Geimpfte nicht ansteckend – kommt jetzt der «Green Pass» bei uns?

Publiziert

Vorbild IsraelGeimpfte nicht ansteckend – kommt jetzt der «Green Pass» bei uns?

Wieder ins Fitnessstudio oder ins Restaurant gehen: Nach ermutigenden Studienresultaten schwindet in der Schweiz der Widerstand gegen Erleichterungen für Immune.

Ein Green Pass, der Geimpften gewisse Erleichterungen erlaubt, steht in der Schweiz zur Debatte.
In Israel dürfen über 3,2 Millionen Einwohner seit Sonntag wieder etwa ins Fitness-Studio oder ins Theater.
 «Statt noch bis im Sommer alles verboten zu lassen, sollte für Personen mit einer Green Card der Besuch von Fussballmatches, Clubs, Openairs und Festivals wieder möglich sein», sagt Ruth Humbel, Nationalrätin (Die Mitte).
1 / 9

Ein Green Pass, der Geimpften gewisse Erleichterungen erlaubt, steht in der Schweiz zur Debatte.

Getty Images/iStockphoto

Darum gehts

  • Etwa Nationalrätin Ruth Humbel (Die Mitte) fordert, dass Geimpfte in der Schweiz in den Genuss von Erleichterungen kommen.

  • «Der Bund wird auf dem Weg zurück in die Normalität nicht um einen fälschungssicheren elektronischen Impf- und Testnachweis herumkommen», sagt ein Gesundheitsexperte.

  • Für SP-Nationalrätin Yvonne Feri kommen solche Erleichterungen einem Impfzwang gleich.

Israel bietet mit dem Green Pass ein Eintrittsticket zurück in die Normalität. Über 3,2 Millionen Einwohner von knapp neun Millionen Einwohnern dürfen seit Sonntag wieder Fitnessstudios, Restaurants, Theater oder Sportereignisse besuchen. Gewährt werden ihnen die Vorzüge in der Pandemie, weil sie geimpft sind oder Antikörper gegen das Coronavirus aufgebaut haben.

Eine unveröffentlichte Studie aus Israel legt zudem erstmals nahe, dass die Impfung auch Übertragungen verhindert: Personen, die mit dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpft wurden, waren zu 89,4 Prozent nicht ansteckend.

Besuche von Openairs sollen möglich sein

Im Juni will der Bund alle Impfwilligen geimpft haben. Ab dann würde auch Ruth Humbel, Präsidentin der Gesundheitskommission des Nationalrats, die Einführung eines Green Pass unterstützen. Bei einer hohen Durchimpfung sei die Einschränkung der Freiheitsrechte nicht mehr verhältnismässig, so die Mitte-Nationalrätin. «Statt noch bis im Sommer alles verboten zu lassen, sollte für Personen mit einem Green Pass der Besuch von Fussballmatches, Clubs, Openairs und Festivals wieder möglich sein.»

Zum Beispiel kann die Covid-App laut Humbel durch einen Immunitätsausweis ausgebaut werden. Da eine neue Studie aus Israel mittlerweile auch belege, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend seien, stehe diesem Plan nichts mehr im Weg. Zudem könnten Personen mit einem aktuellen negativen Test Eintritt erhalten.

«Kein Privileg, sondern eine Befreiung»

Auch FDP-Ständerat Andrea Caroni befürwortet Erleichterungen für Geimpfte, sobald klar sei, dass sie andere nicht mehr anstecken. «Ab diesem Zeitpunkt wäre es verfassungswidrig, geimpfte Personen mittels Isolation oder Quarantäne einzusperren.» Sinngemäss solle dies auch für weitere Beschränkungen in Wirtschaft, Sport und Kultur gelten.

Das sei nicht etwa ein «Privileg», sondern eine notwendige Befreiung, so Caroni. «Wenn Susi den Führerschein schon hat, darf sie fahren – auch wenn Heiri noch auf seinen Prüfungstermin wartet». Am Dienstag führe seine Staatspolitische Kommission bezüglich Erleichterungen für Geimpfte eine breite Anhörung durch, so Caroni.

Auch Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV), befürwortet ab einem bestimmten Durchimpfungsgrad einen Green Pass. Geimpfte und Personen mit Antikörpern sollten so bald wie möglich nicht mehr diskriminiert werden. «Geimpfte machen ja aktiv etwas für den Gesundheitsschutz.»

«Erleichterungen kommen einem Impfzwang gleich»

SP-Nationalrätin Yvonne Feri ist hingegen skeptisch. «Erleichterungen für Geimpfte kommen einem Impfzwang gleich», sagt sie. Es gebe Menschen, die sich aus ethischen Gründen oder aus Angst nicht impfen lassen wollten, was im Alltag kein Nachteil sein dürfe. Die Diskussion über einen Green Pass halte sie für verfrüht. «Es ist noch nicht erwiesen, dass Geimpfte andere nicht anstecken können.» Auch die Epidemiologin Nicole Probst-Hensch äussert sich kritisch (siehe Box).

Für Andreas Faller, Ex-Vizedirektor des BAG und Anwalt für Gesundheitsrecht, ist klar: «Der Bund wird auf dem Weg zurück in die Normalität nicht um einen fälschungssicheren elektronischen Impf- und Testnachweis herumkommen.» Dafür müsse der Bund schon jetzt unverzüglich die technischen und rechtlichen Voraussetzungen schaffen. «Es braucht mehr, als das Impfbüchlein vorzuweisen.» Die mit der Impf-ID verbundenen Freiheiten bezeichnet er als indirekte Impfmotivation. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) konnte sich am Sonntag zum Thema Green Pass nicht äussern.

«Wollen nicht von neuen Mutanten überrollt werden»

Frau Probst-Hensch*, sollen in der Schweiz Geimpfte und solche, die Antikörper gebildet haben, von Erleichterungen profitieren können?
Ohne die Impfung wäre die Welt sehr trist. Die Impfung hilft uns aus der Krise. Israel und auch England mit hohen Durchimpfungsraten zeigen, dass die Impfstoffe wirken – die Sterblichkeit geht zurück. Private Veranstalter oder Fluggesellschaften können Tests und Impfungen verlangen, sowas können wir nicht regulieren. Für problematisch halte ich hingegen, wenn der Staat vorschreiben würde, dass Veranstalter Tests und Impfungen verlangen. Das käme einem staatlichen Impfzwang gleich.

Warum?
Die unter 75-Jährigen ohne Vorerkrankungen haben sich bis jetzt noch nicht impfen lassen können. Solange noch nicht alle Bürger die Möglichkeit für eine Impfung erhalten haben, rutschen wir bei solchen Erleichterungen schnell in eine soziale Ungerechtigkeit. Davon abgesehen ist noch nicht klar, ob geimpfte Personen auch gegen die Mutationen immun sind. Auch braucht es mehr Evidenz zu Impfstoffstudien, ob Geimpfte das Virus wirklich nicht übertragen können. Ausserdem bestehen wegen der Mutanten zu viele Unsicherheiten.

Welche meinen Sie?
Wir wollen verhindern, dass wir plötzlich von den neuen Mutanten überrollt werden. Deshalb halte ich den Plan des Bundesrats für weise. Er sieht Öffnungen dort vor, wo die Ansteckungsgefahr gering ist. Man darf schliesslich nicht vergessen, dass auch junge Menschen nach einer Erkrankung am Virus an Long Covid leiden können. Bis wir wissen, welche Rolle die Mutanten spielen und wo schneller und weniger schnell geöffnet werden kann, ist breites Testen und Impfen deshalb besonders wichtig.

*Nicole Probst-Hensch ist Leiterin des Departments Epidemiologie und Public Health am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?

Hier findest du Hilfe:

BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00

BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92

Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona

Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige

Pro Juventute, Tel. 147

Deine Meinung zählt