Eis go zieh mit ... Mattea Meyer«Ich bin stolz darauf, ein Gutmensch zu sein»
Einst hatte sie eine Klage von Daniel Vasella am Hals, nun erwartet sie ein Kind vom 1:12-Erfinder. Ein Gespräch mit Mattea Meyer.
Ein Hauch von Feminismus weht durchs Bundeshaus. Mattea Meyer, 29, Nationalrätin der SP, ist in ihrem Element. Wie oft kommt es denn vor, dass bürgerliche Männer und linke Frauen gemeinsam pinke Pussyhats stricken? Eben. Es sei «unglaublich motivierend zu sehen, welch breite Bewegung hier stärker wird», schwärmt Meyer, ein Funkeln in den hellbraunen Augen.
Seit eineinhalb Jahren im Nationalrat, ist sie bereits zu einer Art Vorzeige-Feministin avanciert. Im Zuge des #SchweizerAufschreis wurde sie auch vielen ein Begriff, die mit Finanzpolitik – dem Steckenpferd der Jungpolitikerin – wenig am Hut haben. Rechte Ratskollegen hätten gefragt, wann es von ihr Nacktbilder gebe und sie «wiederholt als ‹Herzige› verniedlicht», gab sie damals zu Protokoll.
Wunschberuf geopfert
Dafür gabs Applaus – und jede Menge empörter Reaktionen («Darf man einer Frau denn nicht einmal mehr ein Kompliment machen?»). Meyer bereut ihr Vorpreschen von damals nicht: «Das Thema Sexismus im Alltag darf nicht totgeschwiegen werden», bekräftigt sie bei einem Fruchtsaft in der Galerie des Alpes. Solange der mächtigste Mann der Welt damit prahle, dass er Frauen ungefragt zwischen die Beine fasse, sei der Handlungsbedarf offensichtlich.
Bereits als Gymnasiastin verschlang Meyer feministische Literatur, diskutierte abendelang mit Freundinnen und Schulkollegen, mit 18 trat sie in die Juso ein. Darauf folgte ein schwindelerregender Aufstieg: Mit 22 der Einzug in den Winterthurer Gemeinderat, im Jahr darauf die Wahl zur jüngsten Zürcher Kantonsrätin, mit 28 der Sprung ins Bundeshaus. Für den Senkrechtstart opferte sie gar ihren Wunschberuf: Für ein Architektur-Studium blieb neben der Politik schlicht keine Zeit.
Gegenspielerin von Mario Fehr
Die Winterthurerin, die Ende April erstmals Mutter wird, träumt von einer gerechteren Welt. «Wenn man mich deswegen als Gutmenschen bezeichnen will – von mir aus, das macht mich eigentlich stolz», sagt Meyer und lacht. Neben ihrem Nationalratsmandat engagiert sie sich für Sans-Papiers und gibt Deutschstunden für Asylsuchende. In der SP politisiert sie am linken Rand.
Immer wieder geriet sie als parteiinterne Gegenspielerin des Zürcher Regierungsrats Mario Fehr in die Schlagzeilen, um dessen restriktive Asylpolitik innerhalb der Zürcher SP ein erbitterter Streit entbrannte. Als Kantonalpräsident Daniel Frei entnervt den Bettel hinwarf, beschuldigte er den linken Parteiflügel um Meyer, «wie eine Sekte» zu funktionieren.
«Zufällig im reichsten Land der Welt geboren»
«Ich erlebe die SP anders», sagt Meyer dazu. «Seit Jahren besuche ich viele SP-Sektionen und engagiere mich erfolgreich gemeinsam mit unseren Mitgliedern für konkrete Projekte, zuletzt für die Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform III.» Dass man auch über Inhalte streite, gehöre dazu. «Ich kann es einfach wirklich nicht aushalten, wenn Menschen ihre Macht ausspielen, nur weil sie zufällig im reichsten Land der Welt geboren sind», fügt sie nach kurzem Zögern an.
Meyer platziert ihre Angriffe mit Bedacht: Statt auf den Mann zu spielen, hangelt sie sich oft lieber durch abstrakte Begriffe wie «gesellschaftliche Verantwortung», «Geburtsglück» oder «gelebte Gleichstellung».
Gegen Vasella vor Gericht
Als Vizepräsidentin der Jungsozialisten scheute sie provokante Aktionen allerdings nicht: So stattete sie im Zuge der 1:12-Kampagne dem ehemaligen Novartis-CEO Daniel Vasella zu Hause einen Besuch ab.
Für eine Fotomontage, die den Manager nackt zeigte, zerrte dieser Meyer gar vor Gericht. Sie war rasch aus dem Schneider, auch die restlichen angeklagten Juso erhielten vor Bundesgericht schliesslich recht – und von Vasella über 22'000 Franken für die Prozesskosten.
Privat ist Meyer seit fünf Jahren mit dem Erfinder der 1:12-Initiative, Marco Kistler, liiert. Bald werden die beiden Eltern, der Bauch wölbt sich bereits gut sichtbar unter der Bluse. Ob es ein Mädchen oder ein Junge wird, will die Politikerin für sich behalten.
«Phu, ähm»
Sie hoffe, dass ihr Kind irgendwann «in einer Welt lebt, in der es egal ist, welches Geschlecht und welchen Pass es hat, wie viel Geld es hat und wen es liebt», sagt Meyer stattdessen. Muss dafür der Kapitalismus überwunden werden? Dieses Mal kein Zögern. «Klar, ja.» Es sei nicht wegzudiskutieren, dass die heutige Gesellschafts- und Wirtschaftsform es nicht schaffe, «die Schere zwischen Arm und Reich zu schliessen und allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Im Gegenteil.»
Meyer legt ihre Argumente versiert dar, weicht unangenehmen Fragen geschickt aus, nichts scheint sie aus der Contenance zu bringen. Auf einen letzten Versuch: Was wäre eigentlich, Frau Meyer, wenn Ihr Kind eines Tages der SVP beitreten würde? Überraschtes Lachen, Stirnrunzeln. «Phu, ähm.»
Doch der Polit-Profi gewinnt rasch wieder die Oberhand: Das Spezielle an uns Menschen sei ja, dass jeder seinen eigenen Willen habe. «Ich wünsche mir aber schon sehr, dass ich es schaffe, meine Werte so zu vermitteln, dass mein Kind sie auch weiterlebt.»
Fünf Fragen an Mattea Meyer
Was wären Sie gerne geworden?
Architektin
Ihr bester Entscheid?
Politisch aktiv zu werden.
Wie glücklich sind Sie von eins bis zehn?
8 oder 9. Etwas mehr Ruhe im Leben wäre manchmal gut.
Ein Entscheid, den Sie bereuen?
Dass ich die Autoprüfung immer noch nicht gemacht habe.
Das letzte Mal betrunken?
Da kann ich mit gutem Gewissen sagen: vor der Schwangerschaft.