Gerichtsschreiber mimt schreiendes Prügelopfer

Aktualisiert

Zürcher ObergerichtGerichtsschreiber mimt schreiendes Prügelopfer

Zwei Schlieremer Stadtpolizisten sollen einen Randständigen verprügelt haben. Am Dienstag nahm das Obergericht den Tatort unter die Lupe – optisch und akustisch.

von
Attila Szenogrady
In diesem Schrebergarten in Schlieren soll es zur Polizeigewalt gekommen sein.

In diesem Schrebergarten in Schlieren soll es zur Polizeigewalt gekommen sein.

Die Vorwürfe gegen die Beschuldigten wogen schwer. So haben die beiden damaligen Beamten der Stadtpolizei Schlieren am 24. Juni 2011 einen betrunkenen und renitenten Randständigen in seinem Gartenhäuschen an der Ifangstrasse in Schlieren brutal verprügelt. Zudem nötigten sie ihn ein Kündigungsschreiben zu verfassen und nahmen ihm ein Handy sowie einen Schlüssel ab. Zum Schluss jagten sie ihn davon und hetzten ihn mit dem Polizeiauto über die Strasse. Dann kehrten die Polizisten zurück und durchsuchten ohne dessen Wissen sein Grundstück.

Der heute 47-jährige IV-Rentner erstattete drei Monate nach dem Vorfall gegen die beiden Polizeibeamten eine schriftliche Strafanzeige. Mit Erfolg, da das Bezirksgericht Dietikon die beiden Ordnungshüter vor einem Jahr wegen Körperverletzung, Amtsmissbrauchs und weiteren Delikten zu bedingten Freiheitsstrafen von je 16 Monaten verurteilte.

Die nicht geständigen Beamten legten Berufung ein und gelangten am Dienstag an das Zürcher Obergericht.

Nachbarn bekamen offenbar nichts mit

Dieses beschloss einen ungewöhnlichen Prozessauftakt und führte am Dienstagmorgen einen Augenschein am Tatort durch. Um 8.15 Uhr erschienen an der Ifangstrasse nicht nur drei Oberrichter, sondern auch die Prozessparteien, Medien und eine Polizeipatrouille. Der Gerichtsvorsitzende Daniel Bussmann leitete den Augenschein und ordnete eine Besichtigung des Gartenhäuschens und früheren Aufenthalt des Privatklägers an. Dabei wurde klar, dass dieser auf einem sehr kleinen Raum von wenigen Quadratmetern wohnte.

Bussmann liess auch den Abstand zwischen dem angeblichen Tatort und einem benachbarten Schrebergarten vermessen. So hatten mehrere mit dem Opfer zerstrittene Anwohner am Tattag die Polizei alarmiert. Sie wollen von den eingeklagten polizeilichen Übergriffen nichs mitbekommen haben. Deshalb liess Bussmann auch einen akustischen Test durchführen. Dabei musste sich der Gerichtsschreiber in die Gartenlaube begeben, das Prügelopfer nachahmen und herumschreien. Was draussen deutlich zu hören war.

Hausfriedensbruch im Mittelpunkt

Nach dem Augenschein zogen sich die Beteiligten zum Zürcher Obergericht zurück. Bei der Befragung zur Sache beteuerten die Beschuldigten erneut ihre Unschuld und sprachen von einer Routinekontrolle. So habe sich der betrunkene und nach Marihuana riechende Geschädigte gegen die Aufnahme seiner Personalien mit Schimpftiraden und einer Spuckattacke gewehrt, erinnerte sich einer der Beamten zurück. Deshalb hätten sie ihn an den Armen gepackt und zum Polizeiauto gebracht. Nach der Abklärung seiner Identität hätten sie ihn wieder gehen lassen, erklärten die beiden Beschuldigten.

Bei den Oberrichtern kreisten die Fragen vor allem rund um den eingeklagten Hausfriedensbruch. «Sie durften nicht einfach in den Garten hinein», warf Referent Marco Ruggli den beiden Beschuldigten vor. Zudem habe man den Vorfall nicht einmal in das Polizeijournal eingetragen. «Wir haben menschlich wie polizeilich nichts falsch gemacht», erklärte der jüngere, heute 43-jährige Beschuldigte zum Schluss.

Aussagen des Geschädigten zerpflückt

Die beiden Verteidiger Valentin Landmann und Max Birkenmaier forderten vollen Freisprüche und attackierten die Glaubwürdigkeit und die Darstellungen des Geschädigten, der immer wieder die Bereitschaft zu falschen Beschuldigungen gezeigt habe. Landmann wunderte sich zudem darüber, dass der alkoholabhängige Privatkläger bei allen Einvernahmen nach Wunsch schriftliche Notizen konsultieren durfte.

Die Verteidiger kritisierten auch die Ergebnisse eines Arztberichts, der erst vier Tage nach dem angeblichen Vorfall erstellt worden war. Landmann erklärte zudem, dass das Zusammenschlagen des Geschädigten in der kleinen Gartenlaube gar nicht habe erfolgen können. Einerseits aus Platzgründen, da alleine sein Mandant als gefestigte Persönlichkeit zu viel Raum beansprucht hätte. Andererseits hätte keiner der Nachbarn irgendwelche Schreie gehört.

Die Staatsanwaltschaft und die Rechtsvertreterin des Geschädigten forderten dagegen die umfassende Bestätigung der Dietiker Schuldsprüche. Die Plädoyers dauerten bis in die späten Abendstunden hinein. Der Zeitpunkt des Urteils ist noch unklar.

Deine Meinung zählt