Spitäler im Corona-Stress«Für uns ist das ganz klar schon eine vierte Welle»
Die Corona-Fallzahlen steigen in der Schweiz wieder exponentiell. Auch die Intensivstationen füllen sich wieder. Für die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen ist die Situation belastend und frustrierend.
Darum gehts
Die Corona-Infektionen steigen in der Schweiz derart stark an, dass Expertinnen und Experten bereits von einer vierten Welle sprechen.
Die Hospitalisationen haben sich innert eines Monats verzehnfacht, 95 Prozent davon sind Ungeimpfte.
«Die Impfung schützt sehr, sehr gut vor schweren Verläufen. Es wäre so einfach», sagt ein Infektiologe eines Spitals.
«Die Möglichkeit einer nächsten grossen Welle ist durchaus da.» So äusserten sich die Experten und Expertinnen des Bundes an der Medienkonferenz vom Dienstag. Rudolf Hauri, der Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und -ärzte wollte noch nicht von einer vierten Welle sprechen, wohl aber von einer «Zwischenwelle».
Tatsächlich steigen die Corona-Fallzahlen in der Schweiz seit Längerem wieder exponentiell. Alleine im letzten Monat verdoppelten sie sich dreimal. Sollten sie sich nochmals dreimal verdoppeln, befinde sich die Schweiz wieder in der gleichen Situation wie zum Höhepunkt der zweiten Welle, sagt Tanja Stadler, Chefin der Covid-19 Taskforce.
«Es wäre so einfach»
Patrick Mathys vom BAG weist zudem darauf hin: «Die Spitaleinweisungen haben sich seit Anfang Juli verzehnfacht.» Gemäss «NZZ» sind in den Zürcher Spitälern zurzeit 95 Prozent der Corona-Patienten und Patientinnen Ungeimpfte.
Nicolas Müller, leitender Arzt an der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich, hat kein Verständnis dafür, dass sich die Intensivstationen jetzt wieder mit Corona-Erkrankten füllen. Denn im Vergleich zu den bisherigen Corona-Ausbrüchen gebe es eigentlich ein einfaches Rezept: «Impfen. Wir haben praktisch keine Geimpften bei uns. Die Impfung schützt sehr, sehr gut vor schweren Verläufen. Es wäre so einfach.»
Schweiz impft zu langsam
Tatsächlich stockt das Impftempo in der Schweiz. Erst rund die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist vollständig geimpft. Fährt die Schweiz im momentanen Tempo weiter, wird es Anfang 2022, bis 80 Prozent doppelt geimpft sind, rechnet die NZZ vor. Die Schweiz impft mittlerweile derart langsam, dass das BAG freiwillig auf eine halbe Million Impfdosen von Moderna verzichtet, die in den nächsten Tagen geliefert hätte werden sollen. Diese Lieferung wurde nun ins vierte Quartal verschoben.
Zudem bestehen grosse regionale Unterschiede. Im Kanton Zürich gibt es beispielsweise Gemeinden, in denen bereits 67,5 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft sind (Seefeld in der Stadt Zürich). Allerdings gibt es auch Gemeinden wie Schmidrüti, in denen erst 30 Prozent vollständig geimpft sind.
«Es ist wirklich ein Frust»
Den Spitälern bleibt nichts anderes übrig, als sich auf einen neue Anstieg an Hospitalisationen vorzubereiten. Für Infektiologe Nicolas Müller ist dabei unerheblich, ob es sich dabei bereits um eine vierte Welle handelt oder nicht – das sei reine Wortklauberei. Entscheidend sei etwas anderes: «Es ist extrem belastend für das Gesundheitspersonal, viele sind müde und ausgelaugt. Die Pandemie zehrt mit der Zeit an den Nerven und an der Moral. Es gibt Leute, die sagen, dass sie keine Lust mehr haben, das alles jetzt ein viertes Mal mitzumachen.» Deshalb ist für Müller klar: «Für uns ist das ganz klar schon eine vierte Welle.»
Die Ferienrückkehrer bereiten Müller grosse Sorgen. Aber auch der Schulstart und die mangelnde Impfbereitschaft der Bevölkerung könnten dazu führen, dass die Spitäler wieder an ihre Belastungsgrenzen kommen könnten im Herbst. «Es ist wirklich ein Frust. Es fühlt sich an wie ein Déjà-vu: Jedes Mal steigen die Zahlen aufs Neue. Mit der Impfung hätten wir jetzt die Möglichkeit, den Verlauf der Pandemie zu beeinflussen. Es ist einfach schade, wenn wir das nicht machen», sagt Nicolas Müller.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?
Hier findest du Hilfe:
BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00
BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92
Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige
Hotline bei Angststörungen und Panik, Tel. 0848 801 109
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
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