Giftanschlag in Salisbury«Für Agenten-Mord reicht Waffe mit Schalldämpfer»
Moskau hat Londons Anschuldigungen im Fall des vergifteten Ex-Spions scharf zurückgewiesen. Ein Russland-Kenner hat verschiedene Erklärungen.
Die britische Premierministerin Theresa May beschuldigte in der Giftanschlagsaffäre Russland. (Video: Tamedia/AFP)
Gerhard Mangott, am Montag hat die britische Premierministerin Theresa May Russland ein Ultimatum gestellt. Aussenminister Sergej Lawrow kontert nun: Russland sei zur Zusammenarbeit bereit, allerdings nur, wenn London Zugang zu den Akten gewähre. Wie ist die russische Antwort zu bewerten?
Das ist ein Zeichen guten Willens. Dieses Angebot hat es angeblich schon vorher gegeben, Moskau zufolge wurde es von britischer Seite aber zurückgewiesen. Ob das stimmt, ist nicht zu klären. Mit Mays Ultimatum erreichte der Fall aber eine neue Eskalationsstufe. Russland wird nun konkret beschuldigt und fordert daher Zugang zu den Untersuchungen. Das Land scheint an einer Deeskalation interessiert – auch wenn Lawrows Worte nicht versöhnlich tönen: Er wirft London vor, sich nicht an die Vorgaben der Chemiewaffenkonvention zu halten und sich wie im «Kolonialismus» zu verhalten. Noch am Montag sprach Aussenamtssprecherin Maria Sacharowa von einer «Zirkusveranstaltung im britischen Parlament» – das war ein völlig inakzeptables Verhalten.
Wird London auf Moskaus Forderung nach mehr Informationen eingehen?
Wenn nicht, würde das die Beweiskraft der Behauptungen der britischen Regierung nicht stärken. May hat bislang nicht sagen können, ob das Nervengift aus der Nowitschok-Serie von einem russischen Staatsorgan, etwa vom Auslands- oder vom Militärgeheimdienst, eingesetzt wurde und ob dieser Einsatz von oben autorisiert war. Die Erkenntnisse der Briten deuten zwar auf einen militärischen Hintergrund und auf die frühere Sowjetunion hin. Aber dass das Gift in Russland hergestellt wurde, ist – anders als London es darstellt – nicht sicher. Die Zusammensetzung des militärischen Kampfstoffes ist bekannt und er kann inzwischen überall hergestellt werden, wo es entsprechende militärische Waffenlabore gibt.
Was wird Russland jetzt tun?
Das hängt auch von Grossbritannien ab. Vor allem will Moskau Einblick in die Ermittlungen und die Giftproben selber analysieren. Es wäre schon ein Zugeständnis, wenn Russland zugibt, dass es sich um einen militärischen Kampfstoff aus russischen Beständen handeln könnte. Und dass es nicht auszuschliessen ist, dass private Akteure an diesen Kampfstoff gelangt sind und ihn jetzt verwendet haben. Wahrscheinlicher aber ist, dass Russland argumentieren wird, viele Staaten könnten diesen Kampfstoff hergestellt haben.
Wenn es private Akteure waren, ist das aber auch kein Anlass zur Beruhigung, oder?
Absolut. Einen solchen Kampfstoff nicht unter strikter Kontrolle zu haben, ist nicht akzeptabel. Aber ein Missbrauch hätte in den frühen 1990er-Jahren passieren können. Damals haben viele Wissenschaftler Waffen und auch solche Stoffe verkauft, um an Geld zu kommen.
Welches Interesse hätte Russland zum jetzigen Zeitpunkt an dem Anschlag gehabt?
Sergej Skripal lebt seit acht Jahren in Grossbritannien. Die Frage ist berechtigt: Warum genau jetzt? Eine mögliche Erklärung: Skripal könnte ausgeschaltet worden sein, falls er entgegen der offiziellen Angaben kein pensionierter Ex-Doppelagent, sondern immer noch aktiv für den britischen Geheimdienst MI6 war. Oder es könnte sein, dass sich Leute aus dem russischen Militärgeheimdienst, dem er angehörte, gerächt haben. Aber warum ist das nicht früher passiert? Britische Stellen haben ihn in letzter Zeit ja nicht weniger geschützt. Ich sehe keinen Grund, warum der russische Staat das getan haben sollte. Das ist kein Beweis, dass es Russland nicht war, aber die angeblichen Motive eines russischen Täters bleiben unklar. Ausserdem: Wenn Moskau einen Agenten umbringen möchte, dann genügt eine Pistole mit Schalldämpfer. So etwas erregt weniger Aufsehen und verursacht weniger Kollateralschäden. Ihn auf die versuchte Art und Weise umbringen zu wollen, wäre die absolute Provokation.
Was, wenn es doch der Kreml war?
Dann könnte das Ausdruck davon sein, dass Russland gar nicht mehr daran interessiert ist, das Verhältnis zu Europa oder zu den USA zu verbessern. Die russische Politik hat sich vielleicht damit abgefunden, dass die Beziehungen zerrüttet bleiben und es zu einer konfrontativen Konstellation der grossen Mächte kommt, ähnlich wie im Kalten Krieg. Sollte das zutreffen, wäre das bedrückend. Denn das bedeutet, dass sich schwelende Konflikte wie die weltweite Aufrüstung und Remilitarisierung, die Syrien- und Ukraine-Krise etc. noch schneller entwickeln als ohnehin schon.
Ist mit britischen Sanktionen gegen Russland zu rechnen?
Theresa Mays Äusserungen vom Montag waren erstaunlich. Angesichts der Unsicherheit über eine russische Beteiligung wären britische Sanktionen zu diesem Zeitpunkt unseriös und nicht nachzuvollziehen. Andererseits steht die britische Regierung auch unter dem Druck der Öffentlichkeit, zu reagieren.
Welcher Art könnten mögliche Sanktionen sein?
Wenn die Täterschaft des russischen Staates nicht erwiesen ist, dann wäre es eigentümlich, wenn sich Sanktionen gegen Russland insgesamt richten. Denkbar sind Massnahmen gegen Täter, dazu müsste man diese aber kennen. Wenn, dann wird es vermutlich eher asymmetrische Sanktionen geben. Möglich wären Diplomatenausweisungen, Beschlagnahmungen von Vermögen des russischen Staates in Grossbritannien oder von Besitz oder Visa-Annullationen bei Personen, die eng mit der politischen Führung vernetzt sind.
Am Sonntag sind Präsidentschaftswahlen in Russland. Spielt das eine Rolle?
Das halte ich für wenig wahrscheinlich. Der Fall interessiert in der breiten russischen Bevölkerung kaum jemanden. Dass die Mehrheit der Russen stolz auf so einen brutalen versuchten Giftmord wäre, ist nicht anzunehmen.