Nadja Benaissa«Gott, steh mir bei!»
Zehn Jahre Haft drohen Nadja Benaissa, sollte sie verurteilt werden: Zum Prozessauftakt entschuldigte sich die No-Angels-Sängerin unter Tränen für die mögliche Infektion ihrer Sexualpartner.
Die wegen Ansteckung eines Exfreundes mit dem Aids-Virus angeklagte No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa hat zu Beginn ihres Prozesses ein Geständnis abgelegt. Die 28-Jährige räumte am Montag, dem 16. August vor dem Amtsgericht Darmstadt ein, dass sie ungeschützten Sex hatte, obwohl sie von ihrer HIV-Infektion wusste. «Es tut mir von Herzen leid», versicherte sie. «Ich habe keineswegs gewollt, dass mein Partner infiziert wird.» Sie sagte auch: «Gott, steh' mir bei!»
Die Sängerin muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Sie hat laut Staatsanwaltschaft seit 1999 von ihrer Infektion mit dem Aids-Virus gewusst. Sie soll diese aber ihren Partnern verschwiegen haben und mit drei Männern ohne Kondom geschlafen haben. Im Jahr 2004 steckte sie einen Mann an. Der heute 34-Jährige nimmt als Nebenkläger am Prozess teil. Er erstattete im Jahr 2008 Strafanzeige gegen Benaissa.
Als Zeuge wandte sich der Künstlerbetreuer aus Frankfurt am Main direkt an die Angeklagte: «Du hast mir so viel Leid zugetragen!», warf er ihr vor. Die beiden hatten nach seinen Angaben 2004 eine etwa drei Monate dauernde Beziehung, nachdem sie sich bei Studioaufnahmen in Frankfurt-Höchst kennengelernt hatten. Er sagte, sie hätten fünf bis sieben Mal miteinander geschlafen, davon zwei oder drei Mal ohne Kondom. Danach habe Nadja bei der MTV-Sendung «Dismissed» in der Dominikanischen Republik einen neuen Mann kennengelernt und mit ihm mehrmals ungeschützt am Strand Sex gehabt.
«Mein Brechreiz hat sich erhöht»
Der 34-Jährige sagte, die Tante der Sängerin habe ihn im Februar 2007 gefragt, ob er nicht gewusst habe, dass Nadja HIV-positiv sei. Daraufhin habe er einen Test gemacht. Er habe ein Jahr gebraucht, um mit der Diagnose HIV-positiv klarzukommen. Sein Arzt habe ihm gesagt, Aids könne jederzeit ausbrechen.
«Ich bin in meiner Lebensqualität komplett eingeschränkt», sagte der Zeuge. So könne er nicht in ferne Länder reisen. Sein Einkommen habe sich halbiert. «Es geht mir nicht ums Geld», betonte der Nebenkläger. «Über die Zeit hat sich mein Brechreiz erhöht.» Der Zeuge erklärte, das Management der No Angels habe versucht, ihn zum Schweigen zu bringen. Der 34-Jährige hatte Nadja Benaissa nach eigenen Angaben angeboten, sie solle sich öffentlich zur HIV-Infektion bekennen und der Aids-Hilfe 100 000 Euro spenden. Dann hätte er sie nicht angezeigt. Kurz zuvor hatte Benaissa aber eine Eidesstattliche Versicherung über ihre Zahlungsunfähigkeit abgegeben.
Ihr Verteidiger Oliver Ballasch verlas zu Prozessanfang eine Erklärung der Angeklagten. Das Verfahren habe ihr vor Augen geführt, dass ihr Umgang mit der Krankheit falsch gewesen sei, bekannte sie. Sie könne sich nicht an alle Einzelheiten ihres Intimlebens in den vergangenen zehn Jahren erinnern, aber die Anklagevorwürfe träfen zu.
Vor Auftritt in Diskothek festgenommen
Nadja Benaissa war am 11. April 2009 vor einem Auftritt in einer Frankfurter Diskothek festgenommen worden und sass danach zehn Tage lang in Untersuchungshaft. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und Polizei stiess auf Kritik. Ihnen wurde vorgeworfen, die prominente Sängerin und Mutter eines schulpflichtigen Kindes an den Pranger zu stellen. Die Deutsche Aids-Hilfe kritisierte, dass die Verantwortung für ungeschützten Verkehr allein Benaissa zugeschoben werde.
Weil die Angeklagte zu Beginn der Tatzeit noch Jugendliche war, findet der Prozess vor dem Jugendschöffengericht statt. Die Kammer hat fünf Verhandlungstermine angesetzt, demnach wäre am 26. August mit dem Urteil zu rechnen.
Der Prozess gegen die Sängerin Nadja Benaissa
Am Montag hat vor dem Amtsgericht Darmstadt der Prozess gegen die No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa begonnen. Im Folgenden eine Chronik der wichtigsten Ereignisse seit ihrer Festnahme in Frankfurt am Main.
11. April 2009: Die damals 26-jährige Sängerin wird vor einem Soloauftritt in einer Diskothek in Frankfurt am Main festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hatte Haftbefehl wegen des Vorwurfs der schweren Körperverletzung erwirkt.
14. April 2009: Die Staatsanwaltschaft Darmstadt teilt mit, dass Benaissa vor Jahren trotz ihrer HIV-Infektion mit drei Männern ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt haben soll. Mindestens einer der nichtsahnenden Sexualpartner sei nun auch HIV-positiv. Nach Angaben des Pressesprechers Ger Neuber hatte einer der Männer im Jahr 2008 Strafanzeige erstattet. Die Deutsche Aids-Hilfe kritisiert die Verhaftung. Damit werde die Verantwortung für ungeschützten Verkehr allein Benaissa zugeschoben.
21. April 2009: Nach zehn Tagen Untersuchungshaft ist Benaissa wieder auf freiem Fuss. Wegen der Veröffentlichung der Vorwürfe aus dem Intimleben der Sängerin gerät die Staatsanwaltschaft zunehmend in die Kritik.
29. April 2009: Der Fall wird zum Politikum: Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) verteidigt vor dem Rechtsausschuss des Wiesbadener Landtags gegenüber der Opposition das Vorgehen der Ermittler.
1. Juli 2009: Benaissa spricht in der RTL-Sendung «Stern TV» erstmals öffentlich über ihre HIV-Infektion.
15. Juli 2009: Bei der verspäteten Präsentation des neuen No-Angels-Albums in Berlin stellen sich die Bandkolleginnen demonstrativ hinter Nadja Benaissa.
8. November 2009: Benaissa hält eine viel beachtete Rede auf der Berliner Aids-Gala. Sie habe unter enormem Druck gestanden, ihre Infektion geheim zu halten: «Es gab Erpressungen, Drohungen.»
12. Februar 2010: Die Staatsanwaltschaft Darmstadt erhebt gegen Benaissa Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Bei den Vernehmungen habe sie eingeräumt, bereits seit 1999 von ihrer HIV-Infektion zu wissen.
18. Mai 2010: Das Amtsgericht Darmstadt lässt die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zu. Der Prozess vor dem Jugendschöffengericht wird auf fünf Verhandlungstage angesetzt.
16. August 2010: Prozessbeginn in Darmstadt.