Bildungsexperte«Googeln sollte Schulfach werden»
Viele Eltern halten nichts von Auswendiglernen. Bildungsexperte Sven Ruoss gibt ihnen recht. Die Schule müsse heute verstärkt digitale Kompetenzen vermitteln.
Herr Ruoss, Schüler und Eltern wehren sich gegen das Auswendiglernen in der Schule. Haben sie recht?
Ja, das klassische Auswendiglernen hat ausgedient. Anstatt wie früher die Namen von Flüssen und Hauptstädten zu pauken, sollten Schüler heute lernen, wo Sie Informationen finden und welchen Quellen sie wie stark vertrauen können. Die Bildung muss sich hier der Gesellschaft anpassen. Digitalkunde und richtiges Googeln sollten Schulfächer werden. Ansonsten drohen die Schüler in der Informationslawine zu ersticken.
Wie meinen Sie das?
Die Menge an verfügbarem Wissen wächst immer schneller. Heute verdoppelt sie sich laut dem britischen Wissenschaftler Richard Bruckminster Fuller jedes Jahr, in zehn Jahren könnte es nur noch einen Tag dauern, bis sich die Menge des Wissens verdoppelt. Wenn Schüler dann in einer Schulstunde etwas auswendig lernen, ist es bereits veraltet, wenn es zur grossen Pause läutet. Daher ist es wichtig, dass die Schüler lernen, mit dieser Flut von Informationen umzugehen.
Also bleibt den Schülern das Lernen französischer Vokabeln erspart?
Leider nicht. Damit man eine Sprache fliessend sprechen kann, ist es selbstverständlich notwendig, dass man über einen Wortschatz verfügt, den man sofort abrufen kann und nicht erst googeln muss. Auch im Geschichtsunterricht sollte man beispielsweise noch einige Jahreszahlen auswendig lernen, dass man Ereignisse einordnen und die richtigen Schlüsse ziehen kann. Ganz erspart bleibt den Schülern das Lernen also nicht, vor allem dort, wo die erlernten Fakten häufig benötigt werden, und nicht nur bei der Prüfung
Verlernen die Schüler so nicht, sich Sachen zu merken?
Nein. Unser Hirn merkt sich einfach andere Sachen. Statt die Länge von Flüssen auswendig zu lernen, lernen wir Dinge, die uns für das alltägliche Leben relevanter erscheinen. Wir verlernen folglich nicht, uns Sachen zu merken, lediglich die Gewichtung verschiebt sich.
Wie sähe denn das Schulfach Digitalkunde aus?
Digitalkunde sollte keinen rein technischen Fokus haben, sondern einen anwendungsorientierten. Die Schüler sollen lernen, wie sie sinnvoll mit den neuen digitalen Gadgets und Tools umgehen können. Denn wer diese neuen digitalen Möglichkeiten beherrscht, wird einen Wettbewerbsvorteil auf dem Stellenmarkt haben.
Auf welche Art von Job muss die Schule von heute denn die Schüler vorbereiten?
Die Digitalisierung wird in den nächsten Jahren starken Einfluss auf verschiedenste Berufe haben. Gewisse Tätigkeiten werden von Robotern übernommen werden oder einfach automatisiert. Wir können heute leider noch gar nicht abschätzen, welche Fertigkeiten und Jobtitel in der Zukunft gefragt sind. Deshalb müssen wir die Schüler in der Schule vorbereiten, wie sie sich lebenslänglich neue Fertigkeiten aneignen können.
Neben der Freizeit sollen die Schüler auch in der Schule ihr Smartphone nutzen. Wächst da nicht eine Generation der Smartphone-Zombies heran?
Wenn die Schüler in der Schule ihr Smartphone nie nutzen dürfen, ist das weltfremd. Wenn die Schule die Nutzung nicht thematisiert, können wir sicher sein, dass Smartphone-Zombies heranwachsen. Schüler sollen lernen, wie sie mit Smartphone und Co. sinnvoll umgehen können. Dazu gehört auch, die digitalen Geräte einfach mal auszuschalten.

Sven Ruoss ist Bildungsexperte und Dozent für digitale Themen an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich.