Trotz Massnahmen-EndeFreiheitstrychler, Mass-voll und Ur-Kantone wollen weiterkämpfen
Seit Monaten demonstrieren verschiedene Bewegungen gegen die Corona-Massnahmen. Nun fallen fast alle weg. Ein Politologe glaubt, dass die Vereine bald eingehen werden – sie seien überflüssig geworden.
Darum geht’s
Zehntausende Menschen, die auf dem Bundesplatz gegen die Corona-Massnahmen demonstrieren, violette Mass-voll-Fahnen und lautstarke Umzüge der Freiheitstrychler – solche Bilder drangen während der Corona-Pandemie regelmässig ins öffentliche Bewusstsein.
Jetzt sind die Corona-Massnahmen auf einen Schlag fast komplett aufgehoben worden. Wurde den Massnahmenkritikerinnen und -kritikern und Freiheitstrychlern damit die Existenzgrundlage entzogen? Nein, sagen die Kritikerinnen und Kritiker selber.
Nicolas A. Rimoldi, Mass-voll
So sind die aktuellen Lockerungen für Nicolas A. Rimoldi, Präsident und Gesicht der Bewegung Mass-voll, kein Grund zur Freude. «Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir gehen davon aus, dass die Massnahmen zurückkehren werden. Dagegen werden wir uns weiterhin mit allen friedlichen Mitteln und auch an Demos zur Wehr setzen.»
Rimoldi versteht sich selbst als Freiheitskämpfer – sein Studium schmiss er, als an der Uni die Zertifikatspflicht eingeführt wurde. Mass-voll werde sich weiterhin «für die Freiheitsrechte und Selbstbestimmung der Schweizer Bevölkerung» einsetzen.
Anonymer Freiheitstrychler
Dass die Massnahmen jetzt per sofort aufgehoben wurden, erstaunt einen Freiheitstrychler, der anonym bleiben möchte. «Ich hätte erst um Ostern damit gerechnet», sagt er. Persönlich ändere der Bundesratsentschluss für ihn nicht viel: «Ich halte mich schon seit April 2021 nicht mehr daran.»
Trotzdem ist der Trychler froh über den Entscheid: «Wir haben uns immer auch für die Schwächeren eingesetzt. Es freut mich für all diejenigen, welche nicht den Mut hatten, sich gegen diese unverhältnismässigen Massnahmen zu wehren und sich ihre Freiheit zurückzuholen.»
Klar sei: «Wir hängen nicht einfach die Glocken an den Nagel. Auch ohne die Corona-Massnahmen hat sich die Schweiz in vielen Bereichen zu weit von der ursprünglichen Verfassung entfernt. Und nächsten Herbst werden bestimmt wieder neue Massnahmen kommen. Es wird uns also weiterhin brauchen.»
Josef Ender, Aktionsbündnis Urkantone
Josef Enders oberstes Ziel ist es, sämtliche Grundlagen für das Zertifikat abzuschaffen und «dafür zu sorgen, dass Macht und Entscheidungsgewalt nie mehr so zentralisiert werden können, wie sie es während der Pandemie waren». Auch Ender befürchtet, dass es im Herbst wieder losgeht mit den Massnahmen.
Der Kampf ist für ihn deshalb noch nicht zu Ende: «Die Finanzierung des Zertifikats wurde bis Ende 2023 sichergestellt. Ich befürchte, dass es bald auch als elektronische ID oder zur zentralen Speicherung anderer Gesundheitsdaten verwendet werden könnte.» Das Aktionsbündnis werde deshalb weiter Demos durchführen und versuchen, Köpfe aus der Bewegung in politische Ämter zu hieven.
Zentral ist für Ender eine rigorose Untersuchung, was in den letzten zwei Jahren falsch gelaufen ist: «Tausende haben ihren Job verloren, die psychischen Probleme in der Gesellschaft sind explodiert, Psychiater sind am Anschlag. «Für die verursachten Schäden müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.»
«Kritikerinnen und Kritikern wurde die Existenzgrundlage entzogen»
Laut Daniel Kübler, Politologe der Universität Zürich, wird es für massnahmenkritische Bewegungen jetzt aber deutlich schwieriger: «Mit der Aufhebung der Massnahmen wird ihnen die Existenzgrundlage entzogen. Sie mögen jetzt sagen, dass sie weiterexistieren werden. Dass müssen sie aber erst noch unter Beweis stellen.»
Wenn es den Gruppierungen nicht gelingt, sich radikal zu verändern und zu neuen Themen Stellung zu nehmen, droht laut Kübler die Auflösung. «Da viele grosse Themen schon von den bestehenden Parteien besetzt sind, dürfte das schwierig werden.»