Covid-19Genesene haben offenbar erhöhtes Risiko für neurologische Probleme
Einer Studie zufolge könnte eine Covid-19-Infektion neurologische Störungen wie Demenz oder Epilepsie fördern. Einige Probleme treten bei Delta und Omikron häufiger auf als bei anderen Varianten.
Darum gehts
Covid-19-Betroffene haben noch zwei Jahre nach der Infektion ein leicht erhöhtes Risiko für manche psychiatrische und neurologische Probleme. Das berichten britische Forschende im Fachjournal «The Lancet Psychiatry» nach Auswertung der Krankenakten von 1,28 Millionen Covid-19-Genesenen und von ähnlich vielen Menschen mit einer anderen Atemwegserkrankung.
Das Team um Paul Harrison und Maxime Taquet von der University of Oxford verwendete Daten aus den USA, Grossbritannien, Spanien, Bulgarien, Australien, Indien, Malaysia und Taiwan. Bei dem Abgleich achteten die Forschenden darauf, dass die Gruppe der Covid-Patientinnen und -Patienten und die Kontrollgruppe mit anderen Atemwegserkrankungen im Hinblick auf Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft und andere Merkmale sehr ähnlich waren. Die Covid-Erkrankungen waren zwischen Januar 2020 und April 2022 diagnostiziert worden.
Depressionen und Angststörungen meist nur von kurzer Dauer
Die Resultate widersprechen zunächst dem Verdacht, Covid könne längerfristige Gemütsstörungen verursachen. «Es ist eine gute Nachricht, dass das Übermass an Depressions- und Angstdiagnosen nach Covid-19 nur von kurzer Dauer ist und bei Kindern (Personen unter 18 Jahren) nicht beobachtet wird», wird Harrison in einer Mitteilung seiner Universität zitiert. Demnach waren Gemütsstörungen 43 Tage nach der Covid-Diagnose auf demselben Niveau wie in der Kontrollgruppe, bei Angststörungen war dies nach 58 Tagen der Fall. In der Altersgruppe unter 18 Jahren fanden die Forschenden kein erhöhtes Vorkommen solcher Störungen.
«Es ist eine gute Nachricht, dass das Übermass an Depressions- und Angstdiagnosen nach Covid-19 nur von kurzer Dauer ist und bei Kindern nicht beobachtet wird.»
Neurologische Störungen langwieriger
Besorgniserregend sei jedoch, so Harrison, dass einige andere Erkrankungen, wie Demenz und Krampfanfälle, auch zwei Jahre nach Covid-19 noch häufiger diagnostiziert würden. So deutet die Studie bei Covid-19-Betroffenen auf etwas höhere Risiken für Bewusstseinstrübungen (Brain Fog), Demenz, psychotische Schübe sowie Epilepsie auch am Ende der zweijährigen Nachbeobachtungszeit hin.
Auf 10’000 Patientinnen und Patienten gerechnet, gab es in der Covid-Gruppe der 18- bis 64-Jährigen 640 Fälle von Bewusstseinstrübungen, während es in der Kontrollgruppe 550 Fälle waren. Bei den über 64-Jährigen traten 446 Fälle von Demenz bei 10’000 Covid-Genesenen auf, in der Kontrollgruppe mit anderen Atemwegserkrankungen waren es 334 Fälle. «Es ist klar, dass es sich nicht um einen Tsunami von Fällen handelt», so Co-Autor Taquet. Aber angesichts der schwerwiegenden Folgen einer Demenzdiagnose könne man diese Zahlen nur schwer ignorieren.
Bei Kindern zeigt sich, dass epileptische Anfälle und psychiatrische Episoden nach einer Corona-Infektion doppelt (263 gegenüber 126 von 10’000) beziehungsweise dreimal (18 gegenüber sechs von 10’000) so oft auftreten, aber immer noch selten bleiben.
Kaum Unterschiede zwischen Delta und Omikron
Die Forschenden untersuchten auch die Auswirkungen der Coronavirus-Varianten Alpha, Delta und Omikron. Bei der Delta-Variante ergab sich im Vergleich zur Alpha-Variante ein erhöhtes Risiko für ischämischen Schlaganfall (ausgelöst durch Gefässverschluss), Epilepsie, Bewusstseinstrübungen, Schlaflosigkeit und Angststörungen. Bei der Omikron-Variante gab es demnach kaum Unterschiede zur Delta-Variante, allerdings war die Sterberate geringer. «Es scheint, dass Omikron, obwohl es in der akuten Krankheit weniger schwerwiegend ist, von vergleichbaren Raten dieser Diagnosen gefolgt wird», so Harrison in der Mitteilung.
«Es scheint, dass Omikron, obwohl es in der akuten Krankheit weniger schwerwiegend ist, von vergleichbaren Raten von Diagnosen wie Demenz und Krampfanfällen gefolgt wird.»
«Die Ergebnisse werfen ein neues Licht auf die längerfristigen Folgen für die psychische Gesundheit und das Gehirn von Menschen nach einer Covid-19-Infektion», sagt Taquet. So ist derzeit noch unklar, wie lange psychotische Störungen, Epilepsie oder Krampfanfälle, Demenz und kognitive Defizite anhalten: «Das Fehlen von Risikohorizonten zeigt, dass Betroffene und Kliniker weiterhin auf die Möglichkeit dieser Spätfolgen achten müssen», heisst es in der Studie. Die Ergebnisse deuteten weiter darauf hin, dass die Bereitstellung von Diensten verstärkt und aufrechterhalten werden müsse, «da neue Fälle wahrscheinlich noch eine beträchtliche Zeit nach Abklingen der Pandemie auftreten werden».
Einschränkungen der Studie
Die Autoren räumen jedoch ein, dass wegen der Datenbasis Covid-Fälle mit geringen oder keinen Symptomen unterrepräsentiert sein könnten. Nicht berücksichtigt wurde ausserdem, wann die neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen erstmals diagnostiziert wurden und wie schwer die Fälle waren. Auch könnten in den Patientenakten Informationen über Covid-Erkrankungen oder über Impfungen gegen das Coronavirus fehlen, was die Ergebnisse verzerren könnte, räumt das Team weiter ein.
Jonathan Rogers und Glyn Lewis vom University College London, die nicht an der Studie beteiligt waren, schreiben in einem im gleichen Fachjournal veröffentlichten Kommentar: «Dies ist die erste Studie, die versucht, einen Teil der Unterschiedlichkeit anhaltender neurologischer und psychiatrischer Aspekte von Covid-19 in einem grossen Datensatz zu untersuchen.» Einige klinische Merkmale bedürften einer weiteren Prüfung.
Wie verhältst du dich punkto Corona?
Die Studie sei vor allem wegen der enormen Zahl an Betroffenen, der Kontrollgruppe und des langen Beobachtungszeitraums von zwei Jahren relevant, sagt Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Eingeschränkt werde die Aussagekraft allerdings dadurch, dass der Schweregrad der Atemwegserkrankungen in der Kontrollgruppe nicht berücksichtigt worden sei. Ein erhöhtes Risiko für eine Demenz bei Covid-Patientinnen und -Patienten gebe die Studie nicht her. «Es ist bekannt, dass eine latente Demenz häufig durch ein schwerwiegendes Ereignis, etwa eine Covid-19-Erkrankung, manifest wird, ohne dass es einen ursächlichen Zusammenhang gibt», betont der Neurologe.
So schätzt es auch Paul Garner, emeritierter Professor für Evidenzsynthese im Bereich der globalen Gesundheit an der Liverpool School of Tropical Medicine, ein: Die Pandemie habe das Leben der Menschen auf vielfältige Weise verändert. «Ich denke, die kleinen Zunahmen bei Demenz und Psychose müssen vorsichtig interpretiert werden. Diese sind meiner Meinung nach eher mit dem gesellschaftlichen Aufruhr und der Dystopie, die wir durchlebt haben, assoziiert, als eine direkte Folge der Virusinfektionen.»
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