Neue Umgangsformen: «Hatschi!» – müssen wir uns nach dem Niesen entschuldigen? 

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Neue Umgangsformen«Hatschi!» – müssen wir uns nach dem Niesen entschuldigen?

Korrekt ist laut Knigge, nach dem Niesen um Verzeihung zu bitten. Das trifft auf Widerstand. Für kaum unterdrückbare Reaktionen gehe dies zu weit, so eine Public-Health-Vertreterin.

Die Floskel auf das «Hatschi» soll nicht mehr zum guten Ton gehören.
Evelyn Siller, Vorsitzende des Deutschen Knigge-Rats, hält den jetzigen Zeitpunkt für ideal, um den Umgang mit dem Thema Niesen zu überdenken.
«Seit der Pandemie ist Niesen ein Problem, das sowohl den Niesenden als auch das Umfeld verunsichert», sagt Siller.
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Die Floskel auf das «Hatschi» soll nicht mehr zum guten Ton gehören.

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Darum gehts

Niesende sind in der Pollensaison allgegenwärtig – Hochkonjunktur hat das «Gesundheit». Doch die Floskel auf das «Hatschi» soll nicht mehr zum guten Ton gehören. Evelyn Siller, Vorsitzende des Deutschen Knigge-Rats, hält den jetzigen Zeitpunkt für ideal, um den Umgang mit dem Thema Niesen zu überdenken.

«Seit der Pandemie ist Niesen ein Problem, das sowohl den Niesenden als auch das Umfeld verunsichert», sagt Siller. Viele Menschen wüssten nicht, wie sie mit dem schlechten Gefühl dabei umgehen sollten. «Es wäre eine gute Möglichkeit, wenn wir uns für das Niesen entschuldigen würden.»

Bereits vor einigen Jahren erarbeitete der Deutsche Knigge-Rat die Empfehlung. «Korrekt ist, dass sich Niesende nach dem ‹Hatschi› entschuldigen und die Anwesenden den Nieser nicht kommentieren», sagt Siller. Entschuldige sich die niesende Person hingegen nicht, sei ein «Gesundheit» angebracht.

«Finger wird darauf gelegt»

Das Gesundheitwünschen gilt dem Niesenden gegenüber laut Siller nicht mehr als zuvorkommend und freundlich. Die Reaktion bringe die niesende Person in eine unangenehme Lage. «Damit wird der Finger auf ein Körpergeräusch gelegt, das den Niesenden oft unwohl ist.» Genauso fühle sich vielleicht die andere Person wohler, wenn sie sich nicht verpflichtet fühle, dem Niesen sofort ein «Gesundheit» nachzuschieben.

Auch Christoph Stockars Schweizer Knigge rät, das nett gemeinte «Gesundheit» zu ignorieren. «Weil viele Menschen es als unangenehm empfinden, auf ihre Gesundheit oder Körperfunktionen angesprochen zu werden.» Dennoch wird in der Schweiz munter «Gesundheit» gewünscht.

«Weder nötig noch adäquat»

Schweizer Knigge-Beraterinnen und -Berater begrüssen es, dass die Pandemie die weitgehend ignorierten neuen Umgangsformen zur Debatte stellt. «Mit dem ‹Gesundheit› in der Öffentlichkeit und in der Arbeitswelt ist man heutzutage zurückhaltend, im Privaten ist es jedoch noch immer höflich», sagt Susanne Schwarz, Kommunikations- und Knigge-Trainerin bei bei h+s knigge. Das Gesundheitwünschen sei weder nötig noch adäquat.

Schwarz und ihre Geschäftspartnerin Linda Hunziker stellen fest, dass bei ihren Kursteilnehmenden immer wieder die Frage nach dem korrekten Umgang mit Niesenden auftaucht. «Für viele Niesende ist es sehr lästig, zum Beispiel in einer Sitzung, im Schulunterricht oder während eines Konzerts wegen ihres Körpergeräuschs plötzlich im Mittelpunkt zu stehen», sagt Hunziker. Gar von einem Niesanfall heimgesucht zu werden, sei für manche sehr peinlich. «Gleichzeitig empfinden Anwesende das Gesundheitwünschen als lästig oder sie sind verunsichert und wissen nicht, wo die Grenzen zwischen Floskel und übertriebener Höflichkeit liegt.»

Floskel tue gut

Gesundheitsverbände unterstützen die Anpassung nicht. «Man soll sich für Fehler entschuldigen, aber nicht für Reaktionen wie Niesen, das kaum zu unterdrücken ist und auch selten wirklich stört», sagt Corina Wirth, Geschäftsführerin des Fachverbands Public Health Schweiz. Das Gesundheitwünschen finde sie einen schönen Brauch. «Jede Gelegenheit, einander etwas Positives zu wünschen, tut unserer Gemeinschaft gut.» Ähnlicher Meinung ist Gesundheitspsychologe Carlo Fabian (siehe unten).

Auch einige Knigge-Experten wollen an der «Gesundheit»-Tradition festhalten. «Persönlich finde ich, dass man weiterhin ‹Gesundheit› sagt, dies gehört zu den guten Manieren – auch nach wie vor», sagt Hanspeter Vochezer, Knigge-Coach und Butler in Küsnacht ZH. Seien ein bis vier Personen im gleichen Raum und niese eine Person, rate er zum «Gesundheit». «Sind mehr als fünf Personen im Raum, gerade bei Sitzungen, so kann man es weglassen.» 

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