WaffenruheWie lange hält der Gaza-Deal? Das sagt die Expertin
Die Waffenruhe soll kurzzeitig Frieden bringen, doch politische und gesellschaftliche Spannungen stellen ihre Stabilität infrage. Eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht. Ein Interview mit Nahost-Expertin Bente Scheller.
Darum gehts
Der Gaza-Deal zwischen Israel und der Hamas soll am Sonntag in Kraft treten.
Die israelische Regierung wird am Freitag über das verkündete Abkommen abstimmen.
In einer ersten 42-tägigen Phase soll es eine Waffenruhe geben und zunächst 33 der 98 verbliebenen Geiseln in der Gewalt der Hamas freigelassen werden. Im Gegenzug sollen Hunderte palästinensische Häftlinge freikommen.
Während der sechs Wochen sollten die notwendigen Vereinbarungen ausgehandelt werden, um zu Phase zwei zu gelangen: zu einem dauerhaften Ende der Kämpfe.
Das Ziel: In der zweiten Phase sollten alle restlichen lebenden Geiseln freigelassen werden. Und das israelische Militär solle sich komplett aus dem Gazastreifen zurückziehen.
Doch: Wie könnte eine Lösung für Phase zwei aussehen? Ein Interview mit Nahost-Expertin Bente Scheller.
Frau Scheller, welche Bedeutung hätte die Waffenruhe für die Menschen in Israel und Gaza, und wie stabil ist sie einzuschätzen?
Die Waffenruhe ist ein erster Schritt, über den sich viele Israelis und Palästinenser freuen – Angehörige der Geiseln, für die es jetzt Hoffnung gibt, und die Menschen in Gaza, die die letzten Monate in einer immer fürchterlicheren Situation gelebt haben. Dennoch: Die Lage ist fragil, das Vertrauen der Konfliktparteien ineinander ist gering. Deswegen wird es schon Grund zum Aufatmen geben, wenn die Waffenruhe wenigstens die ersten sechs Wochen hält.

Reaktionen in Tel Aviv auf die Verkündung des Gaza-Deals am Mittwoch.
Getty ImagesGlauben Sie also nicht, dass die Waffenruhe über die erste Phase hinaus anhalten würde?
Eine endgültige Einschätzung ist schwierig. Klar ist, dass eine langfristige Waffenruhe äusserst herausfordernd sein wird. Einerseits gibt es sowohl auf Premierminister Benjamin Netanyahu als auch auf die Hamas erheblichen Druck, die Waffenruhe zu verlängern. Insbesondere Israel wird darauf bedacht sein, seine Beziehungen zu den USA nicht zu gefährden.
Andererseits wollen rechte Kräfte, dass Israels Regierung nach den sechs Wochen die Kampfhandlungen wieder aufnimmt und die Hamas weiter schwächt. Zusätzlich könnten die chaotischen Verhältnisse im Gazastreifen dazu führen, dass schon eine kleine Gruppe unzufriedener Menschen Raketen auf Israel abfeuert und die fragile Waffenruhe gefährdet.

Auf Premierminister Benjamin Netanyahu lastet Druck – vonseiten Teilen seiner Regierung und den USA.
Getty ImagesWo liegen die grössten Schwierigkeiten darin, ein langfristiges Ende der Kämpfe und einen Friedensdeal auszuhandeln?
Israel hat deutlich gemacht, dass sie die Hamas nicht als Teil einer zukünftigen Regierung im Gazastreifen akzeptieren will, während die Hamas weiterhin fest davon überzeugt ist, diese Rolle auszufüllen. Doch: Die Hamas bleibt faktisch die stärkste politische Kraft im Gazastreifen. Nicht zuletzt, weil sie seit den Wahlen 2006 demokratische Prozesse blockiert und Freiheitsrechte massiv eingeschränkt hat.
«Es kann nur einen Deal geben, wenn die Feinde sich zusammenraufen und einen solchen beschliessen.»
Es erscheint derzeit nahezu ausgeschlossen, dass eine andere Partei das Machtvakuum füllen könnte. Israel braucht einen Vertragspartner, um erfolgreich zu sein. Daher glaube ich, es kann nur einen Deal geben, wenn die Feinde sich zusammenraufen und einen solchen beschliessen.
Zur Expertin
Bente Scheller ist Politikwissenschafterin und Nahost-Expertin an der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Seit 2019 leitet sie dort das Referat Nahost und Nordafrika.

Bente Scheller, Nahostexpertin an der Heinrich-Böll-Stiftung.
PrivatWorauf werden die beiden Kriegsparteien bei einem Deal nicht verzichten wollen?
Die traumatische Erfahrung des 7. Oktobers hat die Sicherheit Israels zur absoluten Priorität ihrer Regierung gemacht. Für die Hamas ist es das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser. Konkret könnte das bei den Pufferzonen ein Problem werden. Israel möchte diese im Gazastreifen einrichten. Angesichts dessen, dass das Gebiet etwa 40 mal 13 Kilometer misst, wären Pufferzonen, die für die Bevölkerung unzugänglich und landwirtschaftlich nicht nutzbar wären, auch ein massgebliches Problem der Versorgung der Bevölkerung.
«Die Hamas wird alles dafür tun, um an der Macht zu bleiben.»
Ein anderes Problem: Israel strebt die Entmachtung und Entwaffnung der Hamas an. Dagegen wehrt sie sich vehement. Die Hamas wird alles dafür tun, um an der Macht zu bleiben. Hier werden die Kriegsparteien keinen gemeinsamen Nenner finden.
Wie könnte dann eine politische Einigung aussehen? Gibt es sie überhaupt?
Aus europäischer Sicht gilt weiterhin eine Zwei-Staaten-Lösung als die einzige Möglichkeit, die Sicherheit und Selbstbestimmung beider Gesellschaften zu gewährleisten. Sowohl aus israelischer als auch palästinensischer Sicht scheint dieses Szenario derzeit jedoch sehr weit weg zu sein.

Das Ausmass der Zerstörung: Im Norden des Gazastreifens suchen Anwohner nach Überbleibsel in der Ruine.
AFPWas passiert im Gazastreifen, sollte sich Israel zurückziehen?
Die massive Zerstörung stellt eine immense Herausforderung dar, besonders in Bezug auf Wohnraum, Infrastruktur wie Krankenhäuser und das Bildungswesen, das für die Zukunft der Palästinenserinnen und Palästinenser sowie die Sicherheit Israels entscheidend ist. Viele Schulen und Universitäten liegen in Trümmern.
Die durch den Krieg entstandene teils anarchische Lage erfordert dringend die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung. Das wirft wiederum die grundlegende Frage auf, wie eine legitime und international anerkannte Regierung gestaltet werden kann, die in der Lage ist, Stabilität und Perspektiven zu schaffen.
Und was ist die Antwort darauf?
Derzeit scheint es äusserst unwahrscheinlich, dass im Gazastreifen eine international anerkannte Regierung entstehen könnte. Wer sollte dort in der aktuellen Lage Wahlen organisieren? Selbst wenn es dazu käme, ist kaum vorstellbar, dass die Hamas freiwillig auf ihre Macht verzichten würde. Tatsächlich ist es sogar wahrscheinlich, dass sie die Wahlen gewinnen würde, da der Krieg ihr zusätzliche Unterstützung in der Bevölkerung eingebracht hat. Dennoch wird die Hamas international nicht anerkannt werden, da sie in vielen Ländern als Terrororganisation eingestuft ist – erst recht nach ihren Gräueltaten am 7. Oktober 2023. Eine Patt-Situation.
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