Beschneidung von Buben«Ich leide unter dem Verlust meiner Vorhaut»
Während Beschneidungen an Mädchen in der Schweiz seit 2012 verboten sind, ist diejenige von Buben weiterhin erlaubt. Ein Verein für Kinderrechte möchte das ändern – und verklagt Chirurgen, die Buben beschneiden.
Darum gehts
Seit 2012 dürfen Mädchen in der Schweiz nicht mehr beschnitten werden.
Buben allerdings werden weiterhin beschnitten – meist aus religiösen Gründen.
«Einem Kind einen genitalen Körperteil ohne medizinische Dringlichkeit zu amputieren, ist eine Straftat», sagen Kritikerinnen und Kritiker – und verklagen Chirurgen und Chirurginnen, die solche Eingriffe durchführen.
Fast 3000 Buben werden in Schweizer Spitälern jedes Jahr beschnitten. Zahlreiche weitere Operationen in Hausarztpraxen kommen hinzu, und die Dunkelziffer ist gross: Denn viele Buben werden gar nicht von Ärzten beschnitten – sondern von religiösen Medizinmännern im privaten Rahmen. Das schreiben die Zeitungen von CH Media.
Den betreffenden Buben wird in einem chirurgischen Eingriff die Vorhaut vom Penis abgetrennt. Ein Eingriff, der in den seltensten Fällen medizinisch notwendig wäre. Ein Prozent der jungen Männer ist von einer sogenannten Vorhautverengung betroffen, die einen solchen Eingriff unumgänglich macht.
«Ausgeblendet und tabuisiert»
In den allermeisten Fällen geschieht eine Beschneidung aus religiösen Gründen. Sowohl das Judentum als auch der Islam praktizieren die Beschneidung von Buben. Kritiker und Kritikerinnen werten die Beschneidung von Knaben in einem solchen Fall als Eingriff in die Selbstbestimmung.
Die Beschneidung von Mädchen ist in der Schweiz seit 2012 offiziell verboten. Das gleiche fordert nun der Verein «Pro Kinderrechte» für Buben. «Bei der Gewalt an Männern schaut man weg – zu Unrecht. Diese wird ausgeblendet und tabuisiert», sagt Christoph Geissbühler, Geschäftsführer von Pro Kinderrechte Schweiz. Für Geissbühler ist klar: «Einem Kind einen genitalen Körperteil ohne medizinische Dringlichkeit zu amputieren, ist eine Straftat.»
«Besser, als wenn Medizinmann zum Messer greift»
Deshalb hat Geissbühler einen Schweizer Arzt verklagt, der routinemässig Beschneidungen durchführt. Es handelt sich dabei um den Chirurgen Guido Baumgartner, der in St. Gallen und Graubünden als leitender Kinderchirurg tätig ist. Nach eigenen Angaben führt er 50 bis 70 Beschneidungen pro Jahr durch – davon 20 aus religiösen Gründen.
Baumgartner verteidigt sich: Er biete die Beschneidungen unter anderem deshalb an, um zu verhindern, dass die Beschneidung von Leuten ohne medizinische Kenntnisse durchgeführt wird. Wenn er die Operation als Chirurg durchführe, selbst wenn keine Notwendigkeit dazu bestehen sollte, sei das «immer noch besser, als wenn ein Medizinmann in einem Hinterhof zum Messer greift.»
Wenn ein Teil des Körpers fehlt
Ephraim Seidenberg wurde als Kind die Vorhaut aus religiösen Gründen entfernt. Er stammt aus einer jüdischen Familie. Der 29-Jährige sagt: «Ich leide unter dem Verlust meiner Vorhaut.» Für ihn ist klar, dass ihm durch die Beschneidung ein Teil seines Körpers fehle. «Ich habe ein Genital, das nicht so funktioniert, wie es natürlicherweise funktionieren würde. Ich finde es nicht richtig, dass mir ein gesunder Teil meines Körpers weggeschnitten wurde.»
Für Seidenberg war die Erkenntnis, beschnitten worden zu sein ohne selbst darüber entschieden zu haben, mit «Trauer, Enttäuschung und Verlustgefühlen» verbunden. Er wünscht sich, dass mehr über das Thema Beschneidung von Buben gesprochen wird. «Ich hoffe, dass so ein Konsens entsteht, dass jeder Mensch selber darüber bestimmen können soll.»
Staatsanwaltschaft nicht zuständig
In der Anklage gegen den Chirurgen Guido Baumgartner kam es gar nicht zum Prozess, denn: Die St. Galler Staatsanwaltschaft hat die Klage gegen den Arzt zurückgewiesen. «Rein objektiv betrachtet» könne man eine Jungenbeschneidung als «einfache Körperverletzung» betrachten. Da der Staat aber von Amtes wegen nur bei «schwerer Körperverletzung» aktiv werden darf, sei der Staatsanwaltschaft die Hände gebunden, argumentiert diese.
Bei einer einfachen Körperverletzung müsste die betroffene Person selbst klagen – was bei einem Buben nicht zu erwarten ist. Die Staatsanwaltschaft St. Gallen sagt, dass der Verein Pro Kinderrechte ein legitimes Anliegen verfolge. Diese müsste aber auf politischem und nicht auf juristischem Weg erreicht werden.