Sucht nach Selbstbefriedigung«Ich habe vier Mal am Tag onaniert»
Mit Pornos, Toys oder ohne Hilfsmittel: Drei bis fünf Mal pro Woche masturbieren Schweizer*innen. Doch nicht alle können diese Me-Time uneingeschränkt geniessen, sondern berichten von einem suchtähnlichen Drang. Drei Leser*innen erzählen.
Darum gehts
Laut einer Umfrage masturbieren die Schweizer*innen im Schnitt vier Mal die Woche. Bei manchen wird das «Hobby» aber zum Zwang.
Leserin Linda* etwa hat Angst davor, dass sie süchtig nach Selbstbefriedigung ist und dass sie durch den Vibrator keine Lust mehr auf echten Sex hat.
Sexualtherapeutin Dania Schiftan spricht von dranghaftem Verhalten.
Ganz ehrlich: Wie oft legst du Hand an? Eine Umfrage des Erotikshops Amorana aus dem letzten Jahr zeigt, dass sich die Schweizer Frauen etwa drei Mal die Woche selbstbefriedigen, während die Schweizer Männer auf knapp fünf Mal kommen. Laut Umfrage wird hierzulande im Schnitt vier Mal die Woche Hand angelegt.
Kaum verwunderlich, denn Onanieren soll dabei helfen, sich zu entspannen und besser zu schlafen. Ausserdem soll Selbstbefriedigung den Kreislauf aktivieren, das Herz trainieren, Stress abbauen und Glückshormone freisetzen. Alles positive Aspekte, die jedoch schnell in eine Art Sucht münden können. «Es ist tatsächlich so, dass Männer und Frauen dieses entlastende Gefühl nach der Masturbation ständig suchen», sagt Sexualtherapeutin Dania Schiftan (Interview unten). Dass die Linie zwischen der Suche nach Befriedigung und einer Sucht sehr dünn ist, zeigen auch die Erfahrungen von drei 20-Minuten-Leser*innen.
«Ich hatte ein verzerrtes Bild davon, wie ich zum Orgasmus komme»

Seit er eine Freundin hat, onaniert der 17-jährige Mike* aus Zürich weniger: «Ich möchte, dass unser Sex gut ist.»
PrivatErst als der 17-jährige Mike* aus Zürich eine Freundin hatte, merkte er, dass sein Masturbationsverhalten zuvor extrem war: «Angefangen hat alles im Alter von elf Jahren. Damals habe ich höchstens zwei Mal die Woche onaniert. Mit der Zeit hat sich das kontinuierlich gesteigert, bis zu dem Punkt, an dem ich vier Mal am Tag onaniert habe. Damals war das für mich ganz normal, ich habe daran nichts Problematisches gesehen, aber ich hatte ja auch keinen Vergleich.
Ich hatte den unbedingten Drang, Pornos zu schauen und zu onanieren. Das Schlimme ist, dass ich damals noch nie Sex hatte und somit ein völlig verzerrtes Bild von Sexualität und davon, wie ich zum Orgasmus komme, bekommen habe. Seit ich meine Freundin habe, masturbiere ich kaum noch, weil ich möchte, dass unser Sex gut ist und ich ihn mir nicht kaputt machen möchte.»
«Ich weiss, dass ich süchtig war»

Der 29-jährige Daniel* aus Bern weiss, dass er süchtig war: «Rückblickend muss ich schon sagen, dass es zu viel war. Ich wollte unbedingt Druck ablassen und Stress abbauen und beim Onanieren konnte ich das immer erreichen.»
PrivatDem 29-jährigen Daniel* aus Bern geht es ähnlich: «Mit etwa zehn Jahren ging es los, aber ich würde nicht sagen, dass ich extrem oft masturbiert habe. Später, als ich Pornos entdeckt habe, ist es dann mehr geworden. Schlimm fand ich es nicht, weil es ja jeder macht. Ich habe sicherlich täglich masturbiert, manchmal auch mehrmals am Tag.
Rückblickend muss ich allerdings sagen, dass es zu viel war. Ich wollte unbedingt Druck ablassen und Stress abbauen – beim Onanieren gelang mir das zuverlässig und ich tat es immer öfter. Ich weiss, dass ich süchtig war – ein Problem war es für mich dennoch nicht. Der Drang war zwar da und hat mich auch ‹gezwungen›, immer wieder zu onanieren, ich denke aber, dass das vollkommen normal ist. Heute ist es anders – ich glaube, dass das am Alter liegt. Ich kann jetzt gut zwei Tage ohne Selbstbefriedigung auskommen und egal ob Sucht oder nicht, solange ich weiss, dass ich ohne Masturbieren auskommen kann, ist alles gut.»
«Ich habe Angst, dass ich nur noch mit einem Vibrator kommen kann»

Auch bei Frauen kann das Verhalten problematisch werden, wie die 26-jährige Linda* aus Winterthur zeigt: «Ich masturbiere schon seit ich denken kann, doch in letzter Zeit wird es immer mehr.» (Symbolbild)
Getty ImagesNicht nur Männer legen «zu oft» Hand an. Auch bei Frauen kann das Verhalten problematisch werden, wie die 26-jährige Linda* aus Winterthur zeigt: «Ich masturbiere schon seit ich denken kann. Zwei bis drei Mal die Woche ungefähr – das halte ich für normal und ich denke, das ist auch im Rahmen. Doch in letzter Zeit mache ich mir immer mehr Gedanken, weil ich Angst habe, dass ich süchtig werde.
Es ist so weit gekommen, dass ich jeden Tag masturbiere, manchmal habe ich sogar mehrmals am Tag das Verlangen danach. Normal finde ich das nicht und ich kann es auch nicht verstehen. Ich empfinde es als besorgniserregend, denn es scheint so, als könne ich gar nicht mehr einschlafen, ohne vorher masturbiert zu haben. Das Problem ist, dass ich einen Vibrator nutze und das Gefühl habe, dass ich damit den Bezug zur Realität verliere. Ich befürchte, am Ende nur noch mit dem Sexspielzeug kommen zu können und keinen Spass mehr an einem echten Penis zu finden. Da ich seit längerer Zeit keinen Sex mehr hatte und auch in absehbarer Zeit keinen Sex haben werde, kann ich es schlecht einschätzen. Dennoch weiss ich, dass ich einen Gang zurückschalten sollte, will aber gleichzeitig das Glücksgefühl nicht verlieren.»
*Namen geändert
«Zu häufige Masturbation kann unzufrieden machen»

Dania Schiftan ist Sexualtherapeutin.
PrivatFrau Schiftan, wann spricht man von einer Masturbationssucht?
In der Sexologie spricht man nicht von einer Sucht, sondern von einem dranghaften Verhalten. Betroffene praktizieren eine Form von Selbstbefriedigung, die sie nicht sättigt, weil sie nur oberflächlich befriedigt. Wenn man zum Beispiel einen Porno schaut und dazu masturbiert, dann liegt der Fokus auf dem Film, dem Geschlechtsteil wird nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Man reibt nur an einer kleinen Stelle, eventuell auch sehr hart und heftig, und das geht dann in der Regel sehr schnell. Man hat dann zwar einen Orgasmus erlebt, doch diese körperliche Entlastung ist nur kurzfristig. Eine emotionale Entlastung findet so nicht statt.
Was heisst das genau?
Das Erlebnis ist nicht ganzheitlich. Man «arbeitet» nur so viel, bis der Körper wieder Ruhe gibt – nachhaltige Befriedigung ist das aber nicht. Und genau das führt dazu, dass man dieses Gefühl mehrmals am Tag braucht und dann immer öfter und immer schneller onaniert. Die Sattheit hält immer weniger lange an.
Gibt es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern?
Es kann Männer wie auch Frauen treffen, wenn auch Männer eher davon betroffen sind. Vor allem, weil sie «Augentiere» sind, ihre Aufmerksamkeit sehr auf das Optische lenken. Männer schauen mehr Pornos, welche dazu einladen, gleichzeitig zu onanieren. Bei Frauen ist dieser Drang seltener.
Unsere Leserin hat Angst, dass sie süchtig ist, und dass sie den Spass an echtem Sex verliert, weil sie zu oft mit dem Satisfyer onaniert. Ist ihre Angst berechtigt?
Diese Befürchtung macht absolut Sinn. Vor allem, weil sie dadurch mit der Zeit nicht genug Geduld haben wird, weil sie durch den Vibrator die schnelle Entladung gewöhnt ist und diese dann auch beim Sex mit einem Partner sucht.
Was kann es für psychische Folgen haben, wenn man ein dranghaftes Verhalten nach Masturbation hat und diese Glücksgefühle unbedingt braucht?
Masturbiert man zu viel nach diesem Muster, kann es gut sein, dass man mit der Zeit unruhig und unzufrieden wird, weil das Gefühl der Befriedigung eben nur sehr kurz anhält.
Was kann man dagegen machen?
Sollte das Verhalten dranghaft werden, kann man den Weg in eine Sexualtherapie suchen und damit anfangen, während der Masturbation dem Geschehen im Körper mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Man kann dort lernen, den Genuss aushalten zu können und damit anfangen, mehr Zeit zu investieren. Die Sexualität kann mit Bewegung, aber auch mit der Atmung kontrolliert werden. Ausserdem kann man sich Ziele setzen und beispielsweise weniger zu Pornofilmen onanieren, bis es auch ohne geht.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Spiel-, Kauf-, Online- oder eine andere Verhaltenssucht?
Hier findest du Hilfe:
Sucht Schweiz, Tel. 0800 104 104
Spielen ohne Sucht, Selbsttest und Information
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Feel-ok, Informationen für Jugendliche
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