Mehr TodesfälleFussgänger leben gefährlich
Auf Schweizer Strassen sind 2010 ein Viertel mehr Fussgänger ums Leben gekommen als 2009. Experten glauben: Die Verständigung zwischen Autofahrern und Fussgängern wird immer schlechter.
Die Schweiz ist ein gefährliches Pflaster für Fussgänger: Während Auto, Töff- und Velounfälle immer weniger Opfer fordern, steigt die Zahl der getöteten Fussgängern seit drei Jahren wieder an – und zwar massiv. 2010 sind 75 Fussgänger ums Leben gekommen, das sind 25 Prozent mehr als im Vorjahr und 26 Prozent mehr als 2008. Auffällig ist, dass die Zunahme gänzlich auf Unfälle ausserhalb der Fussgängerstreifen zurückzuführen ist.
Dieser Trend beunruhigt die Verkehrsexperten, obwohl die Unfallzahlen in den letzten zehn Jahren dank technologischen Fortschritten, verbesserten Infrastrukturen sowie präventiven
und repressiven Massnahmen insgesamt eigentlich rückläufig sind. Für Marlies Bänziger, Direktorin von Fussverkehr Schweiz, ist die Entwicklung ein Alarmzeichen, dass die Fussgänger im öffentlichen Raum nicht mehr akzeptiert werden. «Für Fussgänger wird es immer gefährlicher eine Strasse zu überqueren», sagt die grüne Nationalrätin gegenüber 20 Minuten Online. Das liege einerseits an den zunehmend breiteren Strassen ohne Mittelinseln oder andere Verkehrshilfen, andererseits an den Autofahrern, die heute kaum mehr Rücksicht auf den Fussverkehr nehmen würden. «Bedenkt man, dass in Zukunft immer mehr ältere Menschen zu Fuss unterwegs sein werden, ist das Verhältnis zwischen Autofahrern und Fussgängern eine gesellschaftspolitische Zeitbombe.»
Auch Daniel Menna von der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu spricht von einer generellen Verschlechterung der Verständigung zwischen Autofahrern und Fussgängern. «Ein Problem ist sicher, dass die Autofahrer heute immer mehr abgelenkt sind – zum Beispiel weil sie während des Fahrens telefonieren.» Hier sieht auch der Verkehrsclub Schweiz VCS Handlungsbedarf: «Der VCS plädiert dafür, im Rahmen des Verkehrssicherheitsprogramms Via sicura ein generelles Telefonierverbot am Steuer einzuführen», so Christine Steinemann, Projektleiterin für Verkehrssicherheit. Autofahren erfordere die volle Aufmerksamkeit des Lenkenden.
Stur über Strasse laufen
Niklaus Zürcher, Direktor des Automobilclubs Schweiz (ACS), sieht bei der Verständigung vor allem die Fussgänger in der Pflicht. «Leider beobachten wir zunehmend, dass Fussgänger stur den Weg über die Strasse gehen, ohne nach links und rechts zu schauen.» Oftmals würden die Fussgänger davon ausgehen, dass der Autofahrer im Zweifelsfall dann doch bremse - was aber leider nicht immer der Fall sei. «Auf dem Trottoir geniessen Fussgänger einen grossen Freiraum und vergessen deshalb, dass sie auf der Strasse Verkehrsteilnehmer sind wie alle anderen», so der ACS-Direktor. Doch gerade als schwächste Verkehrsteilnehmer müssten sie besonders aufmerksam sein.
Deshalb appelliert die Strassenopfervereinigung Roadcross an die Fussgänger, sich im Strassenverkehr mit offenen Augen und Ohren zu bewegen. «Zum Selbstschutz sollten Fussgänger beim Überqueren der Strasse Augenkontakt mit den Lenkern herstellen», schreibt die Organisation. Im Zweifelsfall sei es besser, stehen zu bleiben. Das gelte insbesondere dann, wenn Fussgänger mit dem Handy am Ohr über die Strasse laufen oder durch Musik in den Kopfhörern abgelenkt seien. Für Thomas Schweizer von Fussverkehr Schweiz sind diese Massnahmen nur ein Tropfen auf den heissen Stein: «Letztlich können nur Geschwindigkeitsreduktionen und fussgängerfreundliche Infrastrukturen die Unfallzahlen senken.»
Senioren und Frauen gefährdet
Senioren über 75 Jahre sind im Fussverkehr fast dreimal häufiger in Unfälle verwickelt als jüngere Alterskategorien. In den letzten drei Jahren gingen in dieser Alterskategorie die tödlichen Unfälle jedoch zurück von 33 im Jahr 2008 auf 29 im Jahr 2010. Dafür sind die Unfallzahlen bei den Jugendlichen zwischen 10 und 20 Jahren gestiegen von 2 im Jahr 2008 auf 8 im Jahr 2010. Ein Blick auf die Geschlechterunterschiede zeigt, dass weibliche Fussgänger insgesamt häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt sind als männliche. (jep)