Sprinterin muss pausierenWerden Impf-Nebenwirkungen wirklich unter den Teppich gekehrt?
Nach ihrer Boosterimpfung leidet Sprinterin Sarah Atcho an einer Herzbeutelentzündung. Sie habe ein Engegefühl in der Brust. Doch wie oft kommen solche Entzündungen am Herzen vor? Und: Werden Nebenwirkungen unter den Teppich gekehrt?
Darum gehts
Die Nachricht der Schweizer Sprinterin Sarah Atcho sorgte für grosses Aufsehen. Auf Instagram verkündete sie, dass sie an einer Perikarditis leide, einer Herzbeutelentzündung. Fünf Tage nachdem sie die dritte Impfdosis gegen Covid-19 erhalten habe, habe sie erste Schmerzen in der Brust gespürt, so die 26-Jährige. Ihr sei beim Treppensteigen schwindelig geworden. «Dies wiederholte sich einige Male, bis ich mich entschloss, einen Kardiologen aufzusuchen.» Auf Instagram stellt sie einen Zusammenhang mit der Booster-Impfung her. Gegenüber dem «Blick» sagte sie: «Niemand will den Zusammenhang zwischen der Impfung und der Perikarditis eindeutig herstellen. Aber die Spezialisten haben mir bestätigt, dass es möglich ist.»
Doch so klar sind die Dinge nicht: Berichte, dass es infolge der mRNA-Impfungen zu Herzproblemen kommen kann, hat es erstmals im Frühjahr/Sommer 2021 gegeben. Seither haben sich Forschungsteams weltweit mit der Thematik befasst. Auch 20 Minuten hat Dutzende Male darüber berichtet. Aufgrund des wachsenden Wissensstands hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auch seine Impfempfehlung geändert. Neu empfiehlt es den unter 30-Jährigen nur noch den Impfstoff von Biontech/Pfizer, weil es nach dem Moderna-Vakzin häufiger zu entsprechenden Entzündungen kommt.
Ob bei Atcho tatsächlich ein Zusammenhang zwischen dem Booster und der Perikarditis besteht, ist für Aussenstehende kaum zu sagen. Zeitlich wäre es aber möglich, so Christian Schmied, Leitender Arzt am Universitären Herzzentrum am Unispital Zürich. Matthias Wilhelm, Leiter des Zentrums für Präventive Kardiologie, Sportmedizin am Berner Inselspital, verweist hingegen darauf, dass die Sportlerin auch eine virale Perikarditis durch ein anderes Virus entwickelt haben könnte. Insbesondere Magen-Darm-Viren könnten dazu führen.
Meldungen über Nebenwirkungen werden nicht ignoriert
Eine Impfgegnerin sei sie nicht, so Atcho zu der Zeitung: Auf Insta schreibt sie: «Ich bin froh, dass der Impfstoff viele Todesfälle verhindert und den Druck auf Spitäler und das Spitalpersonal verringert hat, aber ich bin frustriert, dass ich selbst und andere junge und gesunde Menschen unter diesen schweren Nebenwirkungen leiden.» Ein Thema, das ihr zufolge viel zu selten angesprochen wird.
Doch ist das so? Werden Nebenwirkungen bei jungen Leuten verharmlost? Auf Anfrage von 20 Minuten weist die Schweizerische Zulassungsbehörde für Arzneimittel Swissmedic diesen Vorwurf vehement zurück. «Wir fühlen uns nicht angesprochen, Impfungen zu verharmlosen», so Mediensprecher Alex Josty. Und: «Den Vorwurf, wonach Nebenerscheinungen nicht umfassend registriert oder von offizieller Seite heruntergespielt werden sollen, haben wir noch nie gehört.»
Risiko für Herzprobleme nach der Infektion deutlich grösser
Das Schweizerische Heilmittelinstitut hat bei 14,9 Millionen verabreichten Impfdosen bislang 307 Verdachtsfälle auf Perikarditis und Myokarditis (siehe Box) registriert. Damit ist das Risiko, nach der Impfung eines der beiden Probleme zu entwickeln, sehr gering. Das bestätigt auch Kardiologe Christian Schmied vom Unispital Zürich: «So belastend die Fälle für die Betroffenen auch sind, sie sind extrem selten.» Zudem träten nach der Impfung deutlich seltener Probleme auf, als nach der Covid-19-Infektion. Studien, unter anderem aus Grossbritannien, bestätigen das.
Laut einer Studie aus Israel ist das Risiko, nach einer Covid-19-Infektion eine Herzbeutel-oder Herzmuskelentzündung zu entwickeln, sogar etwa vier Mal so hoch. Das geht aus der Analyse der Daten von rund 1,7 Millionen Menschen hervor, von denen die eine Hälfte mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech geimpft und die andere Hälfte ungeimpft war. Die Forschenden fanden heraus, dass von den an Covid-19 erkrankten Menschen im Schnitt elf von 100’000 Personen eine Herzmuskelentzündung entwickelten. Bei den Geimpften waren es 2,7 Personen.
Schmied verweist auf einen weiteren wichtigen Punkt: Für die Entwicklung und Heilung mache es einen grossen Unterscheid, ob Sars-CoV-2 oder die Impfung die Auslöser seien. «Bei einer Infektion greift das Virus das Herz an, bei der Impfung passiert das nicht. Da liegt ein anderer, vermutlich harmloserer Mechanismus zugrunde.»
Perikarditis und Myokarditis
Sportliches Aus wegen Herzproblemen nach Corona-Infektion
Dass das Coronavirus Sars-CoV-2 auch das Herz angreifen kann, beobachteten Medizinerinnen und Mediziner weltweit schon zu Beginn der Pandemie. Auch in der Schweiz berichteten Fachleute von entsprechenden Hinweisen. Aktuell zeigen das Beispiele aus dem Profifussball: So ist der Afrika Cup beispielsweise für Gabuns Captain Pierre-Emerick Aubameyang und dessen Landsmann Mario Lemina nach Herzproblemen nach einer Covid-19-Infektion vorzeitig beendet. Beide Fussballprofis mussten am Montag zurück zu ihren Clubs nach Europa reisen – Aubameyang zum FC Arsenal nach London, Lemina zu OGC Nizza. Bei ihren Vereinen sollen sie sich nach Mitteilung des Fussball-Verbands von Gabun weiteren medizinischen Untersuchungen unterziehen. Bei beiden Nationalspieler sei eine «Läsion» des Herzens festgestellt worden, teilte der Verband mit.
Auch Bayern-Star Alphonso Davies leidet an einer Herzmuskelentzündung. Ob diese eine Corona-Folge sei, vermochte Bayern-Trainer Julian Nagelsmann zwar nicht sagen. Aber natürlich sei die Wahrscheinlichkeit gegeben, wenngleich die Ursache aktuell keine Relevanz habe. Als «hochgradig beschissen», betitelte der Coach die Situation von Davies. Mitspieler Joshua Kimmich hatte nach einer Corona-Infektion zwar keine Herzprobleme, dafür aber Lungenprobleme.

Davies fällt derzeit wegen Nachwirkungen seiner Corona-Erkrankung aus. «Beschissen», findet sein Trainer.
imago images/Sven Simon«Ich dachte, ich wäre ein Heuchlerin»
Leichtathletin Atcho scheint gemäss ihrer Aussage einen Nerv vieler Menschen getroffen zu haben. Auf Insta erzählt die Sportlerin in einer Story: «Ich dachte, ich wäre ein Heuchlerin, wenn ich über coole Sachen spreche, wenn ich eigentlich weiss, dass es mir in Wirklichkeit nicht gut geht.» Sie habe viele Nachrichten von Menschen erhalten, die mit der gleichen oder einer ähnlichen Krankheit zu kämpfen hätten. «Auch schrieben mir Menschen, die froh waren, dass ich meine Geschichte erzählt habe. Ich bin froh, wenn ich helfen kann», so Atcho. Aktuelle Zahlen zu Herzbeutelentzündungen in der Schweiz gibt es.
Dass Atcho ihre Geschichte auf Social Media erzählt, kann Schmied gut nachvollziehen, auch wenn sie wie der Fall Djokovic Staub aufwirbelt: «Es beschäftigt sie schliesslich. Allerdings muss man sich beim Veröffentlichen solcher Aussagen seiner Verantwortung bewusst sein.» Von den Medien, die über solche Fälle berichten, verlangt er das auch: «Die Aussagen müssen eingeordnet werden.» Ihm ist wichtig, zu betonen, dass der Nutzen der Covid-19-Impfungen die Risiken überwiegt. Auch Kardiologe Wilhelm spricht sich für eine Impfung aus: «Es trainieren tausende von Sportlerinnen und Sportler nach der Covid-19 Impfung ohne eine Myokarditis zu entwickeln, über die nicht berichtet wird.»
Nach der Impfung zwei bis drei Tage schonen
Der Sprintstar muss nun ihr Herz ausruhen, damit die Entzündung heilen kann. Einen guten Monat muss sie mit dem Training aussetzen. Das frustriert sie. «Ich muss meine Hallensaison abschreiben. Ich muss mich drei Monate lang mit entzündungshemmenden Medikamenten behandeln lassen», so Atcho gegenüber dem «Blick». Sie mache jetzt jeden Tag Yoga, Pilates und isometrisches Training mit Maschinen.
Schmied, der auf Sportkardiologie spezialisiert ist und unter anderem in diesen Fragestellungen auch den Weltfussballverband Fifa berät, hält diesen Weg für den richtigen: Ruhe sei bei beiden Herzentzündungen das A und O. «Leichtes Training ist unproblematisch, auf intensives Training sollte verzichtet werden. Generell rate man Athletinnen und Athleten nach einer Perikarditis drei Monate und bei einer Myokarditis drei bis sechs Monate das Training auszusetzen, so Wilhelm. «Das ist für die Sportlerinnen und Sportler häufig schwer zu verstehen, weil sie sich häufig nach einigen Wochen bereits wieder gut fühlen. Aber das Virus könnte noch im Herzen ‹schlummern› und bei zu hoher Aktivität potenziell Schaden anrichten.»
Die Ruhe-Empfehlung spricht Schmied auch für die ersten Tage nach der Impfung aus: «Ich empfehle jedem, auch meinen Sportlern, sich danach zwei bis drei Tage zu schonen, um Herzprobleme zu vermeiden.»
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?
Hier findest du Hilfe:
BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00
BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92
Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143