. Von einigen kommen viel häufiger narzisstische und rassistische Nachrichten, aber letztlich keine Gäste», so Miriam.
«Ein grosses Problem ist, dass viele Männer denken würden, sie seien ein Geschenk für uns Frauen und wir würden unseren Job nur aus Spass als eine Art Hobby betreiben», sagt Miriam. «Sie denken, dass wir rund um die Uhr wie Pizza erreichbar sein sollten. Und es wenn möglich auch noch gratis mit ihnen tun sollen.» Die älteren, unzufriedenen Männer sind ihr zufolge meist die primitivsten und schlimmsten.
«Die Männer können Macht ausüben»
Natalia* sagt betreffend den Umgang einiger Männer mit ihr: «Wie genau wir von Männern behandelt werden, will eigentlich niemand hören. Etwa so, wie sich viele Leute in den Kommentarspalten auf Social Media verhalten, verhalten sich einige der Männer auch uns gegenüber.» Nur gehe es hier eben um Geld. Deshalb könnten die Männer Macht ausüben und machen, was sie wollten.
Natalia hat Zuschriften von Freiern, in denen ihr diese detailliert von ihren Vergewaltigungsphantasien mit ihr berichten oder sie mit anderweitigen erniedrigenden Themen zutexten. Auch relativ konkrete Fantasien von Freiern zu Inzest oder Kindsmissbrauch finden sich in ihren Chats. Viele dieser Männer hat sie noch nie gesehen.
«Ich brauche jeden Franken»
Die befragten Sexarbeiterinnen sind sich sicher, dass seit den Zeiten von Instant-Messaging das Problem besteht, dass der Schreibaufwand massiv zugenommen habe, bis es zu einem Treffen kommt. «Aufgrund der dafür benötigten Zeit ist es komplizierter geworden. Und oft sind es dieselben Männer, die verschiedenen Frauen die immer gleichen Zuschriften machen», sagt Natalia.
An der Bewirtschaftung der Chats verdienen die Frauen nichts. Doch anders als beispielsweise Miriam kann sich Natalia ihre Kunden aufgrund ihrer Lebenssituation nicht aussuchen. «Ich brauche jeden Franken.»
Wenn Männer sie erst per Whatsapp anschreiben, dann sei es wichtig, dass diese kurz und knapp schreiben würden, sagt Sarah*. Alle drei befragten Frauen finden es erfreulich, wenn Männer geradlinig auf die Fragen antworten und beispielsweise konkret zurückfragen: «Machst du Natursekt?» oder «geht auch anal?». Sara sagt: «Das sind die seriösen Anfragen. Man kann davon ausgehen: je länger der Chatverlauf, desto unseriöser der Kontakt.»
* Namen von der Redaktion durch Pseudonyme ersetzt
Phänomene auch bei Beratungsstellen für Sexarbeitende ein Thema
Wie hat sich die Situation für Frauen im Sexgewerbe durch Whatsapp verändert?
Nicht nur im Escortbereich hat Whatsapp die Kommunikation zwischen Freiern und Frauen verändert. Auch im Strassenstrich sei das wahrnehmbar, so Ursula Kocher*. Christa Ammann** bestätigt, dass es in Beratungsgesprächen mit anderen Sexarbeiterinnen schon Thema war, dass es teilweise Kunden gebe, die den Frauen unzählige Nachrichten schicken würden, aber dann keinen Termin machen wollen. «Die Frauen sagen, dass das Zeit verbrauche, sie kein Geld dafür bekommen und es mühsam sei», so Ammann.
Sind beleidigende oder rassistische Nachrichten auch ein Thema in Gesprächen?
Ammann ist nicht bekannt, dass Klientinnen von gefährlichen oder rassistischen Nachrichten in den Beratungsgesprächen berichtet hätten. «Aber natürlich kann es sein, dass sich die grundsätzliche Tendenz, dass Personen sich in den neuen Medien schriftlich ungehemmter ausdrücken als mündlich, auch auf Whatsapp in diesem Bereich fortsetzt.» Laut Kocher scheinen Beleidigungen und Belästigungen in diesem Milieu leider einfach dazuzugehören: «Nicht zuletzt, weil das Gewerbe stigmatisiert ist».
Was können die Frauen dagegen tun?
Grundsätzlich können die Frauen gleich vorgehen wie Privatpersonen, wenn sie rassistische Nachrichten erhalten, so Amman. Sie können sie speichern und sich überlegen, Anzeige zu erstatten. Bei Flora Dora versucht man dem schwierigen Thema gezielt zu begegnen: «Unsere Mitarbeitenden versuchen die Sexarbeitenden fit für die Online-Kommunikation zu machen», sagt Kocher. Das Thema sei kein einfaches und erschwerend komme hinzu, dass vielen Sexarbeitenden die notwendigen Sprachkenntnisse fehlen würden.
*Ursula Kocher ist Leiterin von Flora Dora, der Stadtzürcher Beratungsstelle für Sexarbeitende auf dem Strassenstrich.
**Christa Ammann ist Stellenleiterin von Xenia, der Fachstelle für Sexarbeit im Kanton Bern.