Gehirnfunktionen eingeschränktHitzewelle raubt uns Denkfähigkeit und kann Depressionen auslösen
Die Hitze lässt uns nicht nur schwitzen, sondern schlägt auch aufs Gehirn. So schränken hohe Temperaturen etwa die kognitiven Fähigkeiten ein – sie können aber auch unsere Stimmungen negativ beeinflussen.
Darum gehts
«Hitzewellen haben einen signifikanten Einfluss auf die geistige Gesundheit», wird Laurence Wainwright, Expertin für Umweltgesundheit an der Universität Oxford, von der «Daily Mail» zitiert. «Schlüsselregionen des Gehirns, vor allem die, die für die kognitiven Fähigkeiten zuständig sind, werden durch Hitzestress beeinträchtigt.» Wainwright warnt auch vor erhöhten Risiken für depressive Symptome, Angstzustände und Aggressionen, die sich gewaltsam entladen könnten. Auch Trevor Harley, Psychologe an der schottischen Uni Dundee, warnt: «Wenn die Aussentemperaturen über 25 Grad steigen, bekommt das Hirn Mühe mit komplexen Aufgaben. Mehr Sorge macht aber das erhöhte Risiko für Suizide oder Selbstverletzungen.»
Mehrere Studien belegen schon länger, dass grundlegende Gehirnfunktionen – darunter die, die das Gedächtnis, das Lernen und die Konzentration steuern – in der Hitze weniger gut funktionieren. Untersuchungen aus Büros in den USA und Japan ergaben bei erhöhten Temperaturen tiefere Konzentrationswerte, sprich: schlechtere Ergebnisse.
Kühl-Reaktionen rauben Gehirn Energie
Eileen Neumann, Neurologin am Unispital Zürich, erklärt, warum: «Die Kerntemperatur des menschlichen Körpers wird vom Hypothalamus gesteuert. Wenn dieser einen Anstieg in der Hauttemperatur feststellt, signalisiert er dies anderen Systemen im Körper, damit diese zur Stabilisierung der Kerntemperatur aktiv werden.» Dies umfasse etwa Durstempfinden oder einen verstärkten Blutfluss in die Hautoberfläche, um die Organe vor Überhitzung zu bewahren. «Diese Prozesse benötigen eine Menge Energie, Nährstoffe und Blutfluss und lassen komplexen Gehirnfunktionen wie dem Gedächtnis oder der Konzentration weniger davon übrig.»
Wie kommst du mit der Hitze klar?
Zudem lasse schon eine leichte Dehydrierung die Qualität der Nervensignale zwischen den Gehirnzellen sinken. Und wenn der Hypothalamus die Körpertemperatur nicht mehr regeln könne, komme es im Extremfall zu einem Hitzschlag – dann könnten Hirnzellen sogar absterben.
Erhöhte Gefahr von Depressionen oder Gewalttätigkeit
Doch Hitze kann auch aufs Gemüt schlagen. Eine Untersuchung, die 50 Studien mit insgesamt 1,9 Millionen Psychiatriepatienten berücksichtigte, kam zum Schluss, dass mit jedem Grad Temperaturanstieg die Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung wie Depression oder Angstzustände um 0,9 Prozent steigt. Ärzte in den USA haben an besonders warmen Tagen auch eine Zunahme von Patienten mit Angstattacken oder starken Stresssymptomen in Notaufnahmen festgestellt.
Manche Wissenschafter schreiben dies erhöhter Schlaflosigkeit zu, sehr wahrscheinlich ist aber vor allem, dass die Hitze direkt auf die Hirnzellen einwirkt. Obwohl Wärme die Produktion des «Glückshormons» Serotonin erhöht, werden auch mehr Proteine ausgeschüttet, die dieses deaktivieren – das Resultat ist ein tieferer Serotonin-Level und damit eine instabilere Gemütsverfassung.
Laut Forscher Harley sorgt grosse Hitze auch für ein höheres Level des Stresshormons Cortisol, das im Körper die «Flucht oder Kampf»-Reaktion auslöst und als Vorbereitung für die Reaktion auf einen möglichen Angriff einen erhöhten Blutfluss in die Extremitäten bewirkt. Das Cortisol sorgt so aber auch für eine höhere Wahrscheinlichkeit, in impulsive und aggressive Verhaltensmuster zu verfallen. Dies könnte eine Erklärung für wiederholte Beobachtungen von Psychologen liefern, dass während Hitzeperioden jeweils deutlich mehr Gewaltverbrechen verübt werden.