Rocker-Prozess«Gang-Mitglieder verpfeifen sich kaum, die Polizei ist der gemeinsame Feind»
Am Montag beginnt der Prozess gegen 22 Hells Angels- und Bandidos-Rocker. Sie hatten sich im Mai 2019 einen blutigen Kampf geliefert, bei dem ein Hells Angel einen Bauchschuss erlitt.
Darum gehts
22 Mitglieder dreier Rockergangs stehen heute vor dem Berner Regionalgericht, weil sie am 11. Mai 2019 an einem Bandenkrieg teilgenommen hatten. Auslöser dafür war laut Anklageschrift, dass Mitglieder ausländischer «Bandidos»-Chapters an einer Töffausstellung ihre Kutten und weitere Gang-Symbole offen getragen hatten. Das hätten die ebenfalls anwesenden Hells Angels und die mit ihnen befreundeten Broncos als Provokation aufgefasst, insbesondere, weil sie vermutet hätten, dass die Bandidos in der Schweiz ein Chapter gründen wollten.
Die Hells und die Broncos mobilisierten daraufhin Mitglieder und fuhren «in grosser Zahl» in Belp vor, wo die Bandidos eine Geburtstagsparty veranstalteten. Das Lokal, in dem die Bandidos feierten, sollte laut Anklageschrift später als Clublokal für das neue Chapter dienen.
Gangs gehen mit Schlagringen, Messern und Eisenstangen aufeinander los
Was folgte, konnten die Untersuchungsbehörden nur teilweise rekonstruieren: Klar ist, dass beide Gruppierungen sich mit Holzstöcken, Eisenstangen und Messern bewaffneten und aufeinander losgingen. In einer «wilden Auseinandersetzung» seien mehrere Mitglieder beider Gruppierungen teils schwer verletzt worden.
Ein Mitglied der Bandidos lud dabei seine Waffe durch und schlug mit dieser einem Hells Angel mehrfach auf den Kopf. Dabei löste sich ein Schuss. Zur Abschreckung feuerte der Bandidos weiter mehrfach in die Luft und später auf ein Auto der Hells, das auf ihn zuraste. Dabei traf er ein Hells-Mitglied in den Bauch. Es musste später notoperiert und seine Milz entfernt werden.
«Riesige Herausforderung für Behörden»
Insgesamt listet die Anklageschrift neben diversen kleineren Verletzungen bei fünf Männern schwerwiegendere Verletzungen auf, etwa tiefe Schnitt- und Rissquetschwunden. Der Bandidos, der dem Hells-Angels-Mitglied in den Bauch geschossen hatte, befindet sich bereits im Gefängnis im vorzeitigen Strafvollzug.
«Ein Prozess mit so vielen Beschuldigten ist für Polizei und Staatsanwaltschaft immer eine Riesen-Herausforderung», sagt Thomas Merz. Als ehemaliger Staatsanwalt und heute auf das Strafrecht spezialisierter Rechtsanwalt kennt er sowohl die Seite der Anklage als auch der Verteidigung. «Mitglieder von Rockergangs machen kaum Aussagen, selbst dann nicht, wenn sie die andere Gang belasten würden. Der gemeinsame Feind sind die Ermittlungsbehörden. Dieser Ethos ist in diesem Milieu weit verbreitet.»
«Die Rocker verpfeifen sich gegenseitig fast nie»
Dazu komme, dass die Mitbeschuldigten – also auch die Rocker aus anderen Gangs und ihre Anwälte – das Recht hätten, schon sehr früh im Verfahren bei den Einvernahmen der anderen Mitbeschuldigten dabei zu sein. «Sie erfahren es also sofort, wenn jemand andere verpfeift. Der Druck, das nicht zu tun, ist extrem hoch, weil alle Angst haben vor den Konsequenzen», sagt Merz.
Wie schwierig solche Prozesse sind, zeigt laut Merz auch ein Blick auf die Straftatbestände, wegen derer sich die Rocker jetzt verantworten müssen: Bei vielen ist Raufhandel darunter. «Die Strafverfolgungsbehörden würden die Gangmitglieder lieber wegen konkreten Körperverletzung anklagen, weil da das Strafmass deutlich höher ausfallen kann. Bei so einer chaotischen Schlägerei, wo die Beweislage dünn ist und niemand etwas verraten will, bleibt den Behörden oft nichts andere übrig, als die Leute wegen Beteiligung an einem Raufhandel anzuklagen. Denn dabei ist schon die reine Teilnahme strafbar, falls es zum Tod oder zur Körperverletzung kommt. Das ist einfacher zu beweisen, als konkrete Körperverletzungen», sagt der Experte.
Mit mehrjährigen Gefängnisstrafen müssen laut Merz aber bloss die Gangmitglieder rechnen, die wegen versuchter vorsätzlicher Tötung oder schwerer Körperverletzung verurteilt werden. «Beim Raufhandel ist die Höchststrafe mit maximal drei Jahren relativ gering. Sie wird ausserdem so gut wie nie ausgesprochen. Gerade weil oft niemand etwas sagen will und die Beweisführung schwierig ist, kommen Gangmitglieder teilweise mit geringeren Strafen davon, als sie für ihre Taten verdient hätten.»