
Eine der Stationen im Disgusting Food Museum in Berlin ist die Selfiewall.
Disgusting Food Museum BerlinDisgusting Food Museum«Hier kann man Ekel sehen und schmecken»
Im Berliner Disgusting Food Museum können Spezialitäten wie Käfer und Bullenpenis nicht nur bestaunt, sondern auch verköstigt werden. Der Museumsdirektor verrät, warum viele Lakritz eher ausspucken als Milbenkäse.
Herr Dr. Völker, was erwartet einen im Disgusting Food Museum?
Wir zeigen Ekel-Exponate aus aller Welt. Wie in einem Supermarkt sind die Produkte in Lebensmittelgruppen aufgeteilt. Man startet mit Getränken, geht über zu Geflügel, Milbenkäse und Innereien, dann kommen die Landtiere sowie Texte und Videos zur Produktion. Auch Seafood kommt vor und Insekten – das Future-Food in einer Zeit, wo Massentierhaltung an ihr Ende kommt. Zum Schluss kann man vieles davon an unserer Tasting Bar kosten.
Sie sind Ästhetiker – wieso leiten Sie so ein ekliges Museum?
Ekel muss nicht immer eklig aussehen. Er versteckt sich auch mal, etwa in der Herstellung eines Lebensmittels oder in der Tierhaltung. Unsere Exponate werden auf sehr künstlerische und appetitliche Weise dargestellt.
Wir wollen unsere Besucherinnen und Besucher ja nicht durch einen Schlachthof führen und Angst und Schrecken verbreiten, sondern – und das ist für mich das Schönste – uns ganz dem Geschmack und der Sinnlichkeit des Menschen widmen und ihn beim Betrachten, Riechen, Schmecken und Diskutieren begleiten.
Am Eingang erhält man statt einer Eintrittskarte eine Kotztüte…
Ja, wer etwas nicht im Mund behalten möchte, kann es wieder ausspucken. Kleine Buffalowürmer oder Milbenkäse landen so gut wie nie in der Tüte. Eher mal ein grösserer Käfer mit Flügeln. Am häufigsten wird jedoch Lakritz ausgespuckt. Wer kein Lakritz mag, hat den Ekel-Gedanken so sehr im Kopf verankert, dass es beim erneuten Kosten meistens direkt wieder ausgespuckt wird.
Wieso ekeln wir uns und was genau ist Ekel?
Ekel ist ein Grundgefühl und hat eine Warnfunktion. Er soll mich davor bewahren, dass ich tot umfalle. Deshalb wird mir schlecht, wenn ich etwas Verdorbenes esse. Dieser biologisch evolutionäre Ekel hat sich aber verändert, er ist eher zum kulturellen Ekel geworden. Wir finden eklig, was wir nicht kennen oder was unsere Eltern auch eklig finden. Etwa Lakritz.
Und warum soll ich etwas essen, was mich anekelt?
Im Museum möchten wir den Ekel austricksen und Menschen inspirieren, sich zu überwinden. Wir geben den Leuten die Möglichkeit, über ihren kulinarischen Schatten zu springen und ihre Geschmackswelten zu erweitern. Wer mutig ist und wagt, profitiert. Man erhält neue Erfahrungen und fühlt seltene Gefühle.

Exponat Antibiotika-Schwein im Disgusting Food Museum.
Disgusting Food MuseumWelche ekligen Produkte polarisieren im Museum am meisten?
An allen Stationen kommt es zu spannenden Diskussionen. Etwa bei der Gänsestopfleber, denn wir zeigen neben dem Produkt im Glas auch ein Video, wie das Produkt hergestellt wird. Den Ekel sehen viele Menschen hier ja nicht im Essen selbst – es ist sogar eine Delikatesse – sondern in der Herstellung und in dem Umgang mit den Tieren. Man fragt sich unweigerlich, welchen Ekel wir den Dingen zumuten, die uns schmecken.
Warum essen wir keine Hunde, aber Kühe kommen in den Fleischwolf?
Als Direktor müssen auch Sie kosten. Was fanden Sie selbst am ekligsten?
Den Mäusewein. In diesem Reiswein schwimmen Babymäuseleichen. Er schmeckt sehr merkwürdig – wie Lösungsmittel. Für mich ist jedoch das Ekligste nicht zu wissen, was genau in meinem Essen steckt. Welche Medikamente bekam das Tier? Was verbirgt sich hinter der freundlichen Wurstpackung in Bärchenform? Wir werden oft getäuscht, indem das Ausgangsprodukt den Inhalt kaum realistisch darstellt und so auch keinen Ekel erkennbar macht.

Der Mäusewein hat Dr. Völker, dem Direktor des Disgusting Food Museums, gar nicht gut geschmeckt.
Disgusting Food MuseumSie zeigen auf Ihrer Website Fledermäuse oder Hunde – ist das in aktuellen Zeiten nicht provokant?
Das ist nicht unsere Intention – ganz im Gegenteil. Uns geht es nicht um die Länder und Kulturen, aus denen das Essen stammt, sondern um das Essen selbst. Wir inszenieren es, die Herkunft spielt nicht die Hauptrolle.
In wirklich jedem Land und Supermarkt auf der Welt gibt es geeignete Exponate für unsere Ausstellung. Wir zeigen auch Blutwurst aus Deutschland oder ein Schnitzel, welches manchmal einfach eine panierte Kuheuterscheibe ist. Uns war wichtig, dass der Finger auch auf Produkte aus dem eigenen Land zeigt.
Geschmack und Ekel sind in Bezug auf Essen aber auch eine Kulturfrage.
Ja. Hierzulande essen wir keine Hunde und Katzen, weil wir sie als Haustiere halten. Woanders sind sie Nutztiere. Kühe und Pferde kommen hier bei uns hingegen in den Fleischwolf. Unvorstellbar wiederum in einem Land, in dem die Kuh heilig ist.
Disgusting Food Museum in Berlin
Wir ekeln uns vor dem Unbekannten, dabei wissen wir im Alltag oft selbst nicht, was genau wir eigentlich gerade essen. Wir kennen nur noch die verarbeiteten Produkte, deshalb sind wir auch leicht zu täuschen. Im Museum sagen wir genau, was gerade gegessen wird. Und wenn etwas überraschenderweise schmeckt, fragt sich manch eine oder einer: Wieso habe ich mich eigentlich geekelt?
Wie bewahren Sie das Essen auf? Und wie nachhaltig ist das überhaupt?
Ein Bullenpenis muss bei uns drei bis vier Wochen halten, obwohl er klassischer Schlachtabfall ist. Dasselbe gilt für Innereien: Durch Kühlung und nächtliches Einlegen in Pökelflüssigkeit machen wir die Produkte haltbarer und ästhetisch. Im Sinne der Nachhaltigkeit bauen wir aber auch Exponate nach. Und zeigen Dosennahrung – die hält sehr lang.
Was macht Sie an einem Museumstag froh?
Wenn wir skeptische Besucherinnen oder Besucher, die uns mit dem Dschungelcamp verbinden und glauben, wir seien nur auf Effekthascherei aus, am Ende überzeugen und inspirieren konnten. Verlässt man das Louvre, hat man die Mona Lisa nur ansehen können. Verlässt man unser Museum, hat man etwas am eigenen Körper gespürt – mit Essen verbundene Gefühle prägen sich ein und die Wirkung hält nachhaltiger an.
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