«Ich verliebte mich in eine Rumänin»

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Auswanderer-Serie«Ich verliebte mich in eine Rumänin»

Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen stellte sich Daniel Wälti vor, nach Rumänien auszuwandern. Doch Ferien in Italien veränderten alles.

von
B. Zanni

«Spinnst du?» Das bekam Daniel Wälti von seinem Sohn, Verwandten und Bekannten zu hören. Was ihm denn einfalle, in ein Entwicklungsland voller Krimineller auszuwandern, fragten sie. Auch Wälti selbst fiel der Entscheid nicht leicht. Die Rumänien-Ferien seien schön gewesen. «Aber dorthin ausgewandert wäre ich in meinen kühnsten Träumen nicht.»

Die Ferien in Italien im Jahr 2012 stellten das Leben des Bielers auf den Kopf. «Ich verliebte mich in eine Rumänin», erzählt der 57-Jährige, der von seiner Frau geschieden ist. Gerne hätte er seine Partnerin in die Schweiz geholt. Da sie als Psychologin arbeitet und wegen der Sprache in der Schweiz keinen Job finden würde, folgte Wälti jedoch seiner Liebe nach Rumänien an einen Ort etwas ausserhalb der Stadt Timisoara.

«Der Kommunismus ist noch heute spürbar»

Der Schweizer hängte seinen Job als Marketingleiter eines Automobilimporteurs an den Nagel. Heute ist er in der IT-Abteilung eines Automobilzulieferers einer deutschen Firma tätig. «Wenn man ein paar Fremdsprachen kann, findet man in Rumänien relativ schnell eine Stelle», sagt Wälti.

Die rumänische Arbeitswelt sorgt beim Schweizer oft für Kopfschütteln. «Dass das Land früher kommunistisch war, ist heute noch spürbar.» Er staune immer wieder, wie obrigkeitsgläubig die Angestellten seien. Für seine Kollegen sei es selbstverständlich, bei ihrem Chef eine Unterschrift einzuholen, um über Mittag das Firmengebäude verlassen zu können.

Rumänen verschicken keine Rechnungen

Auch im Alltag musste sich der Auswanderer an viel Neues gewöhnen. «Kann man hier nicht auf jemanden zurückgreifen, der mit dem Land vertraut ist, besteht an vielen Orten ein grosses Risiko, in den Hammer zu laufen.» In Rumänien würden zum Beispiel keine Rechnungen verschickt. «Wenn man nicht selbst an seine Rechnungen denkt, folgt direkt die Betreibung.» Auch an korrupte Dienstleister musste er sich gewöhnen. «Verspricht man dem Arzt keine zusätzliche Gegenleistung, bekommt man keinen Operationstermin.» Ein Freund mit Bandscheibenvorfall habe drei Wochen unter Morphium einen Operationstermin abwarten müssen. «Erst, als er Geld nachschob, klappte es.» Wälti betont jedoch, dass im Kampf gegen Korruption massive und bereits erfolgreiche Anstrengungen im Gange seien.

Dennoch bereut Wälti sein Exil nicht. «Meine Lebensqualität ist hier viel höher.» Die Löhne und die Preise seien tief. Deshalb könne er zu vernünftigen Preisen kulturelle Angebote geniessen, gut essen und trinken. «Guten Rotwein erhält man hier zu Spottpreisen im Laden direkt vom Fass.»

«Die Menschen sind viel herzlicher»

Dass der Auslandschweizer einst mit einer aufgeschnittenen Umhängetasche ohne Portemonnaie nach Hause zurückkehrte, hat seinem positiven Eindruck von den Rumänen keinen Abbruch getan. «Die Menschen hier sind viel herzlicher und hilfsbereiter.» Als er noch kein Wort Rumänisch sprach und auf einem Amt mit dem Handy mühevoll Dokumente zu entziffern versuchte, kam ihm sofort ein Mann zur Hilfe. «Er zeigte mir gleich, was ich wohin schreiben muss.»

Nicht zuletzt wegen der Umgebung denkt Wälti nicht an eine Rückkehr in die Schweiz. «Landschaftlich ist Rumänien eines der schönsten Länder.» Er schwärmt vom Donaudelta und den Karpaten, in denen er aus einer Gondel Bären habe beobachten können. In den Karpaten frönt er sogar dem Sport seiner früheren Heimat: «Man kann dort bestens Ski fahren.» Lachend fügt er an: «Vorausgesetzt, man stellt nicht zu hohe Ansprüche an die Infrastruktur.»

Serie Auslandschweizer

Immer mehr Schweizer zieht es ins Ausland. Wie die neuste Auslandschweizerstatistik des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten zeigt, wuchs die Zahl der Auslandschweizer auch 2015 um zwei Prozent. Im letzten Jahr lebten insgesamt über 760'000 Schweizer im Ausland. Doch was motiviert so viele Schweizer, ihr Leben in einem anderen Land aufzubauen und welche Erfahrungen haben sie gemacht? In einer Serie mit Portraits von vier Auslandschweizern geht 20 Minuten diesen Fragen nach.

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