«Ich lerne Formulare einfach auswendig»

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Leseschwäche«Ich lerne Formulare einfach auswendig»

Viele Schweizer haben Mühe, einen einfachen Text zu verstehen. Zwei Betroffene erzählen von ihren Schwierigkeiten.

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20-Minuten-Leser berichten von ihren Schwierigkeiten beim Lesen. «Ich lese nur, wenn ich unbedingt muss», sagt Thomas Koster.
Koster arbeitet im technischen Dienst, muss dort oft Formulare ausfüllen. «Ich lerne dann einfach auswendig, was ich wo eintragen muss. Zum Glück kennt man sich mit der Zeit aus.»
Auch in der aktuellen Pisa-Studie erreichte die Schweiz beim Lesen nur einen Platz im Mittelfeld.
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20-Minuten-Leser berichten von ihren Schwierigkeiten beim Lesen. «Ich lese nur, wenn ich unbedingt muss», sagt Thomas Koster.

20 Prozent der Schweizer Schüler haben laut den Ergebnissen der neusten Pisa-Studie Mühe damit, schon einen einfachen Text zu verstehen. «Ich stelle oft fest, dass unsere Schüler zwar schön vorlesen können, aber wenn sie das Blatt umdrehen müssen und erzählen sollen, was sie gerade gelesen haben, tun sie sich schwer», sagte Lilo Lätzsch vom Zürcher Lehrerverband gegenüber der «NZZ am Sonntag». Auch einige Leser von 20 Minuten haben Schwierigkeiten damit. Zwei von ihnen geben über ihre Probleme und Strategien im Alltag Auskunft.

Dana S.* (22) aus dem Kanton Bern kam als Dreijährige in die Schweiz, sprach mit ihren Eltern kurdisch, und lernte Deutsch via TV oder im Gespräch mit Freunden. In der Schule habe sich ihre Leseschwäche schnell gezeigt. «Ich hatte grosse Schwierigkeiten mit den Hausaufgaben.» Gross gekümmert habe das in der Schule aber niemanden. «Die dachten wohl, ich bin halt Ausländerin und kann deshalb nicht so gut Deutsch.»

«Textaufgaben bringen mich zum Verzweifeln»

Dabei brauche sie beim Lesen einfach länger als andere. «Wenn mein Freund 20 Minuten liest, staune ich immer, wie schnell er ist. Ich muss jeden Satz zwei- bis dreimal lesen und mir dann überlegen, was ich da genau gelesen habe, sonst verstehe ich den Text nicht.»

Die 22-Jährige macht zurzeit eine Lehre als Malerin. «Zu schaffen macht mir dabei vor allem der schulische Teil. Ich bin eigentlich sehr gut in Mathematik, aber die Textaufgaben bringen mich zum Verzweifeln. Hier muss mir meist jemand erklären, was gemeint ist.»

Auch beim Diktat hatte S. immer grosse Probleme. «Ich kann mir nie merken, was gesagt wurde.» Beim Arzt war sie wegen ihrer Leseschwäche noch nie, will nun aber abklären lassen, was sie dagegen tun kann.

«Ich lese nur, wenn ich unbedingt muss»

Auch Thomas Koster (29) aus dem thurgauischen Eschlikon merkte schon früh, dass er langsamer liest als andere und sich oft nicht erinnern kann, was er gerade gelesen hat. In der Schule habe er oft sehr lange für Leseaufgaben gebraucht, und sich jeden Satz selbst laut vorgelesen, um sich an den Inhalt zu erinnern. Dies macht er auch heute noch so.

«Wenn ich einen längeren Text oder eine Seite in einem Buch lesen muss, habe ich am Ende oft vergessen, was ich gerade gelesen habe.» Dass er deshalb Sachen oft zwei- oder dreimal lesen müsse, sei zwar mühsam, und im Deutsch habe er nie gute Noten erzielt, doch es habe immer irgendwie gereicht.

Nur seine besten Freunde wüssten von seiner Leseschwäche. Koster arbeitet im technischen Dienst, muss dort oft Formulare ausfüllen. «Ich lerne dann einfach auswendig, was ich wo eintragen muss. Zum Glück kennt man sich mit der Zeit aus.» Bücher oder Zeitungen nimmt er praktisch nie in die Hand. «Ich lese nur, wenn ich unbedingt muss.»

*Name geändert

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