«Ich brauche weder Alk, Zigis noch schnellen Sex»

Aktualisiert

Straight Edge«Ich brauche weder Alk, Zigis noch schnellen Sex»

Lars lebt Straight Edge und sucht bewusst einen nüchternen Lebensstil. Die Bewegung findet immer mehr Anhänger.

Zora Schaad
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Zora Schaad

Lars Hostettler lebt seit sechs Jahren Straight Edge: Er trinkt keinen Alkohol, raucht nicht, nimmt keine Drogen und wechselt nicht andauernd seine Sexualpartnerinnen. (Video: Tarek El Sayed/ Fabienne Naef)

«I don't smoke, I don't drink, I don't fuck. At least I can fucking think», röhrte die amerikanische Hardcore-Punkband «Minor Threat» 1981 – und presste damit die Grundsätze der Straight-Edge-Bewegung in eine eingängige Formel. Auch Lars Hostettler lebt nach diesen Grundsätzen. «Ich habe seit sechs Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt, ich koche nicht einmal damit», so der Straight Edger aus Regensdorf. «Ausserdem rauche ich nicht, nehme keine Drogen und habe keine häufig wechselnden Sexualpartnerinnen.»

«Mit Straight Edge tue ich mir etwas Gutes»

Während viele junge Menschen den Rausch geradezu suchen, streben Straight Edger gezielt nach Nüchternheit. «Früher habe ich getrunken und eine Zeit lang auch geraucht. Aber ich merkte, dass es mich träge macht, meine Gedanken langsam werden, dass es mir nicht schmeckt. Über die Punk-Szene bin ich dann mit Straight Edge in Berührung gekommen und habe gemerkt: Das passt für mich, damit tue ich mir etwas Gutes.»

Meine Freundin raucht und trinkt. Das ist kein Problem.

Die Leitende Jugendanwältin des Kantons Basel-Stadt, Verena Schmid, sagt, dass Alkoholkonsum das Risiko erhöht, Täter oder Opfer eines Delikts zu werden.

Seit Lars eine feste Freundin hat, hat sich die Frage nach wechselnden Sexualpartnerinnen erübrigt. Und zuvor? «Auch zuvor habe ich aus Respekt meinen Partnerinnen, aber auch mir selbst gegenüber keine kurzzeitigen sexuellen Abenteuer gesucht.» Seine Freundin übrigens lebt nicht Straight Edge: «Sie raucht, sie trinkt, und das ist kein Problem. Sie redet mir nicht drein und ich ihr nicht.»

Wie fährt es sich in angeheitertem Zustand?

«Bist du Muslim?»

Nicht alle können so gelassen damit umgehen wie Lars' Liebste. Immer wieder muss sich der 24-Jährige rechtfertigen. «Die Leute fragen, ob ich Muslim sei und aus religiösen Gründen nicht trinken würde. Sie bieten mir Bier und Zigaretten an, insistieren, wenn ich ablehne oder nennen mich einen Langweiler.»

(Video: S. Brazerol)

Der Altenpfleger ist zwar konsequent, aber nicht dogmatisch. «Ich selbst möchte bis an mein Lebensende Straight Edge leben. Aber ich will niemanden missionieren.» Seine Zugehörigkeit zur Bewegung hat er sich unter die Haut stechen lassen, ein grosses schwarzes X auf rotem Grund ziert seinen Unterarm. Die Tätowierung geht zurück auf die Tradition amerikanischer Clubbesitzer, minderjährigen Barbesuchern ein X aufzumalen und damit zu verhindern, dass ihnen Alkohol verkauft wird.

Das tägliche Glas Wein hat ausgedient

Lars ist kein Einzelfall. «14,1 Prozent der Schweizer Bevölkerung trinken keinen Alkohol, das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber 2011, wo 11,7 Prozent keinen Alkohol anrührten», sagt Markus Meury von Sucht Schweiz.

«Es gibt vermehrt Jugendliche , die weder Nikotin, Alkohol noch Cannabis konsumieren.»

Der Trend zeigt sich hauptsächlich bei jungen Menschen: «Wir stellen fest, dass es vermehrt Jugendliche gibt, die weder Nikotin, Alkohol noch Cannabis konsumieren, und dass das Einstiegsalter für diese Substanzen gestiegen ist.»

Den Jungen sei heute zunehmend bewusst, dass die Substanzen ihrem Körper schaden, vermutet er. Klar sei: «Das tägliche Glas Wein, das sich gerade ältere Menschen gerne gönnen, hat bei den Jungen ausgedient.»

Immer mehr Straight Edger

Der Autor Gabriel Kuhn hat ein Buch zur Straight-Edge-Kultur geschrieben, die seit fast 40 Jahren Teil der Hardcore-Punk-Bewegung ist. «Straight Edge ist eine globale Bewegung, es gibt Szenen in Nordamerika, Europa, Lateinamerika, Ozeanien und Südostasien. Weltweit hat sie Zigtausende Anhänger.» Kuhn ist überzeugt, dass die Bewegung wächst. «Die Straight Edger kommen von überallher. Die Szene ist vielfältig, was ihr Auftreten, ihre soziale Zusammensetzung, ihre politische Gesinnung oder ihre Lieblingsmusik anbelangt.» Der herrschende «Körper- und Gesundheitskult» befeuert den abstinenten Lebensstil: «Alle wollen gesund und fit sein, alle stehen in Konkurrenz zueinander. Durch Fitness und gesunde Lebensweise versuchen sich die Menschen einen Vorteil zu verschaffen. Straight Edge bietet sich hier an.»

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