Kachelmann vor Gericht«Freispruch – ohne darauf zu wetten»
Heute um 9 Uhr fällt das Urteil im Kachelmann-Prozess. Prozessbeobachterin Gisela Friedrichsen glaubt an einen Freispruch. Es könne aber auch alles anders kommen.

Wird er heute freigesprochen? Wettermoderator Jörg Kachelmann.
Genau zwei Menschen wissen, was sich in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2010 zwischen der Radiojournalistin Sabine W. und dem Wettermoderator Jörg Kachelmann zugetragen hat – die beiden Beteiligten selbst. In 43 Verhandlungstagen wurden Dutzende Zeugen verhört, unzählige Akten gesichtet und nicht weniger als zehn Gutachter beigezogen – eindeutige Beweise gibt es bis heute nicht. Die Staatsanwaltschaft fordert wegen schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, die Verteidigung plädiert auf Freispruch. Das Richtergremium des Landgerichts Mannheim wird ab 9 Uhr sein Urteil fällen.
Gisela Friedrichsen, Spiegel-Gerichtskorrespondentin und intime Vertraute des Kachelmann-Prozesses, blickt nochmals auf eine der aufsehenerregendsten Gerichtsverhandlungen der letzten Jahre zurück und wagt im Interview mit 20 Minuten Online einen Ausblick.
Frau Friedrichsen, wird Herr Kachelmann heute freigesprochen?
Ich kann es schlicht nicht abschätzen. Einerseits hat die Kammer – im Gegensatz zu anderen Fällen – nicht erkennen lassen, in welche Richtung sie tendiert. Andererseits war die Öffentlichkeit von den Verhandlungen grösstenteils ausgeschlossen. Dies macht die Prognose für Aussenstehende schwierig. Persönlich gehe ich von einem Freispruch aus, eine Wette würde ich aber nicht eingehen wollen.
Auf welche Punkte wird sich das Richtergremium abstützen?
Da dem Gericht nach bisherigem Wissensstand keine Spuren vorliegen, die Kachelmann definitiv überführen, wird der Eindruck, den Sabine W. vor Gericht abgegeben hat, eine wichtige Rolle spielen. Doch diese Aussagen fanden eben unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Müsste man also die Rolle der Öffentlichkeit an Gerichtsverhandlungen neu definieren?
Ganz klar. Immer mehr Anwälte von mutmasslichen Opfern verlangen gleich zu Beginn der Verhandlung, dass sie hinter geschlossenen Türen erfolgt. Dies macht die Medienarbeit aus dem Gericht unglaublich schwierig. Auf welche Fakten soll ich mich denn abstützen? Dies hat dann natürlich zur Folge, dass die wildesten Spekulationen, die jeglicher Grundlage entbehren, genährt werden – was sicher nicht im Sinn der Prozessbeteiligten ist.
Zurück zum Fall Kachelmann. Welche Rolle spielte der überraschende Verteidigungs-Wechsel vom vergangenen Dezember?
Eine viel kleinere als gemeinhin angenommen. Es stimmt zwar in der Tat, dass Kachelmanns Chancen auf einen Freispruch ab dem Winter gestiegen sind. Dies aber, weil ihn die Gutachten, welche noch vom früheren Verteidiger Birkenstock in Auftrag gegeben wurden, entlasteten. Kommt es zum Freispruch, wird der neue Verteidiger Schwenn die Lorbeeren davontragen, die ihm nur bedingt gehören.
Wie das Urteil auch immer ausfällt. Wird man Herrn Kachelmann wieder am Bildschirm sehen?
Das halte ich für ausgeschlossen, zumindest nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Sein Ruf ist komplett ruiniert. Die Öffentlichkeit hat viel zu viel über die Privatperson Kachelmann erfahren.
Wie steht es um Sabine W.?
Auch sie ist erledigt, selbst wenn sie Recht bekommen sollte. Vor einiger Zeit sagte sie mal, dass sie nie Anzeige erstattet hätte, wenn sie geahnt hätte, was für eine Lawine über sie hereinbrechen wird.
Es gibt also nur Verlierer in diesem Prozess?
Das kann man so sagen. Fast alle Beteiligten – von der Staatsanwaltschaft über die Richter bis hin zu den Medien – haben ein jämmerliches Bild abgegeben, das eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens eigentlich unwürdig ist.
Sie verfolgen den Prozess nun seit neun Monaten. Sind Sie froh, dass er heute zumindest ein vorläufiges Ende findet?
Und wie. Ich habe kein bisschen Lust mehr, weitere Details aus Herrn Kachelmanns Intimleben zu erfahren. Endlich wird dann wieder über anderes gesprochen.
Eine Nacht, zwei Versionen
Die 38-jährige Radiomoderatorin Sabine W. beschuldigt Wettermoderator Jörg Kachelmann, sie am 9. Februar 2010 nach einem Streit in ihrer Wohnung mit einem Küchenmesser bedroht und vergewaltigt zu haben. Kachelmann hingegen sagte in seiner einzigen Aussage, die er am 24. März 2010 vor dem Ermittlungsrichter machte, sie hätten einvernehmlich Sex gehabt. Danach habe es einen Streit gegeben und er habe seine vielen Parallelbeziehungen gestanden. Sie hätten sich in der Nacht einvernehmlich getrennt und er sei am Folgetag zu den Olympischen Spielen nach Vancouver geflogen.
Die Glaubhaftigkeit von Sabine W. ist höchst umstritten. Die Ex-Freundin hat zwar den Streit in dieser Nacht ausführlich geschildert, beim Vergewaltigungsgeschehen aber zahlreiche Erinnerungslücken. Die Aussagepsychologin liess es in ihrem Gutachten offen, ob ihre Tatschilderung auf tatsächlichem Erleben beruht oder nicht. Gelogen hatte die 38-Jährige tatsächlich allerdings im Vorfeld: Sie hatte in der fraglichen Nacht Kachelmann mit einem Flugticket konfrontiert, das seinen Namen und den einer anderen Frau trug. Flugschein und ein Schreiben mit dem Satz «Er schläft mit ihr» habe an diesem Tag im Briefkasten gelegen, sagte sie ihm. Dass sie das Ticket schon Monate vorher anonym erhalten und den zusätzlichen Satz selbst geschrieben hatte, verschwieg sie ihm. Ebenso, dass sie unter falschem Namen bereits Kontakt zu der Nebenbuhlerin aufgenommen hatte. Bei ihrer Anzeige am folgenden Morgen blieb sie bei dieser falschen Version. Erst zwei Monate später korrigierte sie nach den entsprechenden Ermittlungen der Polizei die falsche Vorgeschichte.
Verletzungen sind kein sicherer Beweis
Sabine W. hatte am Morgen nach der angeblichen Tat Verletzungen am Hals und ausgedehnte blaue Flecke an den Oberschenkeln. Vor allem diese Verletzungsspuren dürften für die Vertreter der Anklage entscheidend sein. Dass die Halsverletzungen von dem angedrückten Messer stammen - wie sie angibt - , ist laut Gutachten möglich, aber nicht sicher. Auch am sichergestellten Messer gibt es keine eindeutigen Beweise. Die Frau gibt an, sie habe nach der Tat aufgeräumt und das Messer noch einmal angefasst. Auf dem Griff befindet sich eine Mischspur, die Kachelmann nicht eindeutig zuzuordnen ist.
(AP)
Wie kann der Prozess ausgehen?
Das Gericht hat im Prozess gegen Jörg Kachelmann zwei Möglichkeiten: Entweder die Richter verurteilen den Wettermoderator oder sie sprechen ihn frei. Bleiben den Richter nach den Plädoyers noch Zweifel, müssten sie Kachelmann aus Mangel an Beweisen freisprechen. Diesen Freispruch wird gerne Freispruch zweiter Klasse genannt.
Im Falle einer Verurteilung drohen Kachelmann bis zu 15 Jahre Haft.
Im Falle eines Freispruchs hat er Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Die Höhe wird aufgrund des erlittenen Vermögensschadens errechnet. Der Wettermoderator könnte also den Ausfall von Moderationen und Aufträgen einverlangen. Hinzu kommt ein allfälliger Schadenersatz, welchen Kachelmann einklagen müsste. Dies ist allerdings - im Falle eines Freispruchs sehr wahrscheinlich - sein Anwalt hat es jedenfalls bereits angekündigt.