Schwedens «dunkle Seite»«Ich fühle mich angewidert»
Schwedens Oberpolizist wurde wegen Vergewaltigung und weiterer sexueller Vergehen zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Nun fragt sich das Land, was aus seinem «Volksheim» wurde.

Göran Lindberg (links) nach Bekanntgabe des Urteils am 30. Juli 2010: Für seinen weiblichen Unterstützer war die Nachricht «niederschmetternd.» (AP Photo / Fredrik Persson)
Göran Lindberg kommt endlich hinter Gitter: Das Bezirksgericht von Södertörn bei Stockholm befand den 64-jährigen ehemaligen Polizeichef von Uppsala am Freitag unter anderem der Vergewaltigung in drei Fällen, des sexuellen Missbrauchs sowie der Zuhälterei für schuldig. Das Gericht warf ihm zudem vor, «sadistische sexuelle Gewalt» angewendet zu haben.
Der Fall hatte in den letzten Monaten für grosses Aufsehen gesorgt. Bis zu seiner Verhaftung im Januar galt Göran Lindberg als Vorzeigebeamter, der sich in der Öffentlichkeit als Anwalt für seine weiblichen Kolleginnen hervortat und sich für deren Gleichberechtigung im Polizeidienst einsetzte. Ausserdem leitete er die schwedische Polizeihochschule.
Angewidert und enttäuscht
Umso grösseres Aufsehen erregten die gegen Lindberg erhobenen Vorwürfe. Die Zeitungen berichteten daraufhin detailliert über sein Doppelleben. In einem Fall soll er sein Opfer ans Bett gefesselt und vergewaltigt haben. Der seit 2006 pensionierte Beamte bestritt die meisten Vorwürfe. Er gestand lediglich, für Sex bezahlt zu haben – was in Schweden verboten ist.
Enttäuscht über das Urteil zeigte sich Opferanwältin Elisabeth Massi Fritz. Die Strafe stehe in keinem Verhältnis zum Ausmass der «Leiden und Traumata» von Lindbergs Opfern, sagte sie. Die Staatsanwaltschaft hatte acht Jahre Haft gefordert. Seinen Opfern muss Lindberg zudem Schadenersatz in Höhe von umgerechnet fast 32 000 Euro zahlen.
Seine Unterstützerinnen wollten die monströsen Anschuldigungen zuerst nicht wahrhaben. Erst nach der Verurteilung gaben sie ihrer Enttäuschung und Verblüffung freien Lauf: «Ich bin extrem schockiert», sagte Cecilia Malmström, Schwedens EU-Kommissarin und ehemaliges Mitglied des Polizeivorstands von Uppsala. «Dieser Mann hatte sein ganzes Leben der Gleichberechtigung der Frauen geopfert. Ich fühle mich angewidert, wenn ich nur daran denke.» Auch Justizministerin Beatrice Ask sprach vom «niederschmetternden» Effekt der Nachricht.
Wo bleibt das «Volksheim»?
Das perverse Doppelleben des stets auf politische Korrektheit bedachten Lindberg ist seinen Landsleuten ein Dorn im Auge. Es stellt ihr Bild des «Folkhemmet», des «Volksheims», in Frage. Ist es doch dieses Image, auf das die Schweden so stolz sind: Ein ordentliches, sauberes Land, mit gesunden und glücklichen Gesichtern, blauen Seen und wolkenlosem Himmel.
«Das Land hat zwei Eliten», interpretiert der schwedische Schriftsteller Gunnar Pettersson die utopische Vision seiner Landsleute im «Guardian». «Die politische Elite ist weltoffen und neutralistisch. Die andere hingegen, die Militär- und Wirtschaftselite, ist im Wesentlichen nationalistisch und westlich orientiert. Die beiden haben sich seit langer Zeit getrennt, vor allem in der Zeit, als das Modell des «Folkhemmet» im 20. Jahrhundert entstand», so Pettersson weiter. Das Problem mit Lindberg sei, dass er die Rhetorik der ersten Elite adoptiert habe, aber der zweiten von Natur aus angehörte.