Grossbritannien«Grausames und gemeines Vorhaben» – Johnson will Flüchtlinge nach Ruanda schicken
Im November 2021 starben 27 Menschen im Ärmelkanal beim verzweifelten Versuch, Grossbritannien zu erreichen. Die konservative Regierung in London will solche Tragödien verhindern – aber mit Härte und Abschreckung. Premier Johnson setzt auf ein Land in Ostafrika.
Darum gehts
Grossbritannien will Migranten für die Dauer ihres Asylantrags nach Ruanda schicken. Damit versucht die konservative Regierung nach eigenen Angaben, Wirtschaftsflüchtlinge von der gefährlichen und illegalen Überfahrt über den Ärmelkanal abzuschrecken und Schleusern das Handwerk zu legen. Schon innerhalb von «Wochen oder wenigen Monaten» sollten die ersten Flüge starten, erklärte ein Regierungsvertreter am Karfreitag.
In der Meerenge zwischen Grossbritannien und Frankreich soll die britische Marine gegen Menschenschmuggler vorgehen, wie Premierminister Boris Johnson zuvor angekündigt hatte. Dafür soll sie unter anderem mehrere neue Patrouillenboote erhalten. Menschenrechtler und Opposition zeigten sich empört über das «grausame und gemeine» Vorhaben. Kritiker werfen Johnson zudem vor, er wolle vor wichtigen Kommunalwahlen in England von der «Partygate»-Affäre in der Downing Street ablenken.
Die Pläne «widersprechen dem Geist und Text der Genfer Flüchtlingskonvention», warnte das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR. Menschen, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen, sollten nicht wie Ware zur weiteren Bearbeitung ins Ausland geschickt werden, sagte UNHCR-Vertreterin Gillian Triggs. Grossbritannien habe die Pflicht, solchen Menschen Zugang zu Asyl zu gewähren.
«Teurer als Unterbringung in Luxushotels»
Migranten rund 6500 Kilometer weit weg nach Ostafrika zu schicken, «wird sie kaum davon abhalten, ins Land zu kommen, sondern nur zu mehr menschlichem Leid und Chaos führen», sagte Enver Solomon vom Flüchtlingsrat Refugee Council. Er schätzt die Kosten für die Steuerzahler auf 1,4 Milliarden Pfund (1,7 Mrd. Euro) pro Jahr. Kritiker führten am Freitag an, das Programm werde Grossbritannien teurer zu stehen kommen als die Unterbringung von Asylbewerbern in Luxushotels.
Zustimmung in jedem Einzelfall erforderlich
Das britische Rote Kreuz zeigte sich besorgt über die Pläne, «traumatisierte Menschen um die halbe Welt zu schicken». Die BBC nannte das Vorhaben, das zunächst für fünf Jahre beschlossen wurde, ein «One-Way-Ticket» für einige Flüchtlinge. Ruanda muss jedem Flüchtling, den Grossbritannien nach Afrika schickt, zustimmen.
Die schlechte Menschenrechtslage in dem Land, das seit 2000 von Präsident Paul Kagame autoritär regiert wird, löste bei Kritikern ebenfalls Besorgnis aus. In den Bereichen Bildung, Gesundheit und Infrastruktur wurden zwar grosse Fortschritte gemacht. Allerdings wird Kagame vorgeworfen, Dissidenten zu verfolgen und die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Johnson sprach von «einem der sichersten Länder der Welt». Noch vergangenes Jahr hatte London die Regierung in Kigali kritisiert, nun reiste Innenministerin Priti Patel zur Unterschrift nach Ruanda – obwohl nach Ansicht von Experten noch viele rechtliche Fragen offen sind.