«Ich müsste die Hälfte meines Teams entlassen»

Aktualisiert

Spitzenforscher sagt«Ich müsste die Hälfte meines Teams entlassen»

Hirnforscher Adriano Aguzzi ist ein Topshot in der Schweizer Wissenschaft. Er sagt, falls das Forschungsabkommen mit der EU scheitere, stehe er vor einem Scherbenhaufen.

von
J.Büchi
Adriano Aguzzi (rechts) mit dem damaligen Bundesrat Pascal Couchepin. Der Hirnforscher ist führender BSE-Forscher in der Schweiz und ist mit mehreren hochdotierten Preisen ausgezeichnet worden.

Adriano Aguzzi (rechts) mit dem damaligen Bundesrat Pascal Couchepin. Der Hirnforscher ist führender BSE-Forscher in der Schweiz und ist mit mehreren hochdotierten Preisen ausgezeichnet worden.

Neurowissenschaftler Adriano Aguzzi ist der führende BSE-Experte in der Schweiz. Und er ist hochdekoriert: Für seine bahnbrechende Forschungsleistung erhielt Aguzzi 2003 den Robert-Koch-Preis, 2009 den Antonio-Feltrinelli-Preis und 2013 zusammen mit Charles Weissmann den Hartwig-Piepenbrock-DZNE-Preis. Zudem hat ihm der European Research Council den mit 2,5 Millionen Euro dotierten ERC-Preis verliehen.

Nun, da das Forschungsabkommen Horizon 2020 mit der EU zu scheitern droht, ist auch seine weitere Karriere bedroht. «Ich müsste die Hälfte meines Teams entlassen», sagt Aguzzi gegenüber 20 Minuten. Von den aktuell 25 Mitarbeitern könnten mindestens zehn nicht mehr weiterbeschäftigt werden. Denn: «Etwa die Hälfte meines Labors basiert auf EU-Finanzierung.» Er selbst habe im Laufe seiner Forscherkarriere von insgesamt rund 20 Millionen Franken an EU-Geldern profitiert. «Ohne diese Mittel hätte ich nur halb so viel erreicht.»

Auswanderung nicht ausgeschlossen

Nun überlegt sich der gebürtige Italiener mit Schweizer Pass, das Land zu verlassen. «Das wäre für mich das Worst-Case-Szenario, weil ich hier 25 Jahre gelebt habe und mich als Schweizer Patriot fühle», so Aguzzi. Doch wenn das Forschungsabkommen Horizon 2020 platze, sei es effizienter, von woanders aus zu forschen. «Die Schweiz ist bisher das Land mit der höchsten Dichte an Nobelpreisträgern, mit der höchsten Anzahl an Patenten im High-Tech-Bereich, das Land, das in wissenschaftlichen Arbeiten am meisten zitiert wird. Damit wäre es ohne Forschungsabkommen mit der EU vorbei.»

Denn ohne das Forschungsabkommen Horizon 2020 dürfte die Schweiz keine EU-Projekte mehr koordinieren, ausserdem müsste sie alle Projekte selber bezahlen. Aguzzi ist gerade daran, zusammen mit spanischen, deutschen und belgischen Forschern, eine Therapie gegen Morbus Alzheimer zu entwickeln. «Ich war sehr stolz, an diesem Projekt beteiligt zu sein», so der Neurowissenschaftler. «Nun könnte es sein, dass das Projekt ohne Schweizer Beteiligung stattfinden muss.» Es wäre der Anfang einer Abwärtsspirale, die die Schweizer Wissenschaft bald erfassen könnte, ist Aguzzi überzeugt.

Aguzzi will kämpfen

«Nicht nur, dass viele guten Leute abwandern würden. Ab sofort werden wir auch massiv weniger Bewerbungen von Spitzenforschern aus der EU haben – diese Leute sind völlig verunsichert.» Für das Know-how in der Schweizer Wissenschaft sei das verheerend. Ein Blick in sein Heimatland Italien zeige, was eine protektionistische Haltung eines Staats in der Wissenschaft anrichten könne: «In ganz Italien gibt es weniger Leute, die mit dem Forschungspreis ERC ausgezeichnet worden sind als im kleinen Zürich.»

Selbst wenn der Bund künftig mehr Geld für die Wissenschaft in die Finger nehme, nütze das dem Forschungsstandort wenig: «Wenn ich der Sieger eines europaweiten Wettbewerbs bin, hat das weltweite Resonanz: Die besten Wissenschaftler der Welt melden sich bei mir, um mit mir zusammenzuarbeiten. Wenn ich hingegen eine Schweizer Ausschreibung gewinne, passiert rein gar nichts.»

Die jüngsten Entwicklungen machten ihn traurig und betroffen, so Aguzzi. «Es wird auf die Wissenschaftler und Studierenden eingedroschen. Dabei ist das die einzige Gruppe, die keine Lobby hat.» Er werde mit seinen Forscherkollegen dafür kämpfen, dass der Forschungsstandort Schweiz nicht aufgegeben werden müsse, so Aguzzi. «Ich weiss noch nicht wie, aber wir werden uns wehren.»

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