Plüschtiere und KleiderHilfswerke werden mit unbrauchbaren Spenden überhäuft
Viele Menschen wollen für Ukraine-Geflüchtete spenden. Doch oft sind unnütze Waren dabei, die entsorgt werden müssen. Manche NGOs nehmen deshalb keine Sachspenden mehr entgegen.
Darum gehts
Hals über Kopf mussten zahlreiche Ukrainerinnen und Ukrainer wegen des Krieges ihr Zuhause verlassen. Mehr als eine Handtasche mit Dokumenten konnte Lera (25) nicht auf die Flucht mitnehmen. Auch Familienvater Otmar (23) sagte nach seiner Ankunft am Bahnhof Warschau: «Wir haben nur Süsses und etwas Saft dabei.» Die Not der Flüchtlinge löst in der Schweiz eine Flut von Spenden aus – darunter auch Überflüssiges.
«In Windeseile» füllten sich die beiden Lager des Vereins «Helfen Sie Helfen». Am Dienstag bedauerte der Verein, dass er bereits innerhalb kürzester Zeit keine Kartonkisten und Hilfsgüter mehr habe entgegennehmen können.
Spenden müssen am Schluss entsorgt werden
Es sei positiv, dass die Menschen das Bedürfnis hätten, Sachspenden und nicht einfach Geld zu spenden, sagt Vereinspräsidentin Maria Constanti zu 20 Minuten. «Doch man sollte nicht das Gefühl haben, dass Plüschtiere und Spielsachen in einem Durchgangslager am dringendsten gebraucht werden.» Die Flut solcher Spenden habe zusätzliche Arbeit für die Hilfskräfte vor Ort zur Folge. «So können sie diese Spenden am Schluss nur noch entsorgen.»
Auch sei es nicht sinnvoll, alte Kleider zu schicken. «Man muss die Würde dieser Menschen bewahren – mit Kleidern, die man lieber spendet, als in den Abfall wirft, tut man das nicht.» Auch verursachten die Spenden zusätzliche Kosten. Ein Sattelschlepper inklusive Logistik koste immerhin zwischen 3000 bis 4000 Franken. Dringend gefragt seien hingegen Hygieneprodukte sowie neue Unterwäsche und neuwertige Wolldecken.
«Kinder müssen zuerst überleben»
Yaroslaya Krushelnytska Kästli nahm an einem Sammelpunkt in Seon AG kürzlich Spenden entgegen. Kleider und Spielwaren seien nicht auf der Liste der nötigen Spenden gewesen, dennoch hätten Leute solche abgeben wollen, so Krushelnytska Kästli. Sie schätze die grosse Solidarität. Priorität hätten aber die überlebenswichtigen Dinge wie Medikamente, Hygieneartikel oder auch Schlafsäcke. «Die Kinder müssen zuerst überleben, dann können sie sich mit Plüschtieren trösten.»
Ähnliche Erfahrungen macht das Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz (Heks), das keine Sachspenden entgegennimmt. «Wir erhalten zurzeit jedoch viele Anfragen von Leuten, die Kleider und Spielzeug spenden wollen», sagt Bettina Filacanavo, stellvertretende Mediensprecherin. Auch habe Heks kürzlich eine Anfrage von einer Organisation erhalten, die mit überflüssigen Sachspenden überhäuft worden sei. «Diese hatte einen ganzen Lastwagen gefüllt mit Kleidern und Spielsachen und wusste nicht mehr, wohin damit.»
Die beste Hilfe bieten laut Filacanavo momentan Geldspenden. Heks setze diese zum Beispiel in den Ankunftsländern wie Rumänien für Unterkünfte und Cash-Projekte ein. «Mit Bargeld können die Geflüchteten wichtige Dinge wie Nahrungsmittel, Hygieneartikel, Handyladegeräte und Billette für die Weiterreise flexibel kaufen.» Heks kläre vor Ort genau ab, was wirklich gebraucht werde.
«Zu 80 Prozent Frauenkleider»
Die Organisation Spendendepot Zürich hat keinen Spendenaufruf für Ukraine-Flüchtlinge gemacht. «Aus Erfahrung wird bei uns nur gesammelt, wofür es klare Abnehmer und Transportmöglichkeiten gibt», sagt eine Verantwortliche. Nach ihrer siebenjährigen Erfahrung sei klar gewesen, dass der Krieg in der Ukraine zu einer grossen Solidaritätswelle und einem schwer organisierbaren Spendenangebot führe. Ohne Einschränkung in den Bedarfslisten erhielte die Organisation zu 80 Prozent Frauenkleider, darunter auch Abendkleider, in Grösse S. Teilweise seien die Kleider ungetragen. Männerkleider seien immer Mangelware.
«Das Spendenaufkommen einer Wohlstandsgesellschaft passt in der Regel nicht zum Bedarf von Menschen in Not», so die Verantwortliche. Das Spenden solle nicht dafür missbraucht werden, überflüssige Dinge mit dem Gefühl einer guten Tat zu entsorgen.
55 Millionen Franken gespendet
Dass Organisationen und Vereine zurzeit besonders mit überflüssigen Spenden kämpfen, bestätigt auch Andreas Freimüller, Geschäftsführer der Kampagnenorganisation Campax. «Es gibt Initiativen, die containerweise Kleider erhalten haben und diese jetzt in Hallen einstellen müssen.» Etwa Kleiderspenden dienten oft mehr der Minderung der persönlichen Ohnmacht als der effektiven Hilfe. «Die Leute sind vom Ukraine-Krieg dermassen betroffen, dass sie irgendetwas geben wollen, was in manchen Fällen nicht wahnsinnig hilfreich ist.» Ähnlich verhalte es sich mit Demos. «Diese bescheren Putin auch nicht die unruhigsten Nächte.»
Gleichzeitig öffnen aber viele Menschen das Portemonnaie für die ukrainischen Flüchtlinge. Bis am Mittwochnachmittag um 16 Uhr sammelte die Glückskette rund 55 Millionen Franken. «Alleine am nationalen Solidaritätstag vom Mittwoch kamen bis 16 Uhr 25,4 Millionen Franken zusammen», sagt Mediensprecher Fabian Emmenegger.
Nothilfe für Menschen in der Ukraine
Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Trauma erlitten?
Hier findest du Hilfe:
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143