Freiwillige ziehen in den Krieg - «Ich rechne mit einem Einsatz von einem halben Jahr»

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Freiwillige ziehen in den Krieg«Ich rechne mit einem Einsatz von einem halben Jahr»

In einem Motel bei der polnisch-ukrainischen Grenze versammeln sich jeden Tag Freiwillige aus Europa und den USA, um für die Ukraine zu kämpfen. 20 Minuten hat mit ihnen gesprochen.

Korczowa, Polen. Freiwillige Kämpfer aus aller Welt kommen mit allerhand Gepäck in einem Motel bei der polnisch-ukrainischen Grenze an . 
Während die einen gegen Osten in den Kampf ziehen, kommen in dem Motel auch Flüchtlinge aus der Ukraine an,  oft mit viel leichterem Gepäck. 
Die freiwilligen Kämpfer wollen nur von hinten fotografiert werden. Viele haben eine militärische Ausbildung, aber nicht alle haben Kampferfahrung.
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Korczowa, Polen. Freiwillige Kämpfer aus aller Welt kommen mit allerhand Gepäck in einem Motel bei der polnisch-ukrainischen Grenze an . 

20 Minuten / Ann Guenter

Darum gehts

Die Männer, die vor dem Motel links von der Autobahn A4 im polnischen Korczowa in Gruppen herumstehen, sind fast alle in Camouflage gekleidet. Viele haben ihre Gesichter verdeckt, einige mit Tüchern mit aufgedruckten Totenkopf-Masken. Sie alle haben ein Ziel: die nahe Ukraine, wo sie sich der «International Legion» anschliessen wollen.

Es sind alle Altersklassen vertreten: vom kaum 20-jährigen Unschuldsgesicht bis zum über 50-Jährigen mit grauem Bart und kleinem Bierbauch. Letztere sind als Amerikaner kaum zu überhören, sie tauschen laut ihre Kriegsgeschichten aus: «In Syrien haben wir …» und «Im Golfkrieg waren wir …». Darauf angesprochen, werden sie schnell still. «No comment» ist alles, was sie sagen. 

Keine Fotos von vorne

Die Jüngeren, die freiwillig in den Krieg in die Ukraine ziehen, sind weniger verschlossen – auch wenn sie sich nicht von vorne fotografieren lassen wollen.

Mehrere europäische und baltische Staaten haben zwar gesetzliche Notfallmassnahmen verabschiedet, die es Einzelpersonen ermöglichen, sich dem Krieg anschliessen. Zudem bietet die ukrainische Regierung Staatsbürgerschaften an, damit  die Freiwilligen um den ausländischen Söldner-Status herumkommen. Dennoch fürchten viele Männer, bei ihrer Rückkehr nach Hause rechtliche Probleme zu kriegen, weil sie dem Aufruf des ukrainischen Präsidenten folgten und sich der ukrainischen Armee im Kampf gegen Wladimir Putins Russland anschlossen.

Deutscher (28): «Ich rechne mit Einsatz von einem halben Jahr»

Ein 28-Jähriger aus Berlin fällt auf. Eine Narbe verläuft über seine linke Gesichtshälfte, er wirkt durchtrainiert. Ja, er habe Kampferfahrung, er habe Jahre bei der Bundeswehr gedient, sei in mehreren Konfliktgebieten gewesen. Mit dem Kriegsausbruch habe er sein Medizinstudium auf Eis gelegt und sei nach einigen Tagen Bedenkzeit in die Ukraine geflogen. «Ich rechne mit einem Einsatz von einem halben Jahr», sagt er. «Ich hoffe auf einen Vertrag mit der ukrainischen Armee, der das berücksichtigt.»

Da die ukrainischen Behörden wenig konkrete Angaben machen, wie lange der Einsatz der freiwilligen Kämpfer dauern soll, geht bei vielen die Angst um, sich bis zu Kriegsende vertraglich zu verpflichten. 

Was erhofft sich der Deutsche aus Berlin von diesem Einsatz? «Zu kämpfen, bis die Ukraine gewinnt». Auf seine Narbe im Gesicht angesprochen, lacht er: «Die stammt aus einer Barschlägerei in Deutschland!»

Brite (20): «Es wäre verrückt, keine Angst zu haben»

Ein Car kommt angefahren, um die Ausländer zur Grenze zu fahren. «Travel with pleasure» («Reisen mit Freude») steht darauf. Um sechs Uhr morgens steht am nächsten Tag bereits ein Dutzend weiterer Männer vor dem Motel und wartet auf den Transport in die Ukraine. Grobe Schätzungen gehen von bis zu 20’000 Freiwilligen vor allem aus Europa und den USA aus, die sich den Truppen Russlands in den Weg stellen wollen.

«Natürlich habe ich Angst, grosse Angst sogar. Es wäre verrückt, keine zu haben», sagt ein Brite (20). «Aber das ist auch unser Kampf als Europäer. Wenn wir Wladimir Putins Truppen nicht aufhalten, wird es schlimmer werden und noch mehr Menschen werden sterben.»

Tote auf Militärbasis: «Dorthin wollten sie uns ja hinbringen»

Er sei vier Jahre bei der Armee gewesen und habe keine Kampferfahrung. «Ich werde aber helfen, wo ich kann. Vielleicht setzt man mich als Fahrer ein.» Sein Kollege, ein Norweger (23), erzählt, dass er sich mit dem Briten, einem Letten und sieben weiteren Freiwilligen aus Europa zusammengeschlossen habe.

Sie hätten sich am Flughafen in Warschau kennengelernt und einander sofort gemocht. «Wir werden zusammenbleiben. Und notfalls zusammen sterben», sagt er. Das klingt heroisch. Der 20-jährige Brite weiss, dass nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt gerade russische Raketen im ukrainischen Militärstützpunkt Jaworiw eingeschlagen haben. «Dort wollten sie uns ja hinbringen», sagt er. «Deswegen warten wir jetzt so lange, weil nicht klar ist, wohin wir jetzt hinkommen.»

Zwei Quellen aus der Ukraine berichten 20 Minuten, dass unter den 35 Toten von der Militärbasis auch freiwillige Kämpfer aus dem Westen sind. Bestätigt ist das  - noch - nicht.

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