Frauenrechte sind zur Lösung der Klimakrise zwingend

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Gender und KlimaWarum Frauen besonders von der Klimakrise betroffen sind

Noëmi Grütter ist Koordinatorin bei einer globalen Allianz für Klimaschutz. Im Interview erklärt sie, inwiefern Geschlechtergerechtigkeit und Klimaschutz Hand in Hand gehen.

Die Schweizerin Noëmi Grütter ist Koordinatorin bei der Global Alliance for Green and Gender Action.
In dieser Funktion nahm sie an der letzten UN-Klimakonferenz COP28 in Dubai teil.
Die Konferenz löste ambivalente Gefühle in Noëmi Grütter aus.
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Die Schweizerin Noëmi Grütter ist Koordinatorin bei der Global Alliance for Green and Gender Action.

Darum gehts

  • Frauen sind stärker von der Klimakrise betroffen: Sie leben eher in Armut, sind stark auf natürliche Ressourcen angewiesen und werden aber trotzdem häufig von umweltpolitischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen.

  • Die Schweizerin Noëmi Grütter, Koordinatorin bei der Global Alliance for Green and Gender Action, sagt: Zum Klimaschutz gehören Frauenrechte dazu.

  • Ihre Erfahrungen an der letzten UN-Klimakonferenz (COP28) in Dubai beschreibt sie als zugleich ernüchternd und inspirierend.

Noëmi Grütter, kürzlich nahmen Sie in Dubai an der UN-Klimakonferenz (COP28) teil. Mit welchem Gefühl denken Sie daran zurück?

Es sind ambivalente Gefühle. Dubai als Veranstaltungsort, mit seinen Autobahnen und Einkaufszentren mitten in der Wüste, fühlte sich an wie eine Dystopie. Die ganze Macht, die sich dort auf kleinem Raum versammelte, war eindrücklich. Vor allem in schwierigen Momenten. Ich habe miterlebt, wie grosse Staaten Entscheidungen trafen, die Vertreterinnen und Vertreter kleiner Inselstaaten zum Weinen brachten, weil sie den Untergang ihres Lebensraums bedeuten. Das ist nur schwer verständlich und hart mitanzusehen.

Gab es auch gute Momente?

All die Gleichgesinnten und Aktivistinnen und Aktivisten, auf die man an solchen Konferenzen trifft, das ist die schöne Seite. Aber auch das ist schwierig: Wenn man sieht, wie den Menschen aus dem Globalen Süden, den Indigenen zum Beispiel, nicht zugehört wird. Diese Menschen sind extrem stark von der Klimakrise betroffen, während sie selber seit jeher im Einklang mit der Natur leben und eigentlich die Lösungen für den Klimaschutz tragen.

Kommt da nicht Hoffnungslosigkeit auf?

Doch. Aber nicht nur. Es gibt auch Hoffnung, zu sehen, wie viele Menschen auf der ganzen Welt am Kämpfen sind. Viele von ihnen riskieren ihr Leben mit jedem Wort, das sie an einer solchen Konferenz sagen, weil sie in ihren Heimatstaaten oft verfolgt und zum Schweigen gebracht werden.

Sie selbst waren in Ihrer Funktion als Koordinatorin bei der Global Alliance for Green and Gender Action vor Ort. Sie befassen sich also mit der Schnittstelle zwischen Gender und Klima. Was haben die beiden Themen miteinander zu tun?

Alle sind von der Klimakrise betroffen. Aber Frauen, inter, nicht-binäre und trans Menschen ganz besonders. Und jene im Globalen Süden umso stärker. Oft haben sie fusionelle Beziehungen zu Natur und Umgebung, pflanzen Essen an, holen das Wasser. Wenn sich ihr Lebensraum durch Naturkatastrophen oder Wasserknappheit verändert oder wenn sie durch Grossindustrien und Rohstoffindustrien gezwungen werden, ihre Häuser und ihre Gemeinschaften zu verlassen, hat das schwerwiegende Folgen für ihr Leben. Es macht sie ärmer und oft abhängiger von ihren Männern, was dann der Nährboden für häusliche Gewalt sein kann. Das ist der Teufelskreis, der passiert. Frauen müssen deshalb in umweltpolitischen Entscheidungsprozessen mitsprechen und ihre Perspektive einbringen können.

Frauen schauen auch oft nach dem Wohl der anderen.

Deshalb sind sie auch diejenigen, die sich überproportional für Klimagerechtigkeit engagieren und dafür mehr strukturelle Gefahren erfahren. Wenn zum Beispiel Shell an einem neuen Ort Öl fördern will, dann sind es meist die Frauen, die Widerstand leisten und organisieren. Sie erfahren dann nicht nur Repression und Gewalt durch Behörden, sondern auch genderspezifische Erniedrigungen bis hin zu sexualisierter Gewalt und Mord.

Wenn wir in die Schweiz blicken: Gibt es auch hier Ungerechtigkeiten in puncto Klima und Frauen?

Zum Beispiel gibt es durch den Klimawandel auch in der Schweiz immer mehr Naturkatastrophen. Frauen sind davon oft überproportional betroffen, weil sie in patriarchalen Systemen viel mehr Verantwortung tragen für das Häusliche. Man weiss auch, dass das Gewaltlevel steigt, wenn sich Männer hilf- und schutzlos fühlen, was dann in geschlechterspezifischer Gewalt endet.

Welche Lösungen gibt es für diesen Teufelskreis?

Frauen müssen mit an den Entscheidungstisch. Und zwar nicht irgendwelche Frauen, sondern jene, die die Entscheidungen betreffen. Im Falle von indigenen Gemeinschaften in Bolivien also die Frauen aus diesen Communitys. Wichtig ist es auch, Klimagerechtigkeits- mit Frauenbewegungen zusammenzubringen. Denn Frauenbewegungen haben einen Vorsprung: Sie sind sehr erfahren im Kampf um Gerechtigkeit. Diese Strategien sollte man in die Klimagerechtigkeitsbewegung einbringen.

Ich nehme an, Geld spielt auch eine wichtige Rolle?

Wo Gelder hinfliessen, ist enorm wichtig. Gelder – auch aus der Schweiz —, die eigentlich Klimakatastrophen verhindern sollen, werden oft investiert in Projekte, die oft mehr Schaden anrichten, als Gutes tun.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Regierungen mögen schnelle Lösungen, zum Beispiel investieren sie gerne in erneuerbare Energien, wie zum Beispiel Staudämme. Ich kenne viele Fälle von unseren Partnerorganisationen, wo Dämme lokale Ökosysteme zerstört oder indigene Gemeinschaften vertrieben haben. Was nützt erneuerbare Energie, wenn die Biodiversität dadurch verloren geht? Schliesslich ist bekannt, dass der Erhalt der Ökosysteme einer der Schlüssel zur Bekämpfung der Klimakrise ist. Wir plädieren dafür, dass Klimalösungen ganzheitlich gedacht werden – aber die funktionieren lokaler, sind aufwendiger und nicht so beeindruckend wie ein nigelnagelneuer Staudamm.

In diesem Zusammenhang spricht man auch von feministischer Klimapolitik. Was verstehen Sie darunter?

Das heisst, dass Werte aus dem Feminismus in die Klimapolitik integriert werden. Dass also Frauen und andere marginalisierte Gruppen, die überproportional von der Klimakrise betroffen sind, genauso von Klimaschutz profitieren sollen wie alle anderen. Und dass sie Entscheidungen mittreffen können.

Gibt es Länder, die Ihrer Meinung nach feministische Klimapolitik betreiben?

Es gibt einige interessante Schritte in diese Richtung, aber mir ist kein Land bekannt, das sich komplett dazu bekennt und es auch umsetzt.

Dem Klima-Thema insgesamt scheint zurzeit keine grosse Aufmerksamkeit zuzukommen. Was sagen Sie dazu?

Das ist bemerkenswert, denn gerade die allgegenwärtigen Kriege haben eigentlich viel mit dem Klima zu tun. Ressourcenknappheit aufgrund der Klimakrise ist oft der Grund für Krieg. Kriegsmaterialien sind extrem schädlich für die Umwelt. Und wir geben weltweit ein massiv Vielfaches an Geld für Krieg aus als für den Klimaschutz. Was viele nicht wissen: Friedensbewegungen und Forderungen nach Demilitarisierung kommen ursprünglich aus der feministischen Bewegung.

Auch Sie selber kommen ursprünglich aus dem Bereich Gender Justice, also Geschlechtergerechtigkeit. Sie sind auch Co-Präsidentin von Sexuelle Gesundheit Schweiz. Warum nun der Fokus auf die Klimakrise?

Ich habe irgendwann verstanden, dass all die feministischen Kämpfe – Abtreibungsrechte, Femizide, Gleichstellung für alle, um nur einige zu nennen – nicht die nötigen Fortschritte machen werden, wenn wir das Klima-Problem nicht lösen. Die Klimakrise wird für mehr Ungleichheit sorgen, egal, wie sehr wir uns das Gegenteil wünschen. Wenn man das Ausmass der Klimakrise einmal verstanden hat, sieht man alles in diesem Zusammenhang – weil alles zusammenhängt.

Die Global Alliance for Green and Gender Action ist eine Allianz von drei Haupt- sowie über 500 lokalen Partnerorganisationen aus den Bereichen Gender-, Klima- und Umweltgerechtigkeit aus der ganzen Welt. Unterstützt werden lokale Organisationen aus dem Globalen Süden, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind und auch die Lösungen gegen die Klimakrise tragen. Finanziert wird die Allianz durch die Regierungen Hollands, Kanadas und private Stiftungen.

Wussten Sie, dass Frauen stärker von der Klimakrise betroffen sind?

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