«Hochriskant»Das könnte die Ukraine mit dem Angriff auf Russland erreichen
In einem überraschenden Manöver hat die ukrainische Armee am 6. August Truppen in russisches Territorium geführt. Damit könnte sie drei Ziele verfolgen, sagt Experte Alexander Dubowy.
Darum gehts
Am 6. August schickte die Ukraine reguläre Truppen, ausgerüstet mit modernen westlichen Waffen, über die russische Grenze – sehr zur Überraschung vieler Beobachter.
Laut Russland-Experte Alexander Dubowy gibt es drei realistische Ziele, die die Ukraine damit verfolgen könnte: russisches Territorium einnehmen für Verhandlungen, Druck von der Donbass-Offensive nehmen und, sehr unwahrscheinlich, ein Kraftwerk einnehmen.
So oder so riskiere die Ukraine viel: Wird der Angriff aufgerieben, droht eine herbe Niederlage.
Am 6. August hat die Ukraine Truppen über die russische Grenze geschickt. Wieso geht man dieses Risiko ein?
Das ist in der Tat äusserst riskant und deshalb auch international umstritten. Diese Entscheidung stösst auch innerhalb der Ukraine auf Kritik, insbesondere angesichts des Personalmangels im Donbass. So hat ein prominenter ukrainischer Militärjournalist und Chefredaktor des ukrainischen Nachrichtenportals Censor.NET, Yuri Butusow, kürzlich Fehler bei der Einsatzplanung und -koordination sowie bei Personalentscheidungen kritisiert. So hat er insbesondere den mangelnden Einsatz ukrainischer Reserven und erfahrener Kommandanten im Donbass beklagt. Was wir jetzt sehen, könnte eine Antwort auf seine Fragen sein.
«Um eine PR-Aktion oder gar ein Selbstmordkommando handelt es sich mit Sicherheit nicht.»
Was unterscheidet diesen Angriff von den bisherigen kleineren Ausfällen auf russische Regionen?
Offenbar hat die Ukraine diesen Angriff lange geplant. Bisher handelte es sich hauptsächlich um pro-ukrainische russische Freiwilligenverbände, die in die internationale Legion eingebunden sind und faktisch dem Militärgeheimdienst unterstehen. Diese waren in erster Linie psychologische Operationen, um Russland zu zeigen, dass die Ukraine in der Lage ist, das Kriegsgeschehen mitzubestimmen. Was wir jetzt sehen, unterscheidet sich insofern, als dass es sich um reguläre Truppen handelt, die sehr gut ausgerüstet sind, auch mit modernen westlichen Waffen wie Bradley-Kampfpanzern. Um eine PR-Aktion oder gar ein Selbstmordkommando handelt es sich mit Sicherheit nicht.
Welche Ziele verfolgt die Ukraine mit diesem Angriff?
Es gibt im Wesentlichen drei ernst zu nehmende Zielsetzungen, über die jetzt spekuliert wird:
Das wahrscheinlichste Ziel ist, möglichst viel russisches Territorium zu halten, um in den wahrscheinlich kommenden Friedensverhandlungen eine bessere Position zu haben. Für Putin wäre das ein erheblicher Gesichtsverlust.
Ein weiteres Ziel könnte sein, die russische Donbass-Offensive zu verlangsamen, indem Russland gezwungen wird, Truppen von der Front abzuziehen. Es ist jedoch derzeit schwer zu beurteilen, ob das tatsächlich Wirkung zeigt. Am 6. August hat Russland an der Donbass-Front noch wichtige Fortschritte erzielt.
Einige behaupten, die Ukraine wolle das Atomkraftwerk in Kursk einnehmen, was jedoch eher unwahrscheinlich ist.
Zusätzlich versucht die Ukraine möglicherweise, militärische Infrastruktur sowie militärisch nutzbare Infrastruktur, so beispielsweise das Eisenbahnnetz, zu beschädigen. Der Erfolg des ukrainischen Vorstosses deutet darauf hin, dass die russischen Verteidigungsanlagen in der Region nicht besonders stark ausgebaut sind.
«Die Ukraine läuft hier aber Gefahr, Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden.»
Warum schweigt die Ukraine weiterhin zu diesem Angriff?
Die Ukraine befürchtet vermutlich die Reaktion des Westens. Es gibt ein Verbot, westliche Waffen für Angriffe auf russisches Territorium zu verwenden. Durch das Schweigen hofft man wohl, dass über dieses Verbot hinweggesehen wird. Abgesehen davon, geht es im Gegensatz zu den psychologischen Vorstössen der Vergangenheit nicht darum, starke Bilder zu produzieren, sondern echte Erfolge zu erzielen. Letzteres braucht aber Zeit.
Sind ernsthafte, dauerhafte Geländegewinne mit einem solchen Vorstoss überhaupt möglich?
Durchaus. Die Ukraine läuft hier aber Gefahr, Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden: Je mehr Gebiet Kiew einnimmt, desto ausgedünnter werden die Truppen, was sie für Gegenangriffe anfälliger macht. Auch die Versorgung wird schwieriger.
«Wenn die Ukraine sich zu weit vorwagt, könnte das zu einer Niederlage führen.»
Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass der Vorstoss rasch aufgerieben wird und in einer vernichtenden Niederlage für die Ukraine endet?
Das Risiko besteht. Die grösste Gefahr sind Angriffe aus der Luft durch Raketen, Drohnen und Kampfflugzeuge. Das derzeit eroberte Gebiet kann die Ukraine mit Luftabwehrstellungen sichern. Wenn die Ukraine sich aber zu weit vorwagt, könnte das zu einer Niederlage führen.
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