Leserinnen erzählen von ihrem Leben mit Dysmorphie.

Aktualisiert

Anna (21)«Ich habe ständig Angst, zu dick zu sein oder es zu werden»

Sie mögen ihren Körper nicht: Zwei Leserinnen der 20-Minuten-Community erzählen, wie es ist, mit einer gestörten Selbstwahrnehmung zu leben. Ein Experte ordnet ein.

Die 21-jährige Anna* fühlt sich zu dick. Ständig vergleiche sie sich und ihren Körper mit anderen Frauen.
Elli* (23) findet ihre Nase krumm. Eigentlich wisse sie aber, dass das nicht stimmen könne, nur komme das nicht wirklich bei ihr an, wie sie erzählt. (Symbolbild)
Psychotherapeut Roland Müller ordnet ein. Eine Heilung für die körperdysmorphe Störung gebe es nicht, sagt er.
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Die 21-jährige Anna* fühlt sich zu dick. Ständig vergleiche sie sich und ihren Körper mit anderen Frauen.

Privat

Darum gehts

  • Anna* und Elli* mögen ihre Körper nicht.

  • Sie haben eine gestörte Selbstwahrnehmung.

  • Laut der Universität Zürich leiden rund zwei von 100 Menschen an der körperdysmorphen Störung.

  • Zwei Leserinnen erzählen, wie die Erkrankung sie im Alltag beeinträchtigt.

  • Psychotherapeut Roland Müller ordnet ein und erklärt, ob es eine Heilung gibt.

Sie sehen breite Hüften, einen dicken Bauch oder zu wenig Muskeln – obwohl das gar nicht so ist: Circa zwei von 100 Menschen haben eine gestörte Selbstwahrnehmung – so lauten die Zahlen der Universität Zürich. Zu diesen zwei Prozent, die unter einer körperdysmorphen Störung leiden, gehören auch Leserinnen der 20-Minuten-Community:

«Ich habe ständig Angst, zu dick zu sein oder es zu werden»

Die 21-jährige Anna leidet an körperlicher Dysmorphie. Ihre selbst ernannte Problemzone: ihr Bauch und ihr Gewicht. Die Wahrnehmungsstörungen sind ein häufiges Begleitmerkmal der Essstörungen wie zum Beispiel Magersucht oder Bulimie. Auch die Zürcherin hat damit zu kämpfen: «Ich habe ständig Angst, zu dick zu sein oder es zu werden. Ich kann mich noch genau an das erste Mal erinnern, als ich dachte, dass ich zu dick bin. Ich war 14 Jahre alt. Ich fand, dass ich einen grossen Blähbauch habe und dass ich aufpassen müsse, was ich esse. Ich drückte den Bauch ein und versteckte ihn hinter meinen verschränkten Armen. Ab dem Zeitpunkt wurde es schleichend schlimmer. Heute schwirren dauernd dieselben Fragen in meinem Kopf herum: Wie nehmen mich andere wahr? Habe ich zugenommen? Wie muss ich sitzen, damit ich nicht dick aussehe? Sieht man in dieser Perspektive etwa Speckröllchen? Ich muss mehrmals am Tag in einen Spiegel schauen. Ausserdem vergleiche ich mich stets mit anderen. Nicht mal einen Film kann ich richtig schauen, weil ich die Figur der Schauspielerinnen mit meiner eigenen vergleiche. Wenn ich Frauen in bauchfrei sehe, kann ich nur daran denken, dass ich das nie so anziehen könnte – obwohl ich eigentlich weiss, dass ich schlank bin und das sehr wohl könnte. Diese verzerrte Wahrnehmung ist aber konstant da, es beschäftigt mich sehr, löst auch eine gewisse Panik aus. Ich denke sogar, dass mich Menschen weniger gern haben, weil ich so aussehe, wie ich aussehe.»

Hast du auch eine gestörte Selbstwahrnehmung?

«Ich bilde mir ein, dass etwas in meinem Gesicht krumm ist»

Elli (23) leidet seit acht Jahren unter einer gestörten Wahrnehmung. Sie wisse oft nicht, wie sie wirklich aussehe, und bilde sich ein, dass etwas in ihrem Gesicht krumm sei oder dass sie nicht so gut aussehe, wie ihre Mitmenschen behaupteten: «Es scheint fast so, dass je attraktiver ich in den Augen anderer wurde, desto hässlicher wurde ich in meiner Wahrnehmung. Ich style mich sehr gerne, betreibe viel Kraftsport und erhalte auch sehr viele positive Rückmeldungen, allerdings ist es für mich nie gut genug. Teilweise hinterfrage ich alles. Sehe ich von dieser Perspektive komisch aus? Sieht man wirklich, dass ich viel Sport treibe? Sehe ich komisch aus, wenn ich laufe? Die Störung beeinträchtigt mich fast täglich. Ich habe immer einen Spiegel dabei, um kontrollieren zu können, wie ich aussehe, ob alles noch sitzt, wie es sollte etc. Eine Zeit lang war es so schlimm, dass ich nicht mehr nach draussen wollte, weil ich mich geschämt habe. Heute weiss ich, dass ich eine verzerrte Wahrnehmung habe und dass ich nicht auf diese Gedanken hören darf. Allerdings ist die Umsetzung nicht immer ganz so einfach. Die Rückmeldungen anderer helfen mir oft, genauso wie das Darüber-Sprechen, weil ich dann merke, dass das alles nur in meinem Kopf ist und nicht der Realität entspricht.»

*Namen der Redaktion bekannt.

«Viele gehen zum Schönheitschirurgen statt zum Therapeuten»

Roland Müller, Psychotherapeut und Projektleiter Pep (Prävention Essstörungen Praxisnah).

Roland Müller, Psychotherapeut und Projektleiter Pep (Prävention Essstörungen Praxisnah).

PEP

Herr Müller, wie erkennt man, dass man diese psychische Störung hat?

Bei der Körperdysmorphie ist es so, dass man stets unzufrieden und unglücklich ist mit einer oder mehreren Körperpartien. Man hat einen grossen Leidensdruck und kämpft dauernd. Je nach Ausprägung zeigen Betroffene oft ein bestimmtes Vermeidungsverhalten: Sie gehen zum Beispiel nicht unbekleidet in die Badi oder meiden die Öffentlichkeit sogar ganz. Sie ziehen sich vor dem Partner oder der Partnerin nicht aus, wollen nicht vor anderen duschen …

Leiden Frauen eher unter einer Körperdysmorphie?

Das kann man so nicht sagen. Dass auch Männer einen Leidensdruck haben, wird viel weniger diskutiert, auch weil es in der Forschung untergegangen ist. Dass es vermehrt vorkommt, ist aber eine Tatsache. Bei Männern sind es oft Dinge wie die Körpergrösse, Sixpack oder Haare, bei denen eine verzerrte Wahrnehmung herrscht.

Wie kann es sein, dass man zwar einerseits weiss, dass es sich um eine gestörte Wahrnehmung handelt, man aber trotzdem damit zu kämpfen hat?

Man wird früh geformt, sei es mit Schlüsselsituationen, einer Beobachtung oder einer bestimmten Aussage. In jungen Jahren wird unsere Grundhaltung zu uns selbst und unserem Körper geformt und diese ist sehr änderungsresistent – als Erwachsener lernt man nicht mehr so schnell. Leute im Umfeld können also noch lange sagen, dass alles in Ordnung sei, eingespeichert ist aus der Jugend oder Kindheit etwas ganz anderes, und zwar, dass man nicht okay ist, wie man ist – und das wird immer lauter tönen als das, was in späten Jahren neu dazukommt.

Wie kann man gegen die Störung vorgehen?

Nicht selten suchen Betroffene einen anderen Weg, um aus diesem Loch zu kommen. Statt in eine Therapie zu gehen, ziehen es viele vor, den Schönheitschirurgen aufzusuchen, um mit einer Operation den Leidensdruck zu reduzieren. Es ist aber weniger ein Dagegen als ein Damit. Es geht ums Akzeptieren – das alte Wahrnehmungsschema ist einfach da, da kann man nichts machen. Mit viel Übung und mentalem Training, wie es in Psychotherapien passiert, kann es besser werden, aber eine Heilung im Sinne von «es ist keine negative Körperbewertung mehr da» gibt es eigentlich nicht. Man muss lernen, im Alltag damit umzugehen – und sich trotz dem Negativen wohlwollend sich selbst gegenüber zu verhalten – dann hat man schon viel erreicht.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung?

Hier findest du Hilfe:

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

VASK, regionale Vereine für Angehörige

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Essstörung?

Hier findest du Hilfe:

Fachstelle PEP, Beratung für Betroffene und Angehörige

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Elternberatung, Tel. 058 261 61 61

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